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Armut im Vorzimmer

Seit Jahren werden Hochschulsekretärinnen Managementqualitäten abverlangt, aber nicht bezahlt. Oft  müssen sie das ganze Pensum in Teilzeit schaffen. Die Schere ist mittlerweile so weit auf, dass manche Sekretärin einen Zusatzjob hat, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Im Januar trat ein Tarifvertrag in Kraft.

Sekretärinnen halten Chefs nicht nur den Rücken frei und den Betrieb am Laufen. Mitunter machen sie auch einen Analphabeten wie Bing Crosby zum Star: Dessen Sekretärin hielt Crosbys Weihnachtsschnulzen für die Welt schriftlich fest. „So ist das mit uns, wir müssen alles können“, sagt Verena Alban, die in Wirklichkeit anders heißt und als Sekretärin an einem ingenieurwissenschaftlichen Lehrstuhl einer westdeutschen Universität arbeitet. „Doch Crosbys Sekretärin wird wesentlich mehr verdient haben als wir Hochschulsekretärinnen“, schiebt Alban hinterher. Leicht möglich. Denn die Anforderungen und die Bezahlung von Lehrstuhlsekretärinnen laufen drastisch auseinander.
Albans früherer Chef hat dies weidlich genutzt. Obwohl nur halbtags eingestellt, musste sie das Pensum eines ganzen Tages erledigen. Um als Alleinerziehende von drei Kindern unter 15 Jahren finanziell über die Runden zu kommen, nahm sie zusätzlich eine Viertelstelle im Dekanat an. Das brachte ihr zwar etwas mehr Geld, durch die zusammenhanglosen Arbeitsfelder aber auch erhebliche Zusatzlasten. „Deshalb wechselte ich sofort, als mir mein jetziger Chef eine Stelle anbot“, sagt Alban. Das hat sie nicht bereut.

Nebenjob am Wochenende

Der neue Vorgesetzte ermöglicht Alban Fortbildungen und erkämpfte für sie eine Höhergruppierung nach Entgeltgruppe sechs Stufe vier und die Aufstockung der Arbeitszeit auf 75 Prozent. Trotzdem bleibt es knapp. Alban verdient jetzt 1.793 Euro im Monat plus 50 Prozent der kinderbezogenen Entgeltbestandteile für die ersten beiden Kinder von rund 148 Euro sowie Kindergeld, von dem ihr aber nur die Hälfte zusteht. Das Finanzpolster für Anschaffungen muss sich Alban mit Aushilfsarbeiten an Wochenenden verdienen, an denen die Kinder beim Vater sind. Was sie besonders ärgert: „Ohne Druck und einen guten Chef hätte ich noch weniger.“ Hochschulsekretärinnen treibt dieser Missstand seit Jahrzehnten auf die Barrikaden.

Aber erst jetzt, mit dem seit diesem Januar geltenden Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), finden ihre Forderungen Gehör. „Bisher wurden viele Anträge auf Höhergruppierung abgelehnt und gemeinsame Aktionen liefen ins Leere“, sagt Gabriele Hillebrand-Knopff, Sprecherin der Kommission für Mitarbeiterinnen in Technik und Verwaltung (MTV) in der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (Bukof). Seit ihrer Gründung 1989 unterstützt die Bukof mit juristischer Fachkenntnis, wissenschaftlichen Studien und Handlungsanleitungen etwa zu Wertegleichheit von Tätigkeiten die Forderungen der MTVs, die mit rund 65 000 Angestellten die größte Personalgruppe an Hochschulen ist. An vielen Hochschulen organisieren sich mittlerweile die Sekretärinnen, um auf den eklatanten Wandel ihres Berufsbildes hinzuweisen.

Protestbriefe an die Politik

In Hessen und Baden-Württemberg haben Hochschulsekretärinnen bereits 1991 demonstriert und auch in anderen Bundesländern gab es Initiativen, die auf die extremen Unterschiede zwischen den Managementleistungen der Sekretärinnen und deren Bezahlung aufmerksam machten. Renate Döring, Gleichstellungsbeauftragte der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), erinnert an Aussagen, die den abschätzigen Blick auf Sekretärinnen entlarven: „Einem Mann kann man doch auf so einer Stelle keine Perspektive bieten!“ Sekretärinnen der LMU, der Technischen Universität München und der Hochschule München kritisierten Diskriminierung und antiquierte Vergütungsregelungen im Jahr 2009 in offenen Briefen an Hochschulchefs und Ministerpräsident Horst Seehofer.

Der Tenor der Protestbriefe: Hochschulsekretärinnen müssen mehrere Aufgaben parallel meistern, hohe Organisationsfähigkeit und Urteilskraft besitzen, eigenverantwortlich entscheiden, wissenschaftliche Texte zum Teil auch in Fremdsprachen Korrekturlesen, Studierende beraten, Präsentationen erstellen, Homepages pflegen, Personalangelegenheiten und meist erhebliche Dritt- und Hochschulmittel verwalten. Ein Spektrum, das auch die Ende Januar eröffnete Wanderausstellung „Mit Schirm, Charme und Methode“ an der Uni Hannover zeigt. „Deshalb fordern wir“, so das Fazit des Münchener Protestes, „dass unsere Tätigkeit als Assistentin im Wissenschaftsbetrieb neu definiert und dementsprechend höher eingruppiert wird.“

Mit diesen Forderungen standen die Sekretärinnen nicht allein: „Fast alle anderen Berufsgruppen, einschließlich Professorinnen und Professoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unterzeichneten die Forderung“, sagt Döring. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat, die bereits 1998 einen eigenen Wissenschaftstarif befürworteten, erkennen offenbar die Leistungen der Sekretärinnen an. In einer Entschließung des HRK-Senats von Mitte Februar 2004 wird explizit auf den Wandel der Kompetenzanforderungen in Hochschulsekretariaten verwiesen. „Absehbar sind Mischarbeitsplätze, an denen (...) in zunehmendem Umfang Managementtätigkeiten in allen Bereichen der Forschung, Lehre, wissenschaftlichen Weiterbildung und des Wissenstransfers anfallen werden, die der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) nicht erfasst“, heißt es darin.

„Im Gegensatz zum BAT lässt der TV-L mehr Möglichkeiten zu, individuelle Kompetenzen besser zu entlohnen.“

Doch obwohl der BAT bereits 2006 beerdigt und durch den sogenannten TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) ersetzt wurde, einigten sich die Tarifparteien erst im Laufe des vorigen Jahres auf neue Tätigkeitsmerkmale. Allerdings blieben die Sekretariatsarbeiten unter allgemeiner Verwaltung subsumiert. Einziger Trost: „Im Gegensatz zum BAT lässt der TV-L mehr Möglichkeiten zu, individuelle Kompetenzen besser zu entlohnen“, sagt Goran Krstin, Präsidiumssprecher der Freien Universität (FU) Berlin.

Fortschritte entdeckt auch Uwe Meyeringh, Fachbereichsleiter für Bildung, Wissenschaft, Forschung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Nordrhein-Westfalen. „Die Tätigkeitsmerkmale sind im TV-L aktualisiert worden und die Einstiegsgruppierungen höher“, sagt Meyeringh. Vom Tisch seien Anfangsvergütungen für Sekretärinnen, die in der Entgeltgruppe drei etwa in Baden-Württemberg bei 1761,56 Euro lagen. „Außerdem bietet der neue Tarif ein Raster, das es bei gutem Willen den Hochschulen ermöglicht, Höhergruppierungen durchzusetzen.“ So könnten Hochschulen durch Personalentwicklung wie etwa Kurse zur Vertiefung von Fremdsprachenkenntnissen eine bessere Bezahlung durchsetzen. „Heutzutage startet eine Sekretärin mit einer Fremdsprache, in der sie die übliche Korrespondenz und einfache Übersetzungen erledigt, mit Entgeltgruppe sechs statt wie bisher mit fünf“, sagt Meyeringh. Weitere Fremdsprachen brächten automatisch höhere Einstiegsgruppen.

„Ob sich der neue Tarifvertrag der Länder auszahlt, muss aber sehr genau geprüft werden.“

Initiative zeigte die FU Berlin und stellte die Fremdsprachensekretärinnen von sich aus finanziell besser: „Wir haben dies durch eine vom Präsidium getragene und beschlossene übertarifliche Regelung aufgefangen“, sagt Krstin. Bundesweit gilt der neue TV-L für alle ab diesem Jahr neu Eingestellten oder Sekretärinnen mit veränderter Tätigkeit. Die, die davor ihren Job antraten, können bis Ende 2012 eine Bezahlung nach dem neuen Tarif beantragen. „Ob sich das auszahlt, muss aber sehr genau geprüft werden“, warnt Verdi-Bereichsleiter Meyeringh. Langjährige Sekretärinnen könnten mit dem alten Vertrag bessergestellt sein, da die Gehaltsentwicklung im neuen Tarif abflacht. Nicht immer führen die neuen Höhergruppierungen also zu echten Einkommenszuwächsen.

Neuer Tarif, alte Probleme

Der Durchbruch zu einem gerechteren Tarif blieb insgesamt jedoch aus. Zu stark sei der alte BAT noch sichtbar, erklärt die Bukof. Zum Beispiel gilt weiterhin die sogenannte 50-Prozent-Regelung: Demnach schlagen sich besondere Qualifikationen nur im Gehalt nieder, falls sie für mehr als die Hälfte der Arbeitszeit notwendig sind. „Wenn man aber Russisch können muss, dann muss man es können, ob nun für 20 Minuten am Tag oder für 20 Tage im Monat“, betont Bukof-Sprecherin Hillebrand-Knopff das Problem und fordert: „Es darf keine summarische Arbeitsbewertung mehr geben, mit der die Arbeit in Prozentzahlen und Zeitanteilen ausgedrückt wird.“ Vielmehr sollte eine analytische Bewertung erfolgen, ausgerichtet an das Anforderungs- und Belastungsprofil eines Arbeitsplatzes.

„Deutschland hinkt mit der Anerkennung solcher Qualifikationsmerkmale zurück.“

Dass Leistung nicht mit kleinteiliger Zergliederung erfasst werden kann, bestätigt Prof. Dr. Dieter Frey, einer der Unterstützer-Professoren der LMU. Hinzu kommt: „Wir haben viel zu wenig Vergütungsspielraum bei insgesamt zu niedrigen Gehältern – übrigens auch für anderes Universitätspersonal.“ Er weiß aber auch, wie schwierig es ist, eine leistungsgerechte Vergütung umzusetzen. Denn jede neue Gerechtigkeit schafft auch ein gefühltes Ungleichgewicht. Deshalb ist für den Sozialpsychologen „prozedurale Fairness“ geboten: Verbesserungen müssten immer wieder begründet werden. Letztlich sollte dieser Begründungsmarathon auch das Kernproblem sogenannter Frauenberufe freilegen: den ungleichen Wert weiblicher und männlicher Qualifikationen. Flexibilität, soziale oder kommunikative Kompetenzen, die bei Managern gehaltsrelevant sind, werden bei Sekretärinnen implizit erwartet.

„Deutschland hinkt mit der Anerkennung solcher Qualifikationsmerkmale hinterher, gerade auch nach EU-Recht“, kritisiert Bukof-Sprecherin Hillebrand-Knopff. Der gesellschaftliche Blick auf die Frauenberufe müsse sich verändern. „Wir sind bereit, für die Reparatur einer Steckdose 80 Euro zu bezahlen, während beispielsweise Erzieherinnen und Pflegerinnen ihr Bestes für unsere Kinder und Eltern geben sollen – für ein schändlich niedriges Gehalt“, sagt sie. Auch an Hochschulen würden technische Berufe tendenziell eher als vorwiegend weibliche Verwaltungsberufe in höhere Gehaltsgruppen eingestuft.

Dagegen hilft wohl auch das Zertifikat für Management im Hochschulsekretariat nicht, das das Sekretärinnen-Netzwerk der Uni Trier als Fortbildungsprogramm entwickelte. Eine Hochstufung ist nur über einen akademischen Grad möglich, mit dem etwa ein Bachelor-Absolvent gleich in Gehaltsgruppe neun einsteigt. Was die mit dem Frauenförderpreis der eigenen Hochschule ausgezeichnete Weiterbildungsinitiative aber erneut bestätigt: Sekretärinnen kämpfen kreativ, selbstbewusst und solidarisch für ihre Besserstellung. Und für die Wertegleichheit von Arbeit.

Laut EU-Recht muss gleichwertige Arbeit – also Tätigkeiten, die inhaltlich ungleich, von den Anforderungen und Belastungen her aber gleichwertig sind – gleich vergütet werden. „Das ist die Richtschnur, nach der unterschiedliche Tätigkeiten von Frauen und Männern miteinander verglichen werden müssen“, argumentieren die Juristinnen Dr. Karin Tondorf und Dr. Andrea Jochmann-Döll.

Dass im neuen Tarif an der Stelle ein alter Systemfehler steckt, ist Verdi bekannt. „Deshalb ist der neue TV-L nur ein erster Schritt“, sagt Gewerkschaftsvertreter Meyeringh. Im zweiten Schritt werde es darum gehen, für bestimmte Berufsgruppen einschlägige Merkmale auszuloten, die „pilothaft ausgetestet werden“. Ab dem Sommer könnten die Versuche starten. Verdi will damit ein diskriminierungsfreies Tarifsystem, das die Wertegleichheit von Arbeit garantieren soll. Meyeringh: „Öffentliche Arbeitgeber haben dafür eine besondere Strukturverantwortung.“ Auch angesichts dessen, dass Frauen insgesamt noch immer 23 Prozent weniger verdienen als Männer.

Die Verantwortung des Staates und der Länder aber droht an den klammen Hochschulbudgets zu scheitern. Denn im Kampf um renommierte Wissenschaftler legen Hochschulen finanzielle Köder aus, die an anderer Stelle jeglichen Spielraum beschneiden. „An den Hochschulen gibt es einen in der Wertigkeit festgelegten Stellenetat“, erläutert Hillebrand-Knopff. Was darüber hinaus anfalle, müsse selbst bezahlt werden. Im Klartext: Wenn ein Professor seine Sekretärin höher einstufen will, muss er das Geld von der Forschung abknapsen oder sich um zusätzliches Geld bemühen. An der FU Berlin gehen viele Hochschullehrer trotzdem diesen Weg. „Jede budgetierte Einrichtung wendet eigene Mittel auf, um besonders qualifizierte Sekretariatsarbeit durch Vorweggewährung von Erfahrungsstufen oder Zulagen besser bezahlen zu können“, sagt Sprecher Krstin.

Mehr Geld in freier Wirtschaft

Viele Hochschulen und Einrichtungen scheuen aber immer noch die Mehrkosten und den Aufwand der Mittelakquise und verweisen schlicht und nicht immer zu Recht auf den TV¬L. Gleichzeitig werden Lehrstuhlsekretärinnen zunehmend nur noch in Teilzeit eingestellt. Manche von ihnen, wie einst Verena Alban, arbeiten an mehreren Arbeitsplätzen, um auf eine ganze Stelle zu kommen.

„Sekretärinnen sind oft die einzige Kontinuität an Lehrstühlen, sie wissen über alles Bescheid.“

Meyeringh geht davon aus, dass qualifizierte Mitarbeiterinnen langfristig abwandern werden. Schlechte Bezahlung und fehlende Ganztagsstellen könnten einen Personalmangel auslösen. „Sekretärinnen sind oft die einzige Kontinuität an Lehrstühlen, sie wissen über alles Bescheid und arbeiten wie Assistentinnen in der Wirtschaft“, sagt er. Dort aber würden deutlich höhere Gehälter gezahlt: Qualifizierte Chefsekretärinnen verdienten das Eineinhalbfache bis Doppelte, durchschnittlich rund 50.000 Euro, in Dax-notierten Unternehmen bis zu 65.000 Euro.
Summen, von denen Hochschulsekretärinnen nur träumen können. Auch deshalb zieht Bukof-Sprecherin Hillebrand-Knopff ernüchtert Bilanz: „Die Prekarisierung von weiblicher Berufstätigkeit ist nun auch in den Hochschulen angekommen.“

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