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Der Weg ist noch lang

Es ist an der Zeit, sich mit den didaktischen Implikationen für die digitale Lehre zu befassen – ein Gastkommentar von Marc Beutner, Wirtschaftspädagoge an der Universität Paderborn.

Im Zuge der Bemühungen des Bildungssystems und der Bildungspolitik zur Schaffung von angemessenen und umsetzbaren Lernangeboten während der Corona­Pandemie sind sowohl Schulen als auch Hochschulen verstärkt gefordert, bisherige Wege des Unterrichtens zu überdenken und umzugestalten. Dabei kommen zunehmend Diskussionen um digitale Lehr-­/Lernangebote auf. Auch wenn diese Angebote nicht generell neuartig sind, so führt uns die aktuelle Krise derzeit klar vor Augen, dass die Anwendung von digitalen Lernangeboten bei Weitem noch nicht angemessen umgesetzt ist.

Im Vorfeld der Corona-­Situation wurde in der Bildungspolitik vorrangig über die Schaffung technischer Voraussetzungen diskutiert. So wurden Schulen mit Smartboards, PCs, Laptops oder Tablets ausgestattet. Doch das ist zur Umsetzung längst nicht genug. Technisches Equipment ist zwar eine notwendige Voraussetzung, aber kein Garant für die Umsetzung digitaler Lernangebote. Vielmehr geht es um die Kompetenzen von Lehrkräften, Dozentinnen und Dozenten, die mit den technischen Gegebenheiten umgehen können müssen.

Somit sind sowohl organisatorische als auch didaktische Kompetenzen für eine passende Umsetzung vonnöten. Hier ist es wichtig zu sehen, dass mit digitalen Lernangeboten verschiedene Aufgaben und Herausforderungen einhergehen: etwa das Erstellen von Lernmaterialien und Aufgaben, Kommunikations­- sowie Feedbackstrukturen, Betreuungsangebote, Umgang mit Datenschutz und Rechten, technische Unterstützung der Lernenden sowie der Umgang mit kooperativen Lösungen auf Lernplattformen und Clouds, mit dem Internet und Rechercheaufgaben und mit der unterschiedlichen Qualität von Open Educational Resources.

Digitale Lehr-/­Lernangebote wurden bisher sehr begrenzt eingesetzt – in der Regel von Lehrenden, die bereits eine Affinität zu digitalen Medien hatten. Die neue Situation stellt nun einen breiten Kreis von Lehrenden vor diese Aufgabe. Schaut man sich den aktuellen Umgang damit in der Corona-­Zeit an, so findet man Lösungen von Lehrkräften, die durchaus überraschen. Wurde zuvor noch intensiv über die vielen Aspekte des Datenschutzes geredet, so werden nun Aufgaben teilweise auch über Wege versendet, die zuvor stark in der Kritik standen, etwa Skype, Whatsapp und begrenzt abgesicherte Cloud­Lösungen.

E-Learning: Herausforderungen und Potenziale für die Didaktik

Lehrkräfte sowie Dozentinnen und Dozenten bringen sich intensiv ein und sind um den Kontakt mit den Lernenden bemüht. Zudem setzen sie sich dafür ein, den Lernenden Materialen zur Verfügung zu stellen, mit denen diese arbeiten können. Oftmals werden hier E­Mail­ oder Download-Lösungen über Clouds umgesetzt. Doch genau in dieser Situation treten auch eine Reihe von Kompetenz­ und Informationsdefiziten zutage.

Bisweilen werden Aufgabenstellungen nicht speziell für den digitalen Gebrauch entwickelt, sondern Scans von Lehrbuchseiten versendet oder reihenweise Aufgaben aus Lehrbüchern vergeben. Interaktive Modelle beschränken sich häufig auf Lösungen wie Videomeetings auf Skype oder Zoom. Hier wird einfach das Sehen und Hören des Gegenübers fokussiert und oftmals nicht bedacht, dass zwischen den didaktischen Anforderungen an Unterricht und einer Konferenz oder einem Meeting durchaus Unterschiede bestehen.

Lernplattformen mit geregelten Kursen, wie sie etwa mit Moodle, Ilias, CLIX, Learning Space, Blackboard oder anderen Lern­-Management­-Systemen möglich sind, kommen aktuell eher weniger zum Einsatz. Dies ist zum einen damit zu erklären, dass die Schulen die technischen Voraussetzungen dazu noch nicht haben, zum anderen damit, dass die Lehrkräfte mit solchen Plattformen noch nicht vertraut sind. Hier wird auch deutlich, dass oftmals eigene Materialien der Lehrkräfte oder Bildungsgänge wenig Anwendung finden, sondern stattdessen auf vorgefertigte Lösungen vertraut wird – wenngleich diese nicht immer zwingend zu den jeweiligen Curricula oder zum aktuellen Lernfortschritt passen.

Blogs, zum Beispiel als Dokumentationstagebuch oder zur Online­Projektdokumentation, werden in der Breite wenig eingesetzt. Auch wenn einige Schulen sie bereits vor der Corona­-Krise zur Praktikumsdokumentation genutzt haben, scheint eine durchgängige Befähigung für den Umgang damit nicht zu bestehen. Massive Open Online Courses (MOOCs), die in einfachen Formen bereits leicht umsetzbar sind, werden ebenfalls nur begrenzt eingesetzt. Auch Wikis könnten verstärkter in die Lehre einbezogen werden, da sie das Potenzial der Selbstorganisation und ­-strukturierung mit sich bringen und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema erfordern.

Die Nutzung von virtuellen Klassenräumen ist ebenfalls eher selten zu beobachten, obgleich hier Klassensituationen mit fragend­-entwickelndem Unterricht, mit Gruppenarbeiten, Einzelaufgaben, Diskussionen und Präsentationen sowie Online­-Abfragen und -Aufgabenstellungen recht angemessen abbildbar wären. Insbesondere bei den virtuellen Klassenräumen fehlen oft die technischen Voraussetzungen – aber zudem auch Erfahrungen im Umgang mit dem Medium.

Lehrkräfte müssen Lernprozesse begleiten

Es ist wichtig, dass Lehrkräfte nicht nur die Rolle des Aufgabenverteilers und Kontrolleurs übernehmen, sondern Lernprozesse begleiten. Dabei können beispielsweise Konzepte wie Online­-Sprechstunden-­Zeiten im Netz helfen. Bei digitalen Angeboten ist der didaktisch sinnvolle Einsatz genauestens zu planen und zu reflektieren. Hier kann es nicht allein darauf ankommen, Lerninhalte zur Verfügung zu stellen und die Aufgabenerfüllung zu kontrollieren. Zielsetzungen, thematische Ausrichtung und Methoden sollten auf die Zielgruppe abgestimmt sein. Ein Wechsel von Methoden sowie Formen interaktiver Aufgabenstellungen sind sinnvoll und wichtig.

Hohes Mass an Disziplin gefragt

Berücksichtigt werden sollten die Motivation der Lernenden, zielgruppenadäquate Themenstrukturierung, -­erklärung und ­-reflexion, die Unterstützung bei der Aneignung und somit eine Erleichterung von Lernprozessen sowie eine Rückmeldung über Lernerfolge mit Verbesserungsvorschlägen und Aussagen zu Stärken. Auch eine Förderung und Unterstützung im Rahmen des selbstgesteuerten Lernens und die aktive Einforderung und Unterstützung von Kooperation und Kommunikation sind wichtig.

Hier können Flipped­-Classroom-­Konzepte einen sinnvollen Anker für die Organisation und Strukturierung bilden. Sie haben zum Ziel, mehr Raum für interaktive Zusammenarbeit mit den Lernenden zu schaffen. Dies geschieht, indem klassische Erklärungsphasen nicht mehr durch die Lehrenden erfolgen, sondern in ein Selbststudium verlagert werden, um anschließend eine Basis für eine gemeinsame Reflexion und Vertiefung zu bieten. Das stellt durchaus Anforderungen an die Lernenden, sodass immer reflektiert werden sollte, inwieweit dieses Vorgehen für die Lernenden beziehungsweise ihren aktuellen Selbstorganisationsgrad als angemessen und umsetzbar eingestuft werden kann.

Das Sommersemester 2020 wurde auf virtuelle Lehre umgestellt, sodass Module online angeboten werden. Das geht mit anderen Aufgaben und Erfahrungen bei Lehrenden, Dozentinnen und Dozenten sowie bei den Studierenden einher. Lehrende müssen die Zielsetzungen und thematische Ausrichtung an verschiedene Mediennutzungen anpassen und hier im Vorfeld Überlegungen zur Auswahl und Umsetzung anstellen. Inhalte gilt es vorzustrukturieren und in Teile zu zergliedern, die in Online­-Medien behandelbar sind. Mit der Nutzung von Videostreams können Vorlesungen zwar aufgezeichnet werden. Doch erfolgt hier aufgrund des Kontaktverbots in der Corona­-Situation gegebenenfalls keine unmittelbare Studierendenkommunikation, so dass eine solche im Stream auch nur sehr begrenzt dokumentiert werden kann. Hier sind zusätzliche synchrone und asynchrone Kommunikations-­ und Betreuungskanäle sinnvoll, zum Beispiel über Zoom-­Meetings, Chats zum Modul, Diskussionsforen sowie Online-­Sprechstunden im Netz.

Gut abgestimmtes Vorgehen vonnöten

Im Sinne des Flipped Classroom sind Aufgaben und begleitende Unterlagen wie Texte, Audios und Kurzvideos gegebenenfalls vor der Veranstaltung zur Vorbereitung zur Verfügung zu stellen. Somit könnte dann in den Kommunikations­- und Betreuungskanälen eine vertiefende Reflexion erfolgen. Für die Lernenden heißt das, dass zum einen disziplinierte Teilnahme sowie Vor­- und Nachbereitung notwendig sind. Zum anderen müssen sie sich auf die veränderten Informationskanäle einstellen und aktiv an Aufgaben arbeiten. Dabei ist es wichtig, sich der neuen Rolle im Rahmen des selbstorganisierten Lernens bewusst zu werden. Es ist eine besondere Herausforderung, die unterschiedlichen Aufgaben selbstorgansiert und zeitgebunden zu bearbeiten. Hier ist eine klare Zeitplanung hilfreich und strukturiert die eigenen Lernprozesse.

In Hochschulen und Schulen erfordert Digitalisierung auf Bildungsgangebene Abstimmung. Zum einen gilt es, sich über die technischen Notwendigkeiten zu verständigen und diese zu etablieren. Eine besondere Herausforderung ist die Schulung der Lehrenden für den didaktisch adäquaten Umgang mit den digitalen Angeboten und Methoden. Es muss jedoch auch eine inhaltliche Abstimmung erfolgen, um Dopplungen zu vermeiden und ein gemeinsames Arbeiten an einem Ziel zu ermöglichen.

Lehrkräfte sowie Dozentinnen und Dozenten sollten in digitalen Kontexten nicht als Einzelkämpfer agieren. In der Regel ist es wichtig, den Lernenden einen Eindruck von einem Gesamtkonzept zu vermitteln. Hierzu tragen die verschiedenen Lehrenden aktiv bei, indem sie die Ziele, Themen und Inhalte miteinander abstimmen und sich über die Ausrichtung und die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen informieren. Organisatorisch bedarf es zudem Verantwortlicher, zum Beispiel Teamleiter, Bildungsgangleiter, Departmentsprecher oder IT-­Fachkräfte. Hier geht es darum, Aufgaben zu koordinieren und die technischen Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen.

Wichtig ist allerdings, dass jede Lehrkraft individuell die Verantwortung übernimmt. Oft wird eingebracht, vieles sei wegen technischer oder organisatorischer Rahmenbedingungen nicht umsetzbar, was oftmals ein vorgeschobenes Argument ist, wie sich an einer Fülle von Umsetzungen in Schulen und Hochschulen leicht illustrieren lässt. Eigenverantwortung bedeutet auch, sich selbst aktiv mit den Möglichkeiten von digitalen Angeboten auseinanderzusetzen und nicht auf eine Aufforderung oder Unterstützung zu warten. Es muss ja nicht immer eine hervorragende High-End­-Lösung sein. Vielmehr ist es wichtig, weitere Schritte zu gehen und selbst zu lernen.

Lehrkräfte, Dozentinnen und Dozenten leisten aktuell hervorragende Arbeit. Diese gilt es weiter zu verstetigen, zu verbessern und auszubauen. //


Marc Beutner

Prof. Dr. Marc Beutner ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn.

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