"Der Grat ist schmal"
Der Berliner Wirtschaftspsychologe Dr. Jens Eisermann hat bei einer Befragung von rund 4300 Beschäftigten herausgefunden: Mobbing ist in Deutschland Chefsache. Von Durchsetzungs- vermögen zu Aggressivität ist es nicht weit.
duz: Herr Eisermann, was genau ist eigentlich Mobbing?
Eisermann: Wir greifen in unserer Befragung auf die Definition des schwedischen Mobbing-Forschers Heinz Leymann zurück. Er hat Mobbing als eine negative Form der Kommunikation zwischen zwei Parteien definiert, die asymmetrisch verläuft, also nur von einer Seite ausgeht und mindestens einmal in der Woche über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr stattfindet.
duz: Negative Form der Kommunikation heißt ...?
Eisermann: Das können vielfältige Arten von Konflikten sein, wenn der Chef einen Mitarbeiter anschreit zum Beispiel, wenn er ihm ohne Erklärung Arbeitsaufgaben entzieht, wenn ein Kollege einem anderen Informationen vorenthält, die für seinen Job wichtig sind, oder Gerüchte streut, die einen anderen schlecht dastehen lassen.
duz: Wer mobbt typischerweise wen?
Eisermann: Dem Klischee nach spielt sich Mobbing oft unter Mitarbeitern ab, die auf der gleichen Hierarchiestufe stehen. In der Realität sieht das anders aus. Bei jedem zweiten Mobbingfall ist der Chef der Aggressor. Das nennt man Bossing. In jedem fünften Fall kommt es zum klassischen Mobbing, das unter hierarchisch Gleichgestellten stattfindet. Im Fall von Aggressionen durch Untergebene spricht man von Staffing.
duz: Der Chef ist aber in gewisser Weise immer schuld, auch wenn er nicht selbst mobbt?
Eisermann: In den meisten Fällen ist er in irgendeiner Weise an den Schikanen beteiligt. Aber auch in den 30 Prozent der Fälle, in denen er nichts von den Attacken mitbekommt, schneidet er schlecht ab. Denn das heißt, dass er das soziale Gefüge in seiner Abteilung nicht kennt.
duz: Warum wird gemobbt?
Eisermann: Das können wir bisher nur vermuten. Wir gehen im Sinne der allgemeinen Aggressionstheorie davon aus, dass Aggression als Instrument eingesetzt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, etwa den Mitarbeiter unter Druck zu setzen und ihm mehr Leistung abzuverlangen. Ein Motiv könnte auch die Selbstregulation des Chefs durch Aggression sein oder gruppendynamische Prozesse, in denen das Wir-Gefühl gestärkt wird, indem man einen Sündenbock für Mangelhaftes benennt.
duz: Trifft Mobbing die Schwachen?
Eisermann: Nein, es kann jeden treffen, egal welche charakterlichen Dispositionen er mitbringt.
duz: Es kommt in Hochschulen wie in Unternehmen vor?
Eisermann: Überall dort, wo es Hierarchien gibt und Ziele erreicht werden sollen. Der Grat zwischen Durchsetzungsvermögen und Aggressivität ist schmal.
duz: Können Chefs Mobbing verhindern?
Eisermann: Sie sind für das, was in ihrem Bereich passiert, verantwortlich. Vorgesetzte müssen sich darüber klar sein, dass sie mit dem Arbeitsklima, das sie schaffen, enorm die Leistung und Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter beeinflussen.
duz: Sie raten zu partizipierender Führung.
Eisermann: Werden Mitarbeiter in Entscheidungen eingebunden und gibt es eine offene Gesprächskultur, stärkt das den Zusammenhalt. In solcher Atmosphäre lassen sich Konflikte lösen – bevor sie zum Mobbingfall eskalieren.
- Email: jens.eiserman@fu-berlin.de
DUZ Europa 02/2012 vom 09.03.2012