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// Editorial: Casus Lucke //

Er ist wieder da – der reflexartige Impuls, alles, was der eigenen, kleinen Weltsicht widerspricht, an die Wand zu drücken und die Träger unliebsamer Ansichten zu diskreditieren und zu attackieren. Nicht nur in der Politik ist dies ein (wieder) salonfähig gewordenes Mittel, sondern zunehmend auch im Kontext von Hochschule und Wissenschaft. ...

... Er ist wieder da – das trifft auch auf den AfD-Mitbegründer und Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke zu, der nach einer Auszeit in diesem Wintersemester an die Hamburger Exzellenzuni zurückgekehrt ist. Die Reaktionen darauf zeigen, dass die Diskussionskultur im akademischen Umfeld bei uns schwer im Argen liegt und keine der Statusgruppen gut dabei wegkommt: nicht die Studierenden, die die Vorlesungen sprengten und dabei Sprüche wie „Kein Recht auf Nazipropaganda“ skandiert haben sollen. Nicht die zuständige Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank von den Grünen, die die Störaktionen reflexartig vor allem „universitätsfremden Personen“ zuschrieb und deren Auftreten als „Unrecht in seiner reinsten Form“ bewertete, als ob es nicht auch für Unimitglieder genügend Anlass gäbe, die Rückkehr des Rechts-außen-Politikers an die Hochschule mit großem Unbehagen aufzunehmen.

Es ist ja nicht so, dass Lucke für das steht, worauf die Wissenschaft in Deutschland beruht und stolz ist: Weltoffenheit und Toleranz. Und der Vorwurf des Hamburger Asta, Lucke habe mit „seiner bürgerlichen Fassade den Weg der AfD zur menschenverachtenden und rassistischen Partei geebnet“, ist zumindest diskussionswürdig. Aber eine Diskussion ob des Unbehagens vieler Studierender und möglicherweise auch anderer, eher in Stillschweigen verharrender Hochschulmitglieder bleibt weitestgehend aus. Stattdessen empören sich Politiker bis hin zur Bundeswissenschaftsministerin und zum Bundespräsidenten über die protestierenden Studierenden und ihr in der Tat nicht tolerierbares Verhalten. „Es geht nicht, dass sich Studentengruppen oder Aktivisten als Meinungszensoren aufspielen“, wird Bundesministerin Anja Karliczek in Spiegel online zitiert. „Hochschulen“, so Karliczek, „müssen Orte der freien Debatten, der freien Lehre und des freien Studiums sein.“

Da hat sie völlig recht. Als Außenstehender fragt man sich jedoch: Warum, wie im Falle Luckes, schaffen die Hochschulen nicht schon bevor solche Konflikte ausbrechen Räume, um kontroverse Debatten zu führen? Dass es wegen Lucke zum Krach kommen würde, war doch absehbar. Warum laden sie ihre Studierenden und auch andere Hochschulmitglieder nicht viel häufiger dazu ein, heikle Themen zu diskutieren, und verankern so das Einüben einer zivilisierten Debattenkultur mehr in ihren Curricula? Wenn nicht heutige und künftige Akademiker lernen, respektvoll mit Andersdenkenden umzugehen, wer dann soll das in unserer Gesellschaft vorleben und praktizieren können? Aufmüpfige Studierende, auch wenn die Art ihres Protestes unangemessen ist, wie jetzt in Hamburg, gleich in die radikale Ecke zu stellen und damit zu diskreditieren, ist wenig hilfreich, ja kontraproduktiv. Vielleicht wäre es in diesem Kontext nützlich, wenn alle, die in Hochschule und Wissenschaft etwas zu sagen haben, sich ernsthaft mit dem Konzept der „Ambiguitätstoleranz“ und dessen Verankerung in der Lehre befassen würden. Ambiguitätstolerante Persönlichkeiten – so die Grundidee – halten Widersprüche aus, ertragen Ungewissheiten und lassen andere Sichtweisen zu. //

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