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Weder Allheilmittel noch Selbstläufer

Der Einsatz von MOOCS ist mit großen Erwartungen verbunden. Eine aktuelle Studie zeigt jedoch, dass diese nicht von selbst laufen und die Abbruchquoten extrem hoch sind. Damit die Studierenden bei der Stange bleiben, müssen sich die Hochschulen ernsthaft mit den Besonderheiten des digitalen Lernens befassen und ihre Angebote darauf anpassen.

Das Schlagwort „Digitalisierung“ ist im Moment in aller Munde. Belastbare Verbindungen, Flatrates und billigere Tarife machen den Transfer großer Datenmengen über das digitale Computernetz immer einfacher. Auch der Gebrauch mobiler Endgeräte wie Smartphones, iPads oder Personal Digital Assistants (PDAs) nimmt laufend zu. Diese Entwicklung verändert und vereinfacht auch das Lernen.

Literatur kann heruntergeladen, Informationen können rasch nachgeschlagen und Online-Kurse besucht werden. Das Spektrum an Möglichkeiten zum digitalen Lernen scheint schier grenzenlos. Digitalen Lehr-Lernformaten werden große Potenziale für die Aus- und Weiterbildung zugeschrieben. Dazu gehören das „learning on demand“, also das Lernen nach Bedarf, die Möglichkeiten des orts- und zeitunabhängigen Lernens, die Wahl des eigenen Lerntempos sowie der selbstgesteuerte und kooperative Wissenserwerb.

Eine sehr aktuelle und besondere Entwicklung stellen in diesem Zusammenhang MOOCs (Massive Open Online Courses) als frei zugängliche Onlinekurse mit sehr vielen Teilnehmern dar. Darin können sich Lernende die Inhalte selbstständig aneignen und ein Zertifikat erwerben. Während in X-MOOCs die Inhalte relativ rezeptiv vermittelt werden und somit der jeweilige Beginn der Nutzung des Angebots häufig frei wählbar ist, gibt es in den C-MOOCs die Möglichkeit, sich zu vernetzen und beim Lernen auszutauschen. Diese Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten werden durch Weblogs, soziale Netzwerke oder Wikis umgesetzt.

Mit MOOCs stehen kostenlose Kurse von Topuniversitäten jedem offen. Daher besteht die große Hoffnung darin, dass mit solchen Kursen eine hoch qualifizierte Bildung auf der ganzen Welt ermöglicht und damit Bildung demokratisiert werden kann. Nun zeigt jedoch eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), dass dieses Potenzial nicht Wirklichkeit geworden ist, denn die Kurse hatten in den letzten fünf Jahren im Schnitt eine Abbruchquote von rund 96 Prozent (Reich & Ruipérez-Valiente 2019).

Untersucht wurden die Teilnehmer, die sich von 2012 bis 2018 für einen Kurs am MIT oder an der Harvard University auf ihrer gemeinsamen Lernplattform edX registriert und den Kurs angesehen haben. Die Daten umfassen 5,63 Millionen Lernende bei 12,67 Millionen Kursregistrierungen. In den Jahren 2017/18 beendeten lediglich 3,13 Prozent aller MOOC-Teilnehmer ihre Kurse. Im Vorjahr waren es noch 4 Prozent, im Jahr 2014/15 noch fast 6 Prozent. Differenziert man zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen Kursen, so liegt der Anteil der Teilnehmer, die für ihr Abschlusszertifikat zahlen mussten, im Jahr 2017/18 bei 46 Prozent zwar deutlich höher, allerdings 10 Prozent unter den beiden Vorjahren, in denen der Abschluss noch bei 56 Prozent lag. Zugleich sank die Zahl der Nutzer, die sich für einen MOOC einschrieben, kontinuierlich von 38 Prozent im Jahr 2012/13 auf nur 7 Prozent im Jahr 2016/17 ab.

Diese Untersuchung zeigt, dass es trotz großer Investitionen in Kursentwicklung und Lernforschung nicht gelungen ist, Teilnehmer an eine Hochschulbildung mit MOOCs zu binden. Es geht wohl nicht nur darum, Kursmaterialien zur Verfügung zu stellen, sondern auch um adäquate digitale Kompetenzen, die Lernende (siehe linke Seite) und Lehrende (siehe Seite 48) benötigen, wenn solche digitalen Angebote nachhaltig genutzt werden sollen.

Im Hinblick auf Handlungskomponente werden ebenfalls vier Aspekte genannt: die Planung und Entwicklung digital gestützter Lehr-Lernumgebungen, die Realisierung von Bildungsmaßnahmen unter Einbeziehung digitaler Medien, die Evaluation von Effekten der Nutzung digitaler Medien auf die Lernaktivitäten und den Lernerfolg und die Reflexion über die eigenen digitalen Lehr-Lernszenarien.

Die Rolle der Lehrenden und ihre Funktionen verändern sich durch das digitale Lernen: Die Lehrenden sind beim digitalen Lernen weniger die instruktional Anleitenden, sondern vielmehr Lernpartner, die den digital Lernenden inhaltliche Lernangebote machen, die diese selbstgesteuert bearbeiten. Dadurch ändern sich auch ihre Funktionen: Neben der Bereitstellung und Aufbereitung von Lerninhalten sind die Lehrenden vor allem angehalten, die Lernenden in ihren Lernprozessen zu unterstützen, damit Abbruchquoten reduziert werden. Wesentliche Aspekte umfassen hier die folgenden (Kopp & Mandl 2009):

Motivation aufrechterhalten: Motivation ist die zentrale Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Sie kann durch interessante und spannende Aufgabenstellungen geweckt und durch Belohnungen nach Bearbeiten bestimmter Inhalte wachgehalten werden.

Feedback geben: Feedback zielt darauf ab, die Diskrepanz zwischen einem bestehenden Ist-Zustand und einem angestrebten Soll-Zustand zu reduzieren. Es kann sich auf die Aufgabenbearbeitung oder -lösung, aber auch auf die Kooperation digital Lernender beziehen. Insbesondere elaboriertes Feedback hat sich in diesem Kontext als effizient erwiesen.

Hilfestellung bei Problemen geben: Beim digitalen Lernen können zahlreiche Probleme technischer, inhaltlicher oder sozialer Natur auftreten. In so einem Fall ist es notwendig, dass Lehrende rasch reagieren und angemessen unterstützen, um ein erfolgreiches Lernen zu gewährleisten.

Kontinuität der Betreuung: Unterstützung der Lernenden ist nicht nur am Anfang eines Lernangebots wichtig, sondern muss über die gesamte Laufzeit des digitalen Angebots aufrechterhalten bleiben. Auch kurze Anregungen zwischendurch können helfen.

Empathischer Umgang mit den Lernenden: Echtheit, Empathie und Wertschätzung sind zentrale Voraussetzungen für den Erfolg digitalen Lernens. Wenn sich die Lehrenden in die Situation und Befindlichkeit ihrer Lernenden einfühlen können, schaffen sie Vertrauen und können adäquat auf Probleme reagieren.

Herausforderungen des digitalen Lernens für die Hochschulen

Digitales Lernen verändert auch das Lernen an Hochschulen. Wissen muss nicht mehr in überfüllten Hörsälen erworben werden, sondern kann auch zu Hause erfolgen, wenn Vorlesungsinhalte mit Online-Videos und Vorlesungsfolien digital aufbereitet werden. Auch virtuelle Seminare, wie sie die Virtuelle Hochschule Bayern anbietet, ermöglichen den Wissenserwerb an Hochschulen. Wie die am Anfang beschriebene Studie zeigt, reichen digitale Lehr-Lernangebote allein jedoch nicht aus, um effektiv genutzt zu werden. Auch für die Hochschule selbst stellen sich besondere Herausforderungen bei der Implementation digitalen Lernens, insbesondere im Hinblick auf die Hochschulkultur, die Lernkultur, die technologische Infrastruktur und die Finanzierung.

Die Hochschulkultur ist richtungsweisend für die Entwicklung digitaler Lehr-Lernangebote. Hochschulen, deren Vertreter eine zurückhaltende Einstellung zu digitalen Medien in der Hochschule haben, werden kaum solche Angebote unterstützen. Es ist also wichtig, dass die Vertreter der Hochschule selbst vom Nutzen und von der Bedeutung digitaler Medien für die Lehre überzeugt sind. Dann wird auch eine adäquate Organisationsstruktur bereitgestellt.

Die Lernkultur beschreibt die Haltung beziehungsweise die Einstellung gegenüber dem Lernen. Hier ist es bedeutsam, dass das bloße Hinzufügen einer Technologie noch keinen Mehrwert für das Lernen darstellt. Vielmehr sollten die Stärken des digitalen Formats didaktisch im Lernangebot umgesetzt werden. Nur, wenn der technische Mehrwert auch didaktischen Niederschlag findet, ist digitales Lernen erfolgreich. Insbesondere selbstgesteuertes, konstruktives, situiertes und emotionales Lernen kann dadurch gefördert werden. Ein solches Lernen ermöglicht den Transfer des Gelernten auf spätere Anwendungsgebiete.

Eine funktionierende technologische Infrastruktur stellt die zentrale Grundanforderung beim Einsatz digitaler Medien dar. Dies umfasst die technologische Basisausstattung, unter anderem durch Lernmanagementsysteme (LMS), die jeweilige Software, deren Installation und Wartung sowie die ständige Überwachung derselben. Systemadministratoren, die den Server warten und dessen reibungslosen technischen Einsatz gewährleisten, sind hierbei unerlässlich.

Auch die Hochschulen müssen für die Implementation digitalen Lernens Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Hier gilt es, die die didaktisch-inhaltliche Aufbereitung sowie die technische Realisierung von Lehr-Lernangeboten zu finanzieren. Die didaktisch-inhaltliche Aufbereitung bindet Inhalts­experten ebenso wie Medienpädagogen personell. Aber auch die technische Realisierung und fortlaufende Betreuung benötigt adäquates Personal. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Unterstützung der Lernenden durch die Lehrenden während des digitalen Lehr-Lernangebots, um Abbruchquoten zu reduzieren.

Digitales Lernen in der Hochschule hat große Potenziale für die Zukunft. Der Weg dorthin ist eingeschlagen. Aufgrund der Komplexität bedarf es sicherlich noch weiterer Impulse in diese Richtung. //


Kompetenzen der Lernenden

Insgesamt lassen sich nach Schultz-Pernice und Kollegen (2017) acht Zielkompetenzen unterscheiden, die für Lernende beim digitalen Lernen von Bedeutung sind:

1. Bedienen und Anwenden digitaler Medien: Grundlage für die Nutzung digitaler Medien ist deren Bedienung und Anwendung. Dazu gehört, dass Lernende in der Lage sind, digitale Umgebungen für ihre persönlichen Ziele unter Berücksichtigung von Risiken und Gefahren einzusetzen, automatisierte Abläufe zu analysieren, zu strukturieren und zu modellieren sowie technische Probleme zu identifizieren, zu beschreiben und Lösungsstrategien zu entwickeln.

2. Suchen und Verarbeiten von Informationen mithilfe digitaler Medien: Beim Suchen und Verarbeiten von Informationen sind drei Aspekte von Bedeutung. Erstens ist es notwendig, dass adäquate Methoden und Werkzeuge zur Verfügung stehen, um Informationen gezielt zu recherchieren. Zweitens müssen die dafür relevanten Quellen identifiziert, analysiert, ausgewertet und kritisch beurteilt werden können. Und Drittens ist es nötig, die gewonnenen Informationen und Daten zu verarbeiten und zu bewerten.

3. Kommunizieren und Kooperieren mit digitalen Medien: Unter diesem Aspekt werden sämtliche kommunikativen und kooperativen Aktivitäten gefasst. Dazu gehören eine adäquate situations- und adressatengerechte Interaktion mit digitalen Werkzeugen, kooperative Prozesse zur Findung von Problemlösungen sowie eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft.

4. Produzieren und Präsentieren mit digitalen Medien: Dies bedeutet, dass Lernende in der Lage sind, mithilfe digitaler Medien Informationen, Inhalte oder Produkte aufzubereiten und diese gegenüber anderen zu kommunizieren. Dabei ist es notwendig, formale und ästhetische Gestaltungsprinzipien ebenso zu berücksichtigen wie rechtliche Rahmenbedingungen (Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht).

5. Erkennen von Lernpotenzialen und Entwickeln von Lernstrategien mit digitalen Medien: Darunter wird verstanden, dass Lernende wissen, welche lernförderlichen Möglichkeiten ihnen digitale Medien für das selbstgesteuerte und kooperative Lernen bieten und dass sie diese effektiv nutzen können.

6. Erwerben und Anwenden von Wissen über digitale Medien: Damit ist gemeint, dass Lernende in der Lage sind, sich Wissen über informatische Grundlagen anzueignen und dieses für den eigenen fachlichen und fachübergreifenden Kompetenzerwerb zu nutzen.

7. Analysieren, Reflektieren und Diskutieren über digitale Medien: Chancen und Risiken digitaler Medien für Individuum und Gesellschaft sind den Lernenden bekannt. Digitale Medien können hinsichtlich ihrer inhaltlichen und didaktischen Gestaltung bewertet werden sowie deren Auswirkungen auf sich selbst und auf andere in Bezug auf vermittelte Wertvorstellungen, Rollen- und Weltbilder analysiert, reflektiert und diskutiert werden.

8. Selbstreguliertes und verantwortungsbewusstes Handeln mit digitalen Medien: Lernende können ihre Aufmerksamkeit, Emotionen, Impulse und Handlungen hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien selbst steuern, bewegen sich in ihrer medialen Lebenswelt reflektiert, berücksichtigen ethische Gesichtspunkte und zeigen ein sozial- und selbstverantwortliches Verhalten


Kompetenzen der Lehrenden

In Bezug auf Lehrkompetenzen der Lehrenden im Kontext digitalen Lernens sind weitere Komponenten bezogen auf Wissen und Handeln notwendig. Auf der Wissensseite sind vier zentrale Aspekte zentral, nämlich:

  1. medienbezogene informatische Kenntnisse, die sich auf den Umgang mit Hardware, Software und Internet in Lehr-Lernkontexten sowie auf Konzeptwissen über Datenbanken beziehen,
  2. pädagogisch-psychologische Kenntnisse, die lernförderliche Aspekte digitaler Medien für die Unterrichtsgestaltung umfassen,
  3. fachliche Kenntnisse zum zu vermittelnden Inhalt und
  4. fachdidaktische Kenntnisse über Potenziale spezifischer Lernprogramme.


Literatur

Kopp, B. & Mandl, H. (2009). Gestaltung medialer Lernumgebungen. In M. Henninger & H. Mandl (Hrsg.), Pädagogische und instruktionale Aspekte des Medien- und Bildungsmanagements (S. 55–72). Weinheim: Beltz.

Reich, J. & Ruipérez-Valiente, J. A. (2019). The MOOC Pivot. Science, 363(6423), 130–131.

Schultz-Pernice, F.; von Kotzebue, L.; Franke, U.; Ascherl, C.; Hirner, C.; Neuhaus, B.; … Fischer, F. (2017). Kernkompetenzen von Lehrkräften für das Unterrichten in einer digitalisierten Welt. merz – medien + erziehung, Zeitschrift für Medienpädagogik, 4, 65–74. Verfügbar unter http://www.merz-zeitschrift.de/dateien/merz_4-17_Kernkomptenzen_Von_Lehrkraeften.pdf

Stegmann, K.; Wecker, C.; Mandl, H. & Fischer, F. (2016). Lehren und Lernen mit digitalen Medien: Ansätze und Befunde der empirischen Bildungsforschung. In R. Tippelt & B. Schmidt-Hertha (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung (S. 1–22). Heidelberg: Springer.

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