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Die Universität Göttingen fiel im nationalen Exzellenzwettbewerb gleich zweimal hintereinander durch. Die scheidende Präsidentin Ulrike Beisiegel verteidigt sich und ihre Universität im Interview mit der DUZ.

Die Diskrepanz könnte kaum größer sein: International gilt die Universität Göttingen als Nobelpreisträgerschmiede und zählt zum Kreis der erlauchten Eliteunis. Im nationalen Exzellenzwettbewerb jedoch fiel sie gleich zweimal hintereinander durch. Besonders schmerzhaft: Im ersten Exzellenzwettbewerb 2007 glänzte sie mit ihrem Zukunftskonzept und konnte sich den Exzellenzstatus anheften. Nur fünf Jahre später musste sie ihn wieder abgeben. Das hielt sie nicht davon ab, unter der Federführung ihrer 2011 angetretenen Präsidentin Ulrike Beisiegel erneut ins Rennen zu gehen – mit dem Ergebnis, dass sie in der dritten Exzellenzrunde 2018 vorzeitig ausschied: Mit nur einem als exzellent bewerteten Cluster blieb für sie nur die Zuschauerrolle im Exzellenzfinale 2019.

DUZ: Mit ihrem Zukunftskonzept holte sich die Uni Göttingen 2007 den Exzellenzstatus. Wie hat sich das auf Ihre Universität ausgewirkt?

Beisiegel: In seiner Anfangsphase hat der Exzellenzwettbewerb viele Universitäten wachgerüttelt. Sie haben dadurch begonnen, sich neu aufzustellen. Das gilt auch für Göttingen. Es gab bei uns einen Profilbildungsprozess, der die gesamte Universität umfasste. Und dafür mussten sich alle Hochschulmitglieder, über Fächergrenzen und Statusgruppen hinweg, zusammenraufen. Der positive Effekt: Wir mussten uns gemeinsam sehr intensiv mit unseren Stärken und Schwächen auseinandersetzen und haben darauf aufbauend neue Ideen und Ansätze aufgegriffen, die bis heute tragen. Im ersten Zukunftskonzept, das noch unter der Präsidentschaft meines Vorgängers erarbeitet wurde, waren das zum Beispiel die Nachwuchsforschergruppen, das Lichtenberg-Kolleg oder die Internationalisierung. Im zweiten Zukunftskonzept haben wir einen besonderen Schwerpunkt auf die Stärkung der akademischen Sammlungen gelegt und mit dem Forum Wissen eine neue Form des Wissenstransfers aufgebaut. Dieses Zukunftskonzept war äußerst wichtig, um uns als Universität weiterentwickeln zu können. Ich habe immer betont: „Wir haben es für die Universität entworfen und nicht für die Exzellenzinitiative.“

Nach dem Triumph von 2007 folgte 2012 der Absturz aus dem Exzellenzolymp. Wie sehr hat dies Ihrer Traditionsuniversität geschadet und den guten Ruf ramponiert?

Für uns war das sehr bitter und traurig. Neben der großen Enttäuschung war das Ausscheiden auch mit finanziellen Einbußen verbunden. Alles sehr unschön. Dennoch hat es dem Renommee unserer Universität viel weniger geschadet, als man vielleicht hätte befürchten müssen. Vor allem viele unserer internationalen Partner haben gesagt: „Wieso? Ihr seid doch sehr gut. Das kann doch gar nicht sein.“

Worauf führen Sie das zurück? Mit „Verlierern“ geht man im Wissenschaftsbereich nicht gerade zimperlich um.

Wichtig ist, dass uns damals die internationalen Gutachterinnen und Gutachter durchweg positiv bewertet haben. Ihr Votum lautete „uneingeschränkt förderfähig“. Dass wir 2012 trotzdem ausscheiden mussten, war eher politischen Erwägungen innerhalb der  Strategiekommission geschuldet. Es gab so etwas wie ein politisch motiviertes Ausscheiden. Für viele  der internationalen Experten war das fachlich gesehen nicht nachvollziehbar.

Kommen wir noch einmal auf die Auswirkungen von 2012 zurück: Wie wurde der Verlust innerhalb Ihrer Universität aufgenommen?

Dadurch, dass das Gutachten positiv ausgefallen war, sind wir relativ schnell aus dem Tal der Tränen herausgekommen. Wir haben sofort, noch im selben Jahr, zusammen mit dem Stiftungsausschuss und dem Senat einen Strategieprozess angeschoben und ein Positionspapier erarbeitet, auf das wir auch in Folge aufgebaut haben. Das war – rückblickend betrachtet – für die damalige Zeit eine gute Vorgehensweise. Wir konnten so die Folgen des Negativ-entscheids nach innen hin ganz gut auffangen. Trotz der Enttäuschung herrschte so etwas wie Aufbruchsstimmung.   

Davon kann heute, nachdem Göttingen in der dritten Exzellenzrunde erneut gescheitert ist, nicht mehr die Rede sein. Ein Blick in die aktuelle Presse zeigt, dass nun die Zeit der Abrechnung gekommen ist und Sie dabei auch persönlich angefeindet werden.

In der Tat ist es so, dass nun Schuldige für das Scheitern gesucht werden, und als Präsidentin stehe ich natürlich in der Schusslinie. Dazu möchte ich anmerken: Wir sind dieses Mal mit den Clustern gescheitert und eben nicht mit unserer Gesamtstrategie. Von vier Clustern, die übrigens in der ersten Runde als exzellent nominiert worden sind, konnte sich nur einer im finalen Wettbewerb durchsetzen. Zwar ist es richtig, dass das Präsidium und ich als Präsidentin bei der Entwicklung dieser Cluster unterstützend tätig waren. Uns jedoch für die Forschungsinhalte dieser Cluster verantwortlich zu machen, finde ich weder logisch noch fair. Ich bin und kann nicht Fachfrau für vier verschiedene Fachgebiete sein. Wären wir, wie schon 2012, mit dem strategischen Konzept der Universität gescheitert – dann hätte ich die Verantwortung übernommen und wäre sofort zurückgetreten. Für mich steht fest: Von der Governance her haben wir keine großen Fehler gemacht. Dadurch, dass ich statt Ende 2020 nun ein Jahr früher als geplant in den Ruhestand gehe, mache ich den Weg frei für den neuen Präsidenten. Dieser hat so ausreichend Zeit, die Universität für die nächste Exzellenzwettbewerbsrunde gut aufzustellen. Meinen früheren Ruhestand halte ich in dieser Situation für richtig.

[Anmerkung der Redaktion: Mehrere Tage nach dem Redaktionsschluss der DUZ gab die Universität Göttingen bekannt, dass Prof. Dr. Ulrike Beisiegel die Universität bereits zum 30. September 2019 verlässt.]

War es ein Fehler, dass Göttingen, das international schon lange vorher als exzellent galt, sich an diesem von der deutschen Politik aufoktroyierten Wettbewerb immer wieder beteiligt hat?

Es war richtig, dass wir uns diesem innerdeutschen Wettbewerb gestellt haben. Eine Universität mit einer hohen internationalen Reputation muss sich auch dem nationalen Wettbewerb stellen. Allerdings kann man das Verfahren durchaus kritisch sehen.

Werden solche Wettbewerbe nicht völlig überschätzt und dienen vor allem der Politik dazu, sich zu profilieren? Käme die Wissenschaft, käme Göttingen nicht auch ganz gut ohne sie aus?

Die Grundidee solcher Wettbewerbe ist schon gut. Das eigentliche Ziel ist ja, Universitäten dahin zu bringen, sich offen und intensiv mit den eigenen Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Das ist ein Prozess, der idealerweiseauch zu einem besseren Zusammenhalt und einer stärkeren Corporate Identity führt. Die Wettbewerbe bringen natürlich auch Fördermittel, die zur Spitzenforschung benötigt werden. Das heißt, ein Teilnahmeverzicht würde immer auch einen Verzicht auf die Möglichkeit der Förderung beinhalten. Bei der nicht ausreichenden Grundförderung der Universitäten spielt das natürlich auch eine Rolle.

Im Zukunftskonzept, mit dem Göttingen 2007 so erfolgreich war, bin ich über folgende Aussage gestolpert: „Auf diesem Weg lässt sie sich von der Überzeugung leiten, dass Exzellenz in der Wissenschaft nicht planbar und daher auch nicht ‚steuerbar’ ist. Exzellenz in Forschung und Lehre keimt und wächst immer aus den Ideen, Initiativen und der Überzeugungskraft einzelner. Die Rolle der Universität und ihrer Leitung muss daher sein, einen günstigen Nährboden für ein solches Wachstum zu bereiten, Potenziale rechtzeitig zu erkennen und sie gezielt und konsequent zu fördern.“ Wenn Exzellenz also nicht steuerbar ist, ist es dann nicht ein Widerspruch, eine Strategie  entwickeln zu wollen, um im Exzellenz­wettbewerb erfolgreich zu sein?

Dieser Aussage kann ich auch heute noch voll zustimmen. Die Strategieentwicklung muss sich aus den bestehenden Forschungsaktivitäten ergeben und muss sicher immer wieder diskutiert und an die Entwicklungen in der Forschung angepasst werden. Der Prozess der Strategiebildung und der Anpassung muss von der Leitung der Universität, die den Überblick über alle Aktivitäten hat, gesteuert werden. Damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ideen entwickeln und exzellente Leistungen erbringen können, muss die Hochschulleitung die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Sie muss Potenziale erkennen und fördern. Und es muss ihr gelingen, dass Forscherinnen und Forscher sich in die Gesamtinstitution einbringen und mit anderen zusammenarbeiten. Die Kunst der Governance besteht also darin, Exzellenz zu erkennen, sie zu fördern und zusammenzuführen.

Das heißt im Umkehrschluss, dass die Forscher bereit sein müssen, miteinander zu arbeiten und nicht gegeneinander?

Das ist das Ideal, aber nicht immer so einfach umzusetzen.

Betrachtet man die Uni Göttingen derzeit von außen, zeichnet sich das Bild  einer Einrichtung ab, der der innere Zusammenhalt fehlt. Ist das einer der Gründe für das Exzellenzdesaster?

Das ist eine schwierige Frage. Die Cluster beispielsweise hatten in sich einen sehr guten Zusammenhalt. Aber insgesamt ist es für mich eine traurige Erkenntnis, dass der fehlende Zusammenhalt und das Auseinanderfallen, das sich im Moment abzeichnet, zurzeit charakteristisch für unsere Universität zu sein scheint. Die Leistungsträger, insbesondere die Forscherinnen und Forscher, haben ihre Forschungsverbünde, aber der Rest – zum Beispiel die Gremien – ist sehr zerrissen, sodass es relativ viele, auch gerne an die Öffentlichkeit gezerrte Kontroversen gibt. Durch den Misserfolg in der Exzellenzstrategie dringen solche Risse natürlich stärker an die Oberfläche.

Also ein Hauen und Stechen und Schuldzuweisungen …

… statt zu sagen: Lasst uns gemeinsam nach vorne gehen! Ich würde mir sehr wünschen, dass die Universität Göttingen bald dahin kommt.

Ist dieses Gegeneinander und Schwarzer-Peter-Spiel nicht typisch, sprich Teil der über Jahrhunderte gewachsenen Kultur großer Traditionsuniversitäten?

Statistisch kann ich das nicht belegen, aber mein Eindruck ist, dass junge Universitäten wie die, die in den 60er- und 70er-Jahren in Deutschland gegründet wurden, einen offeneren Geist, ein offeneres Miteinander pflegen. Sie sind einfach jünger – im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht ist es so, dass es für Traditionsuniversitäten schwieriger ist, eine neue Richtung einzuschlagen. Und dass dort immer noch alte Hierarchien und Gesetzmäßigkeiten im Hintergrund wirkungsmächtiger sind, als man vernuten würde.

Zum Schluss möchte ich den Spiegel umdrehen und Sie um eine Bewertung der Exzellenzstrategie bitten: Bringt sie, so wie sie derzeit angelegt ist, das deutsche Wissenschaftssystem wirklich weiter?

Grundsätzlich schon, aber in diesem Ausmaß hat sie unser Wissenschaftssystem an seine Grenzen gebracht – allein schon, was die Zahl der Gutachterinnen und Gutachter, deren Zusammensetzung und Koordination betrifft. Das war eine Nummer zu groß und zu viel auf einmal für alle Beteiligten. Besonders kritisch sehe ich das viel zu enge Zeitfenster für die Begutachtungen der Cluster: Die Gutachter hatten nur zweieinhalb Stunden mit den Antragstellern Zeit, um einen Cluster zu beurteilen, der sich unter Umständen über eine Laufzeit von über 14 Jahren erstreckt. Nehmen wir als Vergleich die im Umfang geringeren Sonderforschungsbereiche, die maximal zwölf Jahre laufen: Hier haben die Gutachter mindestens anderthalb Tage Zeit, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Die Exzellenzbegutachtungen müssen künftig anders gestaltet werden.

Und für wie sinnvoll halten Sie die Bewertungsparameter aus der aktuellen Exzellenzstrategie?

Prinzipiell finde ich den Cluster-Wettbewerb richtig – sprich erst einmal Cluster beziehungsweise Forschungsschwerpunkte zu identifizieren, mit denen sich eine Universität in ausgewählten Bereichen gut aufstellen kann. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass nur wer zwei Cluster hat, sich um die Exzellenz bewerben darf, halte ich jedoch für fragwürdig. Über den direkten Zusammenhang zwischen Cluster und Exzellenzuniversität sollte man noch einmal ernsthaft nachdenken.

Warum?

Ich bezweifele, dass es unserem Hochschulsystem, das sich durch eine große Bandbreite – zum Beispiel in Bezug auf Größe, Fächerspektrum, Tradition – auszeichnet, gerecht wird. Die jetzige Regelung, dass man zwei als exzellent bewertete Cluster vorweisen muss, um überhaupt einen Antrag als Exzellenzuniversität stellen zu können, ist nicht ideal. Ich kann nachvollziehen, dass eine Universität, die gar keinen exzellenten Forschungsbereich hat, den Exzellenzstatus nicht erhalten sollte. Aber es gibt auch andere Parameter, die zum Tragen kommen sollten. So wurde in der ersten Wettbewerbsrunde ein ausgewiesenes Forschungsprofil erwartet, aber zusätzlich auch ein überzeugendes Konzept für die Nachwuchsförderung. Damals waren das die Graduiertenschulen. Dieser Ansatz war aus meiner Sicht eine gute Mischung, weil dabei die institutionelle Förderung von Nachwuchswissenschaftlern eine Rolle gespielt hat.

Ihre Formel wäre also „ClusterPlus“?

Vereinfacht gesagt ja: Eine Universität sollte einen exzellenten Forschungsbereich haben und sich mit einer weiteren Komponente für die Aufnahme als Exzellenzuni qualifizieren – so etwas wie Wissenstransfer, angewandte Forschung, Ausgründungen, Personalentwicklung oder Third Mission. Hierüber sollte man künftig stärker nachdenken. Denn institutionelle Exzellenz speist sich aus vielen Facetten und ist somit weit mehr als nur die Forschungsstärke einer Wissenschaftseinrichtung. //

Prof. Dr. Ulrike Beisiegel

Die Humanbiologin ist seit 2011 Präsidentin der Universität Göttingen. 2012, gerade mal ein halbes Jahr am Ruder, musste sie den Verlust des Exzellenzstatus verkünden. Damals kreidete ihr das niemand an. Das änderte sich jetzt, nachdem Göttingen auch 2018/2019 nicht reüssieren konnte. Beisiegel wird für das „Desaster“ verantwortlich gemacht und persönlich angefeindet. Sie zog die Konsequenzen und gibt ihren Posten vorzeitig auf.

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