„Der Wissenschaft wird Relativierung zugestanden“
Die Corona-Pandemie stellt hohe Anforderungen an die Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation.
Wie gelingt es, fachlich korrekt, verständlich und glaubwürdig zu kommunizieren? Antworten von Heidrun M. Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und Regina Jucks von der Universität Münster.
Wie können in der Kommunikation über das Coronavirus die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse der Adressaten berücksichtigt werden?
Thaiss: Die BZgA kommuniziert über ihre verschiedenen Mehrebenen-Kampagnen – wobei Ansprache, Medien und Kanäle abhängig von den jeweiligen Ziel- und Altersgruppen variieren. Unter anderem über Social Media können Teilzielgruppen sehr genau adressiert werden. Mit den Kampagnenkanälen von „Liebesleben“ und „Alkohol? Kenn dein Limit“ werden junge Menschen beispielsweise auf Facebook oder auch Instagram erreicht. Speziell für Bildungseinrichtungen bieten wir kostenfreie Informationsmaterialien wie Videos, aber auch klassische Broschüren, Plakate und kindgerechte Spiegelaufkleber mit Hygienetipps, Verhaltensregeln und -empfehlungen an. Dabei geht der Medienproduktion immer eine spezifische Bedarfs- und Kommunikationsanalyse der entsprechenden Zielgruppen voraus. Die Entwicklung erfolgt in der Regel partizipativ mit den Endadressatengruppierungen.
Jucks: Ein wichtiger Aspekt ist „motivated reasoning“: Die Tatsache, dass bestimmte Argumente und Informationen besser in die Vorannahmen der Personen passen. Wie wird dies berücksichtigt und auch direkt adressiert? Wenn Fachinformationen gegen die Intuition wirken müssen, bedarf es überfachlicher Kenntnisse, Argumente hinsichtlich der Qualität zu bewerten, kritisch zu hinterfragen und auf der Grundlage methodischer Kenntnisse bewerten zu können. Kurz: Es werden Kenntnisse benötigt, die den eigenen Vorannahmen ein Schnippchen schlagen und einen dazu befähigen, die zu den Daten und Bewertungen passenden Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wie bekommt man die Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und klare Kommunikation mit verbindlichen Aussagen unter einen Hut?
Jucks: Das ist in der Tat ein zweischneidiges Schwert. Am Beispiel der Mund-Nase-Bedeckung lässt sich dies gut zeigen: Mit Blick auf die Durchsetzung einer Maßnahme in der Öffentlichkeit ist eine klare, verbindliche Kommunikation wichtig. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird diese abwägende und relativierende Kommunikation zugestanden, und sie wirkt positiv auf das Vertrauen gegenüber dieser Personengruppe. Interessenvertretern nimmt man diese relativierende Kommunikation nicht ab und bewertet sie stärker als mangelnde Kompetenz. Zumindest kurzfristig beziehungsweise auf diese konkrete Maßnahme bezogen ist ein Hü-und-Hott kontraproduktiv. Andererseits ist es wichtig, dass, wenn Personen neue und widersprüchliche Informationen erfahren, sie darauf vorbereitet sind, diese kritisch zu erwägen und einzubeziehen. In der Sozialpsychologie wird das als kognitive Impfstrategie bezeichnet: eine kleine Dosis einer ungewollten Einstellung wird den Personen zur kognitiven Bearbeitung gegeben, mit der Erwartung, dass bei dem Eindringen von größeren Mengen solcher Einstellungen schon Gegenargumente vorliegen, die zur Entkräftung genutzt werden können.
Thaiss: Die größte Herausforderung im Themenfeld Coronavirus ist tatsächlich die zum Teil noch unvollständige, unsichere und in schnellem Wachstum befindliche wissenschaftliche Evidenz – hinzu kommt die Dynamik der Pandemie selbst. Die BZgA-Inhalte basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und werden stetig an aktuelle Ergebnisse und Bedarfe angepasst, wie sie zum Beispiel durch das COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO) zusammen mit der Universität Erfurt erhoben werden. Ziel der COSMO-Studie ist die Ermittlung eines bundesweiten Stimmungsbildes zur aktuellen Covid-19 Situation in Deutschland. Die BZgA steuert Fragestellungen – zum Beispiel zur Belastung von Familien mit Kindern oder die Einhaltung der AHA-Regeln – bei. Die Ergebnisse zeigen Informations- und Unterstützungsbedarfe, zum Beispiel auch für die Gruppe der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die in die Weiterentwicklung der Programme einfließen. Nicht zuletzt dient dieser Prozess auch der Qualitätssicherung und -entwicklung.
Wie viel Wissenschaftlichkeit ist zumutbar?
Thaiss: Wir setzen uns als Gesundheitsbehörde mit dem Schwerpunkt Public Health dafür ein, dass alle Menschen Zugang zu passenden Gesundheitsinformationen und -angeboten haben – und unterstützen sie darin, für ihre Gesundheit zu sorgen, selbstbestimmt zu handeln und für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Um die Menschen zu erreichen, müssen wir uns nah an ihrem Alltag und ihrer aktuellen Lebenswirklichkeit bewegen. Für eine glaubwürdige Information ist es für uns notwendig, trotz der breiten Themenvielfalt immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft unterschiedlichster Disziplinen zu sein, zum Beispiel der Grundlagenforschung in Medizin und Biologie, aber auch der Kommunikationspsychologie oder der Didaktik, der Gesundheitsökonomie und der Soziologie. Dabei gilt es, wissenschaftliche Erkenntnisse für die verschiedenen Lebenslagen der Menschen aufzubereiten und so ihre Gesundheitskompetenz zu fördern. Zum Beispiel können das Tipps sein, wie soziale Kontakte und Dating unter „Corona-Bedingungen“ gelebt werden können. Oder wie Menschen im höheren Alter zum Beispiel per Videochat mit ihrer Familie Kontakt halten können.
Jucks: Hier muss zwischen Detailliertheit und einer Metakommunikation über die Arbeitsweise in der Wissenschaft unterschieden werden. Wissenschaftlichkeit, Bezug auf die in der Wissenschaft gültigen Formen der Generierung und des Verwerfens von Erkenntnissen zu nehmen, scheint mir essentiell. Wenn wir es schaffen, dies im Rahmen einer (hoch)schulischen Bildung zu vermitteln, ist das mehr als die halbe Miete. Es geht nicht um volle inhaltliche Transparenz. Das führt in die Irre und verkennt wie voraussetzungsreich die Themen fachlich sind. Wenn in der Öffentlichkeit bestimmte Kennzahlen als Parameter des Infektionsgeschehens diskutiert werden, ist das insofern erfreulich: Auch wenn an manchen Stellen aus fachlicher Sicht zu kurz gesprungen wird, ist eine Orientierung auf in der Wissenschaft geltende Parameter eine wissenschaftsfreundliche Entwicklung.
Heidrun M. Thaiss
Prof. Dr. Heidrun M. Thaiss ist Humanmedizinerin und leitet seit 2015 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die auf verschiedenen Kanälen, unter anderem auf der Seite www.infektionsschutz.de Informationen zur Pandemie für die Bevölkerung zur Verfügung stellt, sowie telefonisch und per E-Mail berät. Die BZgA ist eine Fachbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums.
Prof Dr. Regina Jucks ist Psychologin und leitet am Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung an der Universität Münster die Arbeitseinheit Sozialpsychologische Grundlagen von Erziehung und Unterricht & Zentrum für Hochschullehre. Sie forscht mit ihrem Team schwerpunktmäßig zu der Wirkung von Informationen auf die Adressaten und zur Science Education.
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