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Berufsethos für das Wissenschaftsmanagement

„Wissenschaft in der Gesellschaft – Selbst- und Fremdwahrnehmung von Qualität und Verantwortung“ – diese aktuelle Thematik wurde bei der ZWM-Tagung 2019 aus der Perspektive des Wissenschaftsmanagements und seiner Aufgaben betrachtet. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

Wir leben in einer Wissensgesellschaft, die Gesellschaft ist zunehmend auf die Wissenschaft angewiesen. Dementsprechend sind die gesellschaftlichen Erwartungen an die Wissenschaft gestiegen. Der Wissenschaft wird eine zentrale Bedeutung für das friedliche Miteinander, Wohlstand, technologischen Fortschritt, Gesundheit und vieles andere mehr zugeschrieben. Daraus resultiert eine große gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaftseinrichtungen.

Im Mittelalter, so erinnerte Prof. Dr. Antonio Loprieno in seinem Vortrag, basierte Wissen auf dem Glauben an Institutionen. Daraus resultierte die exterritoriale Sonderstellung der Universitäten. Die Neuzeit hingegen vertraute stärker den Individuen und belohnte die Gelehrten mit einer sozialen Sonderstellung. Inzwischen konstatiert man eine Vergesellschaftung der Hochschulen, geprägt von öffentlicher Finanzierung, staatlicher Regulierung und umfassenden gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüchen an die Wissenschaftseinrichtungen. Neben Lehre und Forschung werden auch Wissensaustausch und Transfer von ihnen verlangt. Sie sollen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel unmittelbar nützliches Wissen erzeugen. Sie sollen Motoren technischer, sozialer und kultureller Innovation sein. Auch der erhöhte globale Wettbewerb hat tiefgreifende Folgen für die wissenschaftlichen Institutionen, so Loprieno. Sie müssen ihre vom Staat gewährte Autonomie nutzen, um strategisch zu agieren, eine Marke und ein Marketing ausbilden, sich profilieren und ihre Qualitäten objektiv durch Dritte überprüfbar machen. Loprieno bezeichnete das als die Transformation vom „Primat der Eminenz zum Primat der Evidenz“.

Diese Veränderungen der Institutionen bewirken eine organisatorische und administrative Transformation der Wissenschaftseinrichtungen – andernfalls gäbe es das Wissenschaftsmanagement wohl nicht. Es hat eine zentrale Aufgabe bei der Strategiebildung und -umsetzung, bei der Kommunikation in die Gesellschaft, beim Marketing, aber auch bei der Qualitätssicherung und -feststellung.

Qualität und Vertrauen

Die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft ebenso wie ihre Freiheit haben viel mit den selbst gesetzten Qualitätsansprüchen zu tun. Daran erinnerte Prof. Dr. David Kaldewey in seinem Vortrag. In einer arbeitsteiligen Massengesellschaft muss man einander vertrauen, denn niemand kann alle und alles kontrollieren; man muss Institutionen vertrauen, weil die Zahl der Personen zu groß ist; man muss Qualitätssicherungsmechanismen vertrauen, weil Technologien und Verfahren so anspruchsvoll und voraussetzungsreich sind. Dafür sind Standards, Normen und Regeln wichtig.

Das Vertrauen der Außenstehenden richtet sich vor allem darauf, dass innerhalb der Institution die Regeln kontrolliert werden und dass es eine Selbstbindung der handelnden Personen an die Regeln gibt. Zwar können Laien die Experten nicht kontrollieren, aber sie können erkennen, ob die Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen „funktioniert“. Nicht zuletzt darum ist die Nützlichkeit vertrauensbildend. Die Fehlbarkeit (also Verstöße gegen Abläufe, Standards, Methoden und schlechte oder gefälschte Daten) führt hingegen zu Vertrauensverlust. Insofern unterschied Kaldewey einen „Qualitätsdiskurs“ von einem „Nutzendiskurs“.

Während der Qualitätsdiskurs innerwissenschaftlich besonders wichtig ist und Beschäftigte im Wissenschaftsmanagement darin wichtige Aufgaben übernehmen, ist der Nutzendiskurs vorrangig von politischer Bedeutung, aber für das Wissenschaftsmanagement kaum zu operationalisieren. Dennoch darf es sich in diesem Kontext nicht darauf beschränken, Qualitätsmessung und -kontrolle zu organisieren oder Relevanz zu kommunizieren. Es muss die Klage ernst nehmen, die auf der Tagung mehrfach geäußert wurde: dass nämlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inzwischen einen Großteil ihrer Zeit dafür aufwenden müssen, die Mittel einzuwerben, die die Erfüllung vieler ihrer Tätigkeiten erst ermöglichen, und dass darunter Forschung und Lehre leiden.

Es würde sich lohnen, die Kennzahlen solchen Aufwandes zu erheben, um den Instanzen, die Wissenschaft fördern und finanzieren, klarzumachen, wie viel Zeit für den Wettbewerb um Projektmittel von den Kernaufgaben abgezogen wird. Das hat manchmal auch mit ineffizienten Prozessen zu tun. Das Wissenschaftsmanagement kann dazu beitragen, Prozesse besser zu organisieren, sodass denen, die Wissenschaft betreiben, für die Kernaufgaben mehr Zeit bleibt. Das Wissenschaftsmanagement muss aufmerksam und selbstkritisch die Wirkungen und Folgen eigenen Tuns beobachten. Dazu gehören Dokumentationsaufwand, Anpassungsdruck und Evaluationsfrequenzen.

„In einer arbeitsteiligen Massengesellschaft muss man einander vertrauen, denn niemand kann alles kontrollieren. Dafür sind Standards, Normen und Regeln wichtig.“

Freiheit und Selbstkontrolle

Um das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken, ist die sorgfältige interne Selbstkontrolle von besonderer Bedeutung, wie der Vortrag von Dr. Aletta Hinsken erläuterte. Wenn die autonomen Wissenschaftseinrichtungen die Wissenschaftsfreiheit betonen, dann geht damit eine besondere Eigenverantwortung einher. Diese impliziert mehr als nur darauf zu vertrauen, dass sich jedes Individuum an die Regeln halten wird. Die Wirkung von Machtgefälle und Befristungsdruck ist zu beachten und die Pflicht zur Selbstkontrolle kann nicht zugunsten von Kollegialität, aufgrund von Überlastung, Unterfinanzierung und Eigeninteressen ausgesetzt werden. Die Wahrnehmung dieser Pflicht muss konfliktbereit und lösungsfähig gestaltet sein. Das Wissenschaftsmanagement kann Verfahren entwickeln, wie man mit solchen Konflikten konstruktiv umgehen kann. Denn die Alternative zu interner Selbstkontrolle wäre die externe Steuerung und Kontrolle, die durch überfachliche Standardsetzung zu Entdifferenzierung führen würde.

Aufgaben für das Wissenschaftsmanagement

In einer Podiumsdiskussion und fünf Arbeitsgruppen diskutierten und erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgende Konsequenzen für ihre Arbeit:

1) Bezüglich der Information der Gesellschaft und deren Vertrauen in die Wissenschaft sahen die Teilnehmenden der Tagung folgende wichtige Funktionen für die eigenen Aufgaben: Es war Konsens, dass Wissenschaftsmanagement das Zusammenwirken von Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation noch besser unterstützen könnte. Es könnte mehr und niedrigschwellige Diskurse zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Laien organisieren. Die Interaktion mit interessierten Laien sollte Belehrung vermeiden, Begeisterung und Faszination für Wissenschaft wecken. Dies gelingt am besten, wenn die Expertinnen und Experten selbst und möglichst authentisch auftreten. Ihnen könnten Coaching und Schulungen für mediales Auftreten angeboten werden – aber es sollte niemand zu solchen Beiträgen gezwungen werden.

2) Die Selbstkontrolle der Wissenschaft und Qualitätssicherung sollten so sorgfältig wie nötig und so unaufwendig wie möglich operationalisiert werden.

Die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis, Zuständigkeiten und Letztverantwortung sollten transparent und eindeutig expliziert werden. Dazu gehören der Schutz für Abhängige und Hinweisgeber sowie konfliktfeste Prüfverfahren. Anstelle von Belohnungen und Bestrafungen muss ein Kulturwandel angestrebt werden, der Einstellungen beeinflusst.

Das Bewusstsein für die Belastung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Anlieferung von Kennzahlen muss wachsen. Kennzahlen sollten nur dann erhoben werden, wenn sie tatsächlich steuerungsrelevant sind. Man sollte regelmäßig Feedback der datenliefernden Personen einholen und berücksichtigen, dass das Selbstbeobachtungsinteresse der Einrichtungen gegen die Arbeitsfähigkeit des wissenschaftlichen Personals abzuwägen ist.

Im Interesse der Wissenschaft müssen Mitglieder des Wissenschaftsmanagements die Forderung von Kennzahlen gegenüber externen Stakeholdern unter Umständen auch einmal abwehren oder auf einer eingeschränkten Vergleichbarkeit wegen der pluralen Qualitätsdimensionen und Fächerunterschiede bestehen. Innerhalb der Einrichtung müssen sie Kennzahlen nicht nur mit Akribie erheben, sondern auch als plausibel und sachgerecht begründen. Es muss der Eindruck (und die Praxis) vermieden werden, dass Zahlen die Urteilskraft von Peers ersetzen können: Zahlen dienen lediglich zur Information und Unterstützung der Urteilskraft von Peers. „Wir brauchen für die Qualitätssicherung nicht Big Data, sondern Smart Data“ – das war eine Erkenntnis, für die man sicherlich auch Wissenschaftler gewinnen kann.

Wissenschaftsmanagerinnen und -manager sollten sehr darauf achten, mit welcher Rechtfertigung sie die Zeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Anspruch nehmen – und damit für die Erfüllung der Kernaufgaben Lehre und Forschung reduzieren. Recht und Gesetz sowie interne Selbstkontrolle legitimieren solche Maßnahmen, aber nicht jede Beobachtungsneugier, Evaluation und Steuerungsabsicht. Sie sollten sich dafür starkmachen, den Wettbewerb zu zähmen und das System der Anreize einzudämmen. Denn Wettbewerb und Anpassungsdruck können zwar Verhaltensänderungen erzwingen, dienen aber nicht notwendigerweise der Qualitätsentwicklung.

Das Wissenschaftsmanagement kann in die verschiedenen Fächer hinein deutlich machen, warum Ethik eine Aufgabe für alle Fächer und nicht delegierbar an Experten aus Philosophie oder Theologie ist. Ebenso sollte es sich nicht in die Rolle drängen lassen, allein für die Kontrolle der Regelkonformität zuständig zu sein.

3) Auch in der Unterstützung von Forschung, die stets im Spannungsfeld von Risiko und Innovation steht, hat das Wissenschaftsmanagement wichtige Aufgaben:

Fehler sind eine wichtige Erkenntnisquelle und Lerngelegenheit. Weil in der Forschung Irrwege und Irrtümer möglich sein müssen, ist der Umgang mit „Fehlern“ zu kultivieren. Andernfalls wird es schwer bis unmöglich, Risiken einzugehen und grundlegend neues Wissen hervorzubringen.

Wissenschaftsmanagement muss darum bedenken: Je größer die Kontrolle, desto kleinere Risiken werden Forschende eingehen. Das hemmt den wissenschaftlichen Fortschritt. Diese Botschaft muss auch politisch vermittelt werden. Wissenschaftsmanagerinnen und -manager müssen verteidigen, dass Freiheit und Risiko zusammengehören, dass Wissenschaft eine Toleranz gegenüber Fehlern braucht.

Wissenschaftsmanagement wirkt mit an Strategiebildung und Ressourcenverteilung. Es muss in diesem Kontext dazu beitragen, dass Forschungsvorhaben zu Nischenthemen außerhalb der Trends möglich sind; dass „verrückte“ Ideen gegen den Mainstream aus Grundmitteln finanziert werden können, gerade weil sie zumeist nicht drittmittelfähig sind. Dies muss im Bewusstsein erfolgen, dass etliche solcher Experimente nicht erfolgreich ausgehen werden. Das darf nicht als Fehlleistung eingestuft werden und für die Forschenden nicht zu negativen Folgen führen. Besonders Nachwuchskräfte müssen vor Nachteilen geschützt werden. //

Anmerkung
Eine Nachlese der ZWM-Tagung finden Sie auf der Internetseite des ZWM: https://tinyurl.com/y2jqvpak


Die Zeit ist reif für ein Berufsethos

Vor dem Hintergrund der erarbeiteten Aufgaben des Wissenschaftsmanagements stellte Dr. Sabine Behrenbeck im Rahmen der ZWM-Tagung einen ersten Aufschlag und Thesen zu einem Berufsethos vor – mit der ausdrücklichen Einladung zu einer weiterführenden Debatte und Ergänzung.

In den letzten zwei Jahrzehnten war Wissenschaftsmanagement vor allen Dingen eine Praxis. Mittlerweile ist es an der Zeit, sich intensiver mit theoretischen, reflektierten, vertieften Aspekten des Berufsfeldes zu befassen:

  1. Wissenschaftsmanagement muss dem Gemeinwohl der Wissenschaft und der Einrichtung, aber auch der Gesellschaft verpflichtet sein. Es darf eigene Interessen haben, die aber transparent gemacht werden sollten.
  2. Wissenschaftsmanagerinnen und -manager brauchen ein ausgeprägtes Bewusstsein für die unterschiedlichen Rollen, in denen sie agieren. Sie arbeiten an Schnittstellen und unterstützen mehrere Zielgruppen, die unterschiedliche Eigenrationalitäten haben. Hier ist die Rolle des ehrlichen Maklers gefragt, der vermittelt und Kompromiss oder Konsens sucht. Dabei sind die Mitglieder des Berufsfeldes häufig „Kulturübersetzer“ zwischen den Fächern, zwischen Laien und der Wissenschaft, zwischen Interessenträgern, zwischen Politik und Wissenschaft, Öffentlichkeit und Wissenschaft und anderen. Das bedeutet, dass sie sich nicht auf „eine Seite schlagen“, sondern beiden Seiten ein Verständnis für die jeweils andere Seite vermitteln müssen – auch für deren jeweilige Restriktionen, Bedingungen und Eigenrationalitäten.
  3. In Beratungsprozessen sind Realismus und Ehrlichkeit gefragt. Die Grenzen von Strategien und der Umsetzbarkeit von Maßnahmen müssen mitreflektiert und sich und anderen eingestanden werden.
  4. Professionalität und Verfahrensqualität sind unverzichtbar für das Wissenschaftsmanagement, aber kein Selbstzweck, denn es bietet eine Dienstleistung. Im Zentrum steht die Wissenschaft, das Wissenschaftsmanagement sollte sich nur um den „Oscar für die beste Nebenrolle“ bemühen.
  5. Wissenschaftsmanagement sollte sich als institutionelles Gedächtnis verstehen, als Speicher für Lösungen und Ideen, die bereitgestellt werden, wenn man sie benötigt.
  6. Damit Wissenschaftseinrichtungen aus Fehlern lernen können, sollten Feedback und Manöverkritik mit den Nutznießern der Dienstleistungen in alle wichtigen Prozesse integriert sein. Mit Respekt und Lernbereitschaft sollte man auf Einwände und Widerstand reagieren und mit Kritik konstruktiv umgehen; Respekt und Wertschätzung ist aufzubringen für den Eigensinn und das Grenzgängertum von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
  7. Wissenschaftsmanagement ist mehr als Regelanwendung, es ist eine kreative Aufgabe. In Kenntnis und unter Beachtung der Regeln muss möglichst flexibel ein guter Rahmen für Forschung, Lehre und Transfer geschaffen werden. //
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