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Aufstand gegen zu viel Lehre

Seit Jahrzehnten fordern die Fachhochschul-Professoren, ihr Lehrdeputat zu reduzieren. Jetzt zieht ihre Interessenvertretung, der Hochschullehrerbund (hlb), in Niedersachsen vor Gericht. Die Kollegen an den Universitäten distanzieren sich.

Zwölf statt 18 Stunden Lehre pro Woche: So stellen sich die Mitglieder des Hochschullehrerbundes (hlb) ihre zukünftigen Arbeitsbedingungen vor. „Das klingt erstmal nach weniger arbeiten und die Forderung bleibt ein wenig blutleer“, räumt der Präsident des hlb, Prof. Dr. Nicolai Müller-Bromley, ein. Doch gebe es für die Position des hlb einen handfesten Grund: „Die 18 Semesterwochenstunden sind rechtswidrig.“ Deshalb haben drei Kollegen aus dem Landesvorstand Niedersachsen vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einen Antrag auf Normenkontrolle eingereicht, mit dem Ziel, dass es die Verpflichtung zu 18 Stunden Lehre pro Woche für rechtswidrig und unwirksam erklärt. Das hätte gewaltige Auswirkungen, denn dann müssten alle Landesregierungen die Lehrverpflichtungen an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) neu regeln.

Das heutige Lehrdeputat von 18 Stunden wurde vor 50 Jahren festgelegt, als in Deutschland bestehende Ingenieurschulen und höhere Fachschulen zu den ersten Fachhochschulen umgeformt wurden. Die Dozenten waren ehemalige Lehrer. Niemand hatte Forschung im Blick. Doch inzwischen hat sich viel geändert. Seit der Bologna-Reform benennen sich die Fachhochschulen nach und nach in HAW um, und in den Hochschulgesetzen der Länder sind sie gegenüber den Universitäten als „anders, aber gleichwertig“ anerkannt. Für ihre Professoren sind zur Lehre immer mehr Aufgaben dazugekommen: anwendungsorientierte Forschung, Weiterbildung, Wissenstransfer. Und an der Hochschulselbstverwaltung müssen sie sich auch beteiligen. Deshalb sei das Konstrukt von 18 Stunden Lehre nicht mehr zeitgemäß, meint ihr Verband, und hat nun eine Image-Kampagne mit eigener Homepage (www.erfolg-braucht.de) gestartet. Hier formuliert er seine Forderung „Zwölf plus 1“: Zwölf Stunden Lehrverpflichtung plus eine aus Grundmitteln finanzierte wissenschaftliche Hilfskraft pro Lehrstuhl.

Freiräume für Forschung durch Freistellung von Lehrverpflichtungen?

Die Forderung orientiert sich unter anderem an einer Empfehlung des Wissenschaftsrates aus dem Jahr 2007, in der es um den Stundenumfang bei der Einführung sogenannter Teaching-Professuren in mehreren Bundesländern ging. Maximal zwölf Stunden hielt der Wissenschaftsrat für gerechtfertigt; darüber hinaus sei keine wissenschaftsbasierte Lehre möglich. „Was ist denn dann das, was wir tun?“ fragt Müller-Bromley angesichts der 18 Stunden an den HAW. Er verweist auf eine Entscheidung aus Baden-Württemberg, wo 1993 ein Professor auf Ungleichbehandlung gegenüber Universitätskollegen geklagt hatte, die nur acht Stunden lehrten. Das Gericht wies damals die Klage mit der Argumentation ab, dass an Universitäten geforscht werde, an Fachhochschulen nicht. Das jedoch widerspreche inzwischen der Tatsache, dass in allen Landesgesetzen den HAW auch Forschungsaufgaben zugeschrieben würden, sagt Müller-Bromley.

Aus Sicht der Kollegen an den Universitäten sind diese Entwicklungen allerdings kein Grund, das ganze System infrage zu stellen. Es gebe ja Möglichkeiten, das Lehrdeputat der Fachhochuldozenten zu reduzieren, sagt Dr. Yvonne Dorf, stellvertretende Geschäftsführerin des deutschen Hochschulverbandes, der für die Professoren an Universitäten spricht. Viele Fachhochschulen könnten, je nach Bundesland, sieben bis zehn Prozent der Gesamtlehrkapazität dafür verwenden, Professoren für andere Aufgaben von der Lehrverpflichtung freizustellen. So könnten Freiräume für Forschung entstehen. Dorf gibt zwar zu, dass an forschungsstarken Hochschulen Engpässe entstehen könnten. Dem Einwand Müller-Bromleys, dass Forschung inzwischen eine Aufgabe aller Professoren an den HAW sei, widerspricht sie jedoch: „Die anwendungsorientierte Lehre steht an den HAW nach wie vor im Vordergrund. Man kann nicht sagen, dass durchgängig geforscht wird.“ Vielleicht aber auch deshalb nicht, weil zum Forschen gar nicht genügend Zeit bleibt, hält Müller-Bromley dagegen.

Der entscheidende Faktor: Zeit

„Zeit ist für die meisten Kollegen in der Tat der entscheidende Faktor“, sagt Prof. Dr. Knut Schmidtke, Prorektor für Forschung und Entwicklung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Dresden. Ein anderer „Flaschenhals“ für die Forschungsfähigkeit sei die mangelnde Kontinuität, wenn Mitarbeiter immer nur durch Projektverträge bezahlt würden. „Für manche Forschungsaufgaben brauchen sie eine Kompetenz, die man sich erst mit den Jahren erarbeitet“, so Schmidtke.

Trotz dieser Hürden kann die HTW nicht klagen: Rund 40 Prozent der Professorinnen und Professoren forschten, schätzt Schmidtke. Die Drittmitteleinnahmen in Dresden sind seit 2015 um 70 Prozent von 7,5 Millionen auf 12 Millionen Euro gestiegen. Die Motivation zu forschen sei hoch, sagt Schmidtke: „Weil die Professoren dadurch persönliche Wertschätzung erfahren. Und weil diejenigen, die gute Forschung machen, auch von den Studenten in der Lehre besser bewertet werden.“

Unter dem Strich bedeutet das: Die Beschäftigten ziehen mit, auch wenn die Rahmenbedingungen besser sein könnten.

Nichtsdestotrotz können die HAW nicht mit den Universitäten mithalten. Die haben laut amtlicher Statistik im Jahr 2017 durchschnittlich 266 000 Euro Drittmittel pro Professor eingeworben, während es die FH-Professoren im Schnitt nur auf 35 000 Euro pro Kopf bringen. Aber dafür sind die Einnahmen an den Fachhochschulen um knapp fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, an den Universitäten hingegen nur um etwas mehr als drei Prozent. Keine Zahlen, die zwingend ein politisches Eingreifen erfordern würden.

Deshalb verlässt sich der hlb nicht allein auf seine „Zwölf plus 1“-Kampagne, sondern hat gleichzeitig den gerichtlichen Weg eingeschlagen. Für den ergab sich in Niedersachsen eine günstige Gelegenheit: Mitte 2018 wurde dort die Lehrverpflichtungsverordnung überarbeitet, und alle Betroffenen  haben ein Jahr Zeit, um rechtlichen Einspruch zu erheben. Das hat hlb-Präsident Müller-Bromley, der den Landesvorstand des hlb als Rechtsanwalt vertritt, nun getan.

Wenn der hlb auf dem juristischen Weg Erfolg hat, wird ein politischer Prozess folgen müssen, um das Urteil umzusetzen. Denn, so Müller-Bromley: „Das Gericht kann nur die aktuelle Regelung aufheben, aber selbst keine neue anordnen.“ Dass es in der Umsetzung exakt zu dem vom hlb geforderten „Zwölf plus 1“-Ergebnis kommen wird, ist unwahrscheinlich, glaubt Müller-Bromley, und neue Regelungen würden für die HAW auch nicht nur positiv sein. Aber: „Immerhin besser als das, was wir haben.“ //

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