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Potenzielle Amokläufer können gestoppt werden, sagt die Kriminologin Britta Bannenberg. In ihrer Forschung setzt sie auf Prävention.

Wenn sich am 11. März 2020 der Jahrestag des Amoklaufs von Winnenden jährt, wird Prof. Dr. Britta Bannenberg wieder dabei sein. Die Gedenkfeier der Albertville-Realschule zu besuchen, wo ein Jugendlicher vor elf Jahren 15 Menschen und sich selbst tötete, ist für die 55-jährige Gießener Professorin für Kriminologie selbstverständlich: „Diese Taten verändern das Leben der Menschen für immer“, sagt sie. Nicht nur Schüler, die dauerhaft krank wurden, leiden unter den Folgen des Ereignisses, sondern auch jene, die ihr Leben äußerlich uneingeschränkt fortführten.

Britta Bannenberg beschäftigt sich seit 2002 intensiv mit Amokläufen. Damals tötete ein Jugendlicher am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Lehrer und Schüler und dann sich selbst. Es war der erste große Amoklauf in Deutschland. „Ich wollte verstehen, warum er das getan hat und ob es vorher Anzeichen gab“, sagt die Forscherin. Aber selbst das Bundeskriminalamt war damals der Meinung, dass es sich um ein singuläres Ereignis handele, das im Vorhinein nicht zu erkennen sei. Bannenberg glaubte das nicht.

Sie sprach mit den Ermittlern, studierte die Akten und hat seitdem jeden Amoklauf in Deutschland genau untersucht. Sie besuchte Tatorte, Augenzeugen, Angehörige und überlebende Täter. In einer Untersuchung für das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt“ ermittelte sie, dass bei den erwachsenen Amokläufern mehr als ein Drittel an Schizophrenie litt. Bei jungen Tätern kristallisierten sich zu ihrem Erstaunen viele Gemeinsamkeiten heraus.

Es handle sich um stille, zurückgezogene Einzeltäter aus äußerlich intakten Mittelschicht-Familien. Sie fielen vorher nicht durch impulsives, aggressives oder gewalttätiges Verhalten auf. Selbst für die Forscherin wirkten sie mitunter „verstörend in ihrer Normalität“. Dennoch: „Es gibt ein typisches Verhalten von Amoktätern“, sagt Bannenberg, sie hätten eine narzistisch-paranoide Persönlichkeitsstörung, die sich durch Geltungsbedürfnis und fehlendes Einfühlungsvermögen auszeichne. Anders als vielfach vermutet handle es sich nicht um Mobbingopfer. Aber sie seien extrem empfindlich, fühlten sich gedemütigt, schlecht behandelt und machten andere für Misserfolge verantwortlich. Daraus erwachse eine Mischung aus Hass und irrationalen Rachegedanken.

Es gibt subtile Anzeichen im Vorfeld. So sympathisieren die Täter mit Amokläufern, Attentaten und spektakulären Tötungsdelikten. Vor der Tat gibt es eine lange Phase, in der sie sich intensiv mit „Vorbildern“ beschäftigen – etwa mit dem Amoklauf an der Columbine High School am 20. April 1999. „Sie scheinen von den Themen Tod und Töten besessen zu sein“, erklärt Bannenberg. Und sie spielen Gewaltspiele so exzessiv, dass dies sogar Mitschülern auffällt, die selbst gern Killerspiele nutzen. Viele äußern Tötungsphantasien in Internetforen oder gegenüber Freunden, die das allerdings meist nicht ernst nehmen.

Deswegen gründete die Professorin gemeinsam mit dem Aktionsbündnis „Amoklauf Winnenden“ 2015 das Netzwerk „Amokprävention“ mit einem in Gießen angesiedelten Beratungstelefon. Unter 0641-9921571 haben sich seitdem etwa 200 Eltern, Mitschüler, Nachbarn, Schulpsychologen und Studenten gemeldet. „Die meisten Anrufer lagen richtig“, sagt Bannenberg. In 80 Prozent der Fälle schaltete sie die Polizei ein, die nach Waffen suchte, Computer überprüfte und die jungen Leute mit dem Verdacht konfrontierte.

Etwa die Hälfte ging zumindest vorübergehend in die Psychiatrie. Manche räumten dann ein, dass sie bereits in den nächsten Tagen Mitschüler töten wollten. Bannenberg ist sich sicher: „Es sind zahlreiche Taten verhindert worden, weil Lehrer, Eltern oder Mitschüler aufmerksam waren.“ Die Interventionen reichten in der Regel aus, um die Dynamik zu durchbrechen.

Bannenberg, die im nordhessischen Volksmarsen aufgewachsen ist, beschäftigte sich schon während ihrer Promotion mit Gewaltprävention und Täter-Opfer-Ausgleich, bei dem die Täter auch abseits des Strafverfahrens Verantwortung für ihr Unrecht übernehmen und sich entschuldigen. Während ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Halle und Marburg habilitierte sie sich über Korruption und strafrechtliche Kontrolle, ein erstaunlich wenig untersuchtes Phänomen. Das seien schwer zu durchschauende, mühsame Verfahren für Polizei und Justiz, weil die Straftaten in der Regel nicht angezeigt werden. Dahinter steckten meist langjährige unterstützende Strukturen in Verwaltungen und Unternehmen, sagt die Juristin.

Das gilt auch für ein weiteres Thema, mit dem sich die Forscherin in ihrer Zeit als Professorin in Bielefeld einen Namen machte: Doping. „Das ist organisierte Kriminalität pur“, sagt Bannenberg. Als junge Frau mehrfach hessische Meisterin im Langstreckenlauf, fielen ihr damals schon Läuferinnen auf, die plötzlich viel schneller, aber zugleich immer dünner wurden. Auch dahinter steckten unterstützende Strukturen: von Trainern, Betreuern, Sponsoren und Dopinglabors.

2006 zeigte Bannenberg den Radsportler Jan Ullrich wegen des Verdachts auf Betrug an, nachdem berichtet wurde, dass der Star und andere Spitzenfahrer des Teams Telekom mit hoher Wahrscheinlichkeit gedopt waren. In der Folge gab es Hausdurchsuchungen bei Ullrich und seinem Manager Rudy Pevenage. Die Anzeige sei ursprünglich eine Schnapsidee, erinnert sich Bannenberg. Privat kam diese sie teuer zu stehen. Monatelang erhielt sie – wahrscheinlich aus der Fanszene – Drohbriefe, beleidigende und beängstigende Mails, stand zeitweise unter Polizeischutz.

Aktuell kümmert sich ihr Team an der Uni Gießen um ein großes Präventionsprojekt der hessischen Landesregierung. Für die Sicherheitsinitiative „Kompass“, an der sich mehr als 50 Städte und Gemeinden beteiligen, befragen die Kriminologen Bürger nach Angst-räumen, Schlägereien, Einbrüchen, Überfällen und sexuellen Belästigungen. Durch die repräsentativen Befragungen erfahren die Kommunen genauer, welche Sicherheitsprobleme es gibt, wie groß die Dunkelziffer bei Straftaten ist und wo Jugendliche, Trinker, Taschendiebe oder dunkle Ecken die Menschen beunruhigen. Verknüpft wird dies mit Besichtigungen vor Ort, Tipps und Empfehlungen für mehr Sicherheit. „Die Kommunen sind begeistert“, freut sich Bannenberg. //


Britta Bannenberg: MEINE FORSCHUNG

DIE HERAUSFORDERUNG

Aus kriminologischer Sicht ist der Terror weiter eine Gefahr, selbst wenn Anschläge selten sind. Aus den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre resultieren ansteigende extremistische Tendenzen aus allen Richtungen, die uns noch lange beschäftigen werden. Polarisierungen in der Gesellschaft, Hasskommentare, islamistische, rechtsextremistische und linksextremistische Bestrebungen sind stärker geworden. Aber auch Parallelgesellschaften, Clanstrukturen und Organisierte Kriminalität stellen weitere Bedrohungen für den Rechtsstaat dar.

MEIN BEITRAG

Empirische Forschung zu Gewalt, extremistischen Entwicklungen und wirkungsorientierter Kriminalprävention.

DROHENDE GEFAHREN

Die Aufmerksamkeit für Korruption und Wirtschaftskriminalität gerät immer in den Hintergrund, wenn Themen der Gewalt im Vordergrund stehen.

OFFENE FRAGEN

Wie können Clanstrukturen und Organisierte Kriminalität eingedämmt werden?

MEIN NÄCHSTES PROJEKT

Es stehen einige laufende Projekte an, die bearbeitet werden müssen. Dabei geht es um die genannten Themen, aber auch um kommunale Kriminalprävention und das vernetzte Zusammenwirken von Kommunen, Polizei und Zivilgesellschaft, um die Lebensqualität und die Sicherheit zu verbessern.

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