Ohne Reibung geht es nicht
Manche Klimabilanz sieht schöner aus, als sie tatsächlich ist. Wer wirklich nachhaltig wirtschaften will, muss weniger verbrauchen, mahnt Ralf-Dieter Person vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung in Hannover. Dort befasst er sich mit Klimaschutz und Energiemanagement.
DUZ: Viele Hochschulen dokumentieren ihre Bemühungen im Klimaschutz mit einer CO2-Bilanz. Ist das ein gutes Zeichen?
Ralf-Dieter Person: Das ist ein guter Ansatz, denn es führt zu einer Auseinandersetzung mit den Themen Energie und Klimaschutz. Voraussetzung ist allerdings, dass dabei korrekt gearbeitet wird und eine kritische Auseinandersetzung mit den verwendeten Verfahren erfolgt. In einer CO2-Bilanz lässt sich nämlich einiges schön rechnen – mit teilweise absurden Ergebnissen. Wenn eine Hochschule zum Beispiel Fernwärme aus Müllverbrennung bezieht, sinken dabei ihre CO2-Emissionen je nach Anteil und Berechnungsweise bis auf den Wert null. Das liegt daran, dass die CO2-Bilanz von Produkten wie einem Joghurtbecher im Rahmen seiner Produktion bereits den Energieanteil enthält, der bei der Entsorgung frei wird. Bei der Nutzung der Energie aus der Verbrennung taucht das enthaltene CO2 deshalb nicht mehr auf. Das ist formal und global betrachtet korrekt. Aber sollen wir jetzt mehr Plastikmüll produzieren, damit die CO2-Bilanz unserer Fernwärmebezieher besser wird? CO2-Bilanzen wirken eher nach außen. Für die Festlegung interner Ziele ist es besser, direkt auf die Energieverbräuche zu schauen. Und auf die Kosten. Wenn die im Energiebereich sinken, ist das der beste Indikator.
Die drei Maximen zum Klimaschutz lauten minimieren, substituieren und kompensieren. Welcher Weg ist der beste?
Eindeutig das Minimieren des Energieverbrauchs im Sinne einer Vermeidung von Verschwendung. Allerdings ist das Sub-stituieren – also das Ersetzen von klimaschädlicher durch klimafreundlichere Energie – die Maßnahme, die sich oft am einfachsten umsetzen lässt: Ökostrom verursacht je nach Berechnungsgrundlage etwa um den Faktor zehn weniger Treibhausgase als konventionell produzierter Strom. Dieser Schritt ist also naheliegend, zumal damit keine strukturellen Veränderungen notwendig werden und auch die Mehrkosten eher gering sind.
Warum ist es dann nicht der beste Weg?
Wenn eine Hochschule von ihrem Netzbetreiber zertifizierten Ökostrom aus norwegischen Wasserkraftwerken bezieht, dann sieht das in der eigenen Klimabilanz sehr gut aus. Aber dadurch wird weltweit betrachtet möglicherweise kein einziges Gramm CO2 eingespart. Denn es ist nicht immer sichergestellt, dass in Norwegen als Ersatz für den eigenproduzierten Ökostrom nicht im Gegenzug günstig Kohle- oder Atom-Strom aus Deutschland eingekauft wird. Außerdem gibt es noch ein weiteres Problem: Wie soll ich meine Mitarbeitenden motivieren, Energie einzusparen, wenn die doch schon das Label „klimaneutral“ trägt?
Also lieber kompensieren, das heißt, klimafreundliche Projekte auf der Welt durch Spenden mitfinanzieren?
Das kann global betrachtet durchaus ein guter Weg sein. Erst recht, wenn andere Maßnahmen zur Klimaneutralität vor Ort schon abgeschlossen sind. Oder wenn an anderer Stelle sehr viel leichter und wirksamer ein Fortschritt zu bewirken ist. Es ist ein sinnvoller Ansatz, ein Kohlekraftwerk in Indien durch eine Erdgasanlage zu ersetzen, also erst einmal gegen die schmutzigsten Anlagen auf der Welt vorzugehen, anstatt im eigenen Haus den letzten Kilowattstunden mit hohem Aufwand hinterherzulaufen. Allerdings stellt sich hier oft die Frage der Kontrolle: Wird das Geld auch wirklich verwendet wie vorgesehen und lässt sich die Seriosität der entsprechenden Anbieter überprüfen? Außerdem sollte das Kehren vor dem eigenen Haus nicht vergessen werden.
Dann ist Einsparen die beste Lösung. Aber sicher auch die mit den meisten Widerständen, besonders in Wissenschaft und Forschung.
Es geht ja gar nicht darum, die Forschung oder die Freiheit der Lehre mit dem Argument Klimaschutz rigoros einzuschränken oder den Beteiligten nur etwas wegzunehmen. Wenn ein Superrechner gebraucht wird – und der ist nun einmal energieintensiv –, dann darf das auch in Zukunft nicht zur Debatte stehen. Aber man kann über die Rahmenbedingungen reden: Lässt sich beispielsweise die Kühlung zu seinem Betrieb optimieren? Und vielleicht ist ja auch eine effizientere Nutzung durch verbesserte Rechen-Algorithmen möglich – das fordert dann wieder die Wissenschaftler heraus. Beteiligung ist hier das Zauberwort. Schließlich gibt es viele Maßnahmen, die niemandem wehtun: die Energie-Rückgewinnung aus der Abwärme großer Verbraucher, das Reduzieren von Verlusten oder des Verbrauchs im Standby-Betrieb. Das kostet vielleicht Zeit, Geld und Aufwand. Aber Klimaneutralität ohne Investitionen und Engagement oder auch einmal etwas Reibung – das geht nicht. //
DUZ Magazin 02/2020 vom 21.02.2020