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„Diese Diskussion ist notwendig“

Emmanuelle Charpentier über Neugier, Glück und Gewissensbisse bei der Forschung an der Wurzel allen Lebens

Sie sind die neuen Stars am Wissenschaftshimmel: Forscherinnen und Forscher, die das noch junge Feld der Synthetischen Biologie erkunden. Dr. Emmanuelle Charpentiers Stern leuchtet bereits so hell und klar in die Welt, dass Interviews mit ihr schwer zu bekommen sind. Für die DUZ machte die Französin eine Ausnahme.

Frau Charpentier, Sie und Ihre Kollegin Prof. Dr. Jennifer Doudna werden für die Entdeckung des Crispr-Cas9-Systems in der Fachpresse groß gefeiert, Sie haben dafür bereits reichlich Preise eingesammelt. Was ist das Besondere?

Die Technologie bietet die Möglichkeit, relativ leicht Gene in Organismen zu manipulieren, von Pflanzen über Mäuse und Affen bis hin zum Menschen. Man kann damit Erbmaterial zielgenau verändern. Es gab bereits andere Technologien, die ähnliches können, diese sind aber teurer, zeitaufwendiger und schwieriger in der Anwendung und können in der Forschung nicht so vielfältig eingesetzt werden wie unsere Methode.

Crispr-Cas9 arbeitet wie eine Schere, die Buchstaben-Abfolgen im genetischen Code aufspüren und die DNA (Desoxyribonukleinsäure) an einem exakten Punkt schneiden kann. Warum ist das so wichtig?

Um die Funktionen von Genen beziehungsweise der von ihnen kodierten Proteine und anderer Moleküle zu verstehen und zu analysieren, benötigen Biologen Werkzeuge, mit denen sie die Gene verändern können. Pharmakologen können so beispielsweise Tiermodelle herstellen, mit denen sich Medikamente und ihre Wirkung untersuchen oder die Entwicklung von Krankheiten besser verstehen lassen. Auch die Gentherapie kann profitieren, weil Crispr-Cas9 neue Therapiemöglichkeiten für genetisch bedingte Erberkrankungen wie cystische Fibrose oder Sichelzellenanämie ermöglichen könnte.

Wann war Ihnen bewusst, dass Sie etwas Außergewöhnliches erforscht hatten?

Mein Team an der Universität Umea arbeitete ursprünglich daran, den molekularen Mechanismus zu entschlüsseln, mit dem das Bakterium Streptococcus pyogenes beim Menschen Krankheiten verursacht. Wir haben dabei eine kleine RNA entdeckt, die wir mit dem Crispr-Cas-System, einem Abwehrmechanismus der Bakterien, in Verbindung bringen konnten. Als wir im Jahr 2011 die ersten Schritte des Mechanismus entdeckt hatten, war uns klar, dass wir an etwas arbeiteten, das sich universell nutzen lassen würde.

Was bedeutet Ihnen diese Erfindung persönlich?

Für mich als Wissenschaftlerin ist das eine großartige Geschichte, weil die Entdeckung viele wichtige Botschaften enthält. Eine Facette ist, dass man bei der finanziellen Förderung die Grundlagenforschung nicht vernachlässigen sollte. Sie ist die Basis für jede neue Entdeckung, das sollte man nicht vergessen. Crispr-Cas9 ist zudem ein europäisches Projekt. Meine Teams an den Universitäten Wien und Umea forschten dazu. Damit ist es auch eine europäische Erfolgsgeschichte.

Ihre Methode könnte die Medizin auf der einen Seite voranbringen, auf der anderen Seite birgt sie das Risiko, dass Forscher damit ethisch zweifelhafte Experimente an menschlichen Embryonen durchführen können. Wie gehen Sie mit dem Dilemma um?

Es gibt fast überall in Europa klare Vorgaben, die den ethischen Umgang mit menschlichen Embryonen in der Genomforschung festlegen. Verboten ist demnach zum Beispiel das Experimentieren mit der menschlichen Keimbahn, also jener Abfolge von Zellen, die, beginnend bei der befruchteten Eizelle, über Geburt und Entwicklung des Menschen erneut zu Spermien oder Eizellen führt. Regeln wie diese müssen eingehalten werden, keine Frage. Vielleicht kann unsere Entdeckung zu einem breiteren Konsens führen, wie Wissenschaftler diese Werkzeuge weltweit nutzen sollten. Die Umsetzung könnte aber schwierig werden.

Warum?

In China experimentierte zum Beispiel mindestens ein Forscherteam bereits mit der menschlichen Keimbahn, aber die Publikation wurde nicht begutachtet. In den USA erklärte der Direktor der Nationalen Gesundheitsinstitute NIH (National Institutes of Health), die NIH würden keine Projekte fördern, die mit dem Crispr-Cas9-System menschliche Embryonen manipulieren wollen. Diese beiden Beispiele zeigen, dass man sich weltweit zusammenschließen sollte, um verbindliche Regeln für die Wissenschaft aufzustellen.

Das von Ihnen entwickelte Werkzeug ermöglicht es Forschern, so präzise wie noch nie ins Erbgut des Menschen einzugreifen. Macht Ihnen dieser mögliche Missbrauch denn keine Angst?

Nein, unsere Erfindung ist sehr nützlich für die tägliche Arbeit vieler Biologen im Labor. Es ist eine junge Technologie, die sich noch weiter entwickeln wird.

Wann machen Sie sich als Forscherin eigentlich Gedanken über mögliche ethische Folgen Ihres Tuns?

Die meisten Genetiker und Molekularbiologen denken daran, wenn sie mit Bakterien, Mäusen oder anderen Organismen experimentieren. Wir sind uns stets bewusst, dass man mit einem Werkzeug, das in das Erbgut von Bakterien oder Zellen höherer Lebewesen eingreifen kann, auf gefährliche Gedanken kommen kann. Und unglücklicherweise gibt es auch immer wieder Forscher, die eine wissenschaftliche Errungenschaft für falsche Zwecke nutzen wollen.

Das ist für Sie kein Grund, die Forschung einzustellen?

Nein. Zum einen gibt es ja bereits andere Methoden, mit denen sich Bausteine im Doppelstrang der DNA ansteuern und entfernen lassen. Zum anderen würden meine Laborteams nie auf die Idee kommen, mit Keimbahn-Zellen des Menschen zu experimentieren. Wir sind Biologen und wollen forschen, um dem Menschen zu helfen, um Entwicklungen voranzubringen und um Krankheiten zu heilen. Unsere Methode öffnet viele neue Perspektiven und hat das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren. Würden wir unsere Forschung stoppen, würden wir diese Entwicklung aufhalten. Das gilt im Übrigen auch für viele andere Technologien, die unser Leben angenehmer machen. Wegen möglicher Risiken mit der Forschung aufzuhören, kann keine Alternative sein.

Im Wissenschaftsmagazin Science haben sich eine Reihe von Forschern dafür ausgesprochen, beim Genome editing vorerst auf die Bremse zu treten. Ihre Kollegin Doudna hat den Artikel mit unterzeichnet, Sie nicht. Warum?

Das war eine Initiative, die vor allem von US-Forschern ausging, weniger von den europäischen Kollegen. In den USA ist im Gegensatz zu Europa manches nicht so klar geregelt. Unterzeichnet haben den Text zudem Forscher, deren tägliche Arbeit wenig mit den ethischen Debatten rund um das Thema zu tun hat.

Ihre Entdeckung und die Anwendung der Technik in China hat die Diskussion zur Synthetischen Biologie in Deutschland nicht nachhaltig in Schwung gebracht. Wäre eine grundsätzliche Ethikdebatte wünschenswert?

Diese Diskussion ist notwendig, weil unsere Entwicklung nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Öffentlichkeit betrifft. Man sollte erklären, wie die Methode funktioniert, für welche Zwecke sie genutzt werden kann und welche Risiken sie hat. Es ist hilfreich, die Diskussion zu versachlichen, denn unsere Technologie könnte bei genetischen Krankheiten die einzige Therapiehoffnung sein.

US-Forscher haben ein Moratorium ins Spiel gebracht, um Studien zur Veränderung der DNA mit Werkzeugen des Genome editing vorerst auszusetzen. Wäre das eine Lösung?

Das lässt sich schwer sagen. In jedem Fall müssten sich aber sehr viele Forscher daran beteiligen. Schwierig ist, dass die Werkzeuge bereits weltweit bekannt sind und in der Praxis angewandt werden. Fraglich ist deswegen, ob sich die­se Entwicklung noch aufhalten lässt. //


ZUR PERSON

Die Molekularbiologin Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier, Jahrgang 1968, forscht seit 2013 an der Medizinischen Hochschule Hannover und am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Im Jahr 2013 erhielt sie die mit fünf Millionen Euro dotierte Alexander von Humboldt-Professur. Charpentier war zuvor unter anderem an den Max F. Perutz Laboratories in Wien und am Labor für Molekulare Infektionsmedizin Schweden der Universität Umea tätig.

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