// Editorial: Compliance //
Es gibt viele tief sitzende Vorurteile in dieser Welt. Negative ebenso wie positive. Zu Letzteren zählt die Vorstellung, dass die Wissenschaft nach strengen, oft selbst auferlegten ethischen Regeln agiert und sich ihre Mitglieder gesetzestreu verhalten. ...
… Doch weit gefehlt. Die seit den 90er-Jahren des letzten Millenniums vorangetriebene Autonomie von Hochschulen und die Notwendigkeit, Mittel bei Dritten, oft von ganz eigenen Interessen geleiteten Akteuren aus der Wirtschaft, zu besorgen, hat nie da gewesene Freiräume für nicht regelkonformes Handeln geschaffen.
Oder anders formuliert: Lug und Betrug, Korruption, Bereicherung und Interessenkonflikte sind in der Welt der Wissenschaft zwar nicht an der Tagesordnung, aber durchaus in den Bereich der Möglichkeiten gerückt. Was dagegen tun? Eine Antwort darauf lautet „Compliance Management“. Es sorgt für klar formulierte Regeln und Richtlinien, die von allen Mitarbeitern eingehalten werden müssen. „Compliance darf sich nicht nur im Konfliktfall zeigen, sondern muss auch im Alltag greifbar sein“, fordert Dr. Harald Schneider, Compliance-Beauftragter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
Was aber passiert, wenn Compliance als Nebensache behandelt wird? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihren Apotheker, sondern zum Beispiel bei den Universitätskliniken in Göttingen, Hamburg oder Heidelberg nach, wie sich der vor gut zehn Jahren aufgeploppte Transplantationsskandal ausgewirkt hat. Sie erinnern sich: Dort sollen Mediziner jahrelang Krankenakten und Spenderlisten gefälscht haben, um ihre Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen. Darunter zahlungskräftige Patienten aus dem Ausland. Hintergrund: Rund 1,2 Milliarden Euro setzen deutsche Krankenhäuser im Jahr um, darunter übrigens auch viele Universitätskliniken – so eine Schätzung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg aus dem Jahr 2017.
Die Folgen: Noch weniger Deutsche als ohnehin schon sind bereit, ein Organ zu spenden, und die deutsche Universitätsmedizin erleidet einen immensen Reputationsverlust. Ein Paradebeispiel, welche erheblichen Risiken es mit sich bringt, wenn Mitarbeiter eines Unternehmens das Gesetz und interne Richtlinien mit den Füßen treten, ist übrigens der Volkswagenkonzern: rechtliche Sanktionen, hohe finanzielle Verluste und ein gigantischer Imageschaden haben das deutsche Vorzeigeunternehmen nah an den Rand des Abgrunds katapultiert.
DUZ Wissenschaft & Management 02/2020 vom 06.03.2020