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Nazaré spricht für Europas Universitäten

Stabwechsel im europäischen Universitätsverband: Zum Monatsende nimmt Maria Helena Nazaré auf dem Präsidentenstuhl Platz. Dort stehen der Portugiesin unruhige Jahre bevor. Sie muss den auf Mitgliederbeiträge angewiesenen Verband über eine Zeit retten, in der Hochschulen jeden Euro umdrehen müssen.

Der Wind bläst kräftig auf das Land. Prof. Dr. Maria Helena Nazaré macht das nicht viel aus. Sie ist gewohnt, sich Tag für Tag dagegenzustemmen. Die designierte Präsidentin des europäischen Universitätsverbands EUA (European University Association) kommt aus Aveiro, einer 73.000-Einwohner-Stadt im Norden Portugals, zehn Kilometer vom Atlantik entfernt. „Das Wetter ist hier rau und kalt, nicht gerade ideal zum Surfen oder Sonnenbaden“, sagt die 62-Jährige. Vielleicht ist der Distrikt deshalb nicht zu einer beliebten Urlaubsregion, sondern zu einer Art Baden-Württemberg des Landes geworden. Die Universität von Aveiro, die Nazaré von 2002 bis 2010 führte, gehört in den Ingenieurwissenschaften und Hochtechnologien zu den Besten des Landes. „Aveiro ist ein Zentrum für Entwicklung. Wissenschaft ist hier eng verknüpft mit Wirtschaft und Industrie“, sagt sie mit Stolz in der Stimme.

Die europäische Finanzkrise könnte auch zu einer Krise der EUA werden.

Angst vor Austrittswellen

Vielleicht wird Nazaré das Modell Aveiro im Hinterkopf haben, wenn sie bei der EUA-Jahreskonferenz Ende März im britischen Warwick den Staffelstab vom Schweizer Rechtsprofessor Dr. Jean-Marc Rapp übernimmt und zum ersten Mal als Präsidentin auftritt. Drei Jahre leitet sie dann den bedeutendsten Lobbyverband von Hochschulen in Europa. Drei Jahre. 36 Monate. Das ist eigentlich nicht viel Zeit, um die Aufgabe zu bewältigen, die vor ihr liegt. Nazaré muss nichts geringeres schaffen als die EUA von einem einflussreichen zu einem für die Universitäten unentbehrlichen Verband zu machen. In Zeiten, in denen in nahezu allen europäischen Ländern die Hochschulbudgets gekürzt werden, müssen Unichefs jeden Euro umdrehen. Lohnt sich der Mitgliedsbeitrag der EUA? Fällt die Antwort allzu häufig negativ aus, könnte die europäische Finanzkrise am Ende zu einer Krise der EUA werden.

Nazaré hält das durchaus für eine reale Gefahr. Seit 2009 sitzt sie im EUA-Vorstand und hat voriges Jahr einen Vorgeschmack darauf erhalten, was passieren kann, wenn Hochschulen an allen Ecken und Enden sparen müssen. So wie es in Großbritannien geschehen ist, wo die öffentlichen Zuwendungen für die Universitäten seit 2008 bis zu zehn Prozent und mehr gekürzt wurden. Um den Hochschulen entgegenzukommen, änderte die EUA erstmals in ihrer Geschichte die Berechnung der Mitgliederbeiträge. Ab diesem Jahr nimmt der Verband Hochschulen aus wirtschaftlich stabileren Ländern stärker in die Pflicht – was faktisch für jedes zweite Mitglied eine Beitragserhöhung bedeutet. Das Pro-Kopf-Einkommen der Länder und die Studentenzahl einer Hochschule werden nun stärker berücksichtigt. Das hatte in der niedrigsten Beitragsgruppe keine Änderungen zur Folge. Dort sind nach wie vor 2.316 Euro pro Jahr zu zahlen. Der Höchstbetrag aber stieg von bisher 3.439 auf 5.327 Euro. Prompt kündigten fünf britische Universitäten.

Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Zwei der britischen Unis kehrten in die EUA zurück – und bestätigten so den Kurs des sonst so erfolgsverwöhnten Verbands. Die Mitgliederzahlen jedenfalls steigen insgesamt betrachtet, allein 2011 traten 24 Universitäten bei. 869 Hochschulen und Organisationen vertritt der Verband heute. Das Budget wuchs in den vergangenen fünf Jahren von 4,8 Millionen Euro auf 6,6 Millionen Euro, und das Brüsseler Generalsekretariat zählt mittlerweile 40 Beschäftigte.

Auf dem Papier steht die EUA also blendend da. Doch der Schock der ersten Austrittswelle sitzt tief. Und klar ist auch, dass eine weitere Beitragserhöhung nur schwer vermittelbar sein dürfte. Entsprechend akribisch verfolgt das Generalsekretariat in Brüssel die Einschnitte, die die Hochschulen in ganz Europa hinnehmen müssen. Laut einer Karte, die die EUA im Internet präsentiert, sind die staatlichen Ausgaben für die Hochschulen im Jahr 2011 weiter geschrumpft: Griechenland minus 35, Niederlande minus zehn Prozent. (www.eua.be/eua-work-and-policy-area/governance-autonomy-and-funding/public-funding-observatory.aspx) Die Gefahr, dass dieses Jahr erneut Hochschulen aus der EUA aussteigen wollen, ist so weit hergeholt also nicht.

Auch deshalb will sich die EUA nun noch stärker als Anwältin der Hochschulen positionieren. Die Sicherung der Finanzierung der Universitäten steht ganz oben auf der Agenda der Jahreskonferenz. Es wird unter anderem Studien dazu geben, Konferenzen, Evaluationsprogramme und Workshops, die Herausforderungen einzelner Länder aufgreifen.

Vertraute an der Spitze

Neben der Sacharbeit wird es künftig aber auch darauf ankommen, den Zusammenhalt unter den Mitgliedern zu stärken. Da ist es gut, jemanden an der Spitze zu haben, der dem Verband bestens vertraut ist. Auf Nazaré trifft das zu. Sie war Vize-Präsidentin, Schatzmeisterin und Vorsitzende des Steuerungskomitees des EUA-Evaluierungsdienstes IEP (Institutional Evaluation Programme). Entsprechend oft war sie bei Verbandstagungen in Brüssel oder anderen Städte in Europa anzutreffen. Jetzt, als Präsidentin, wird sie die fast 2 000 Kilometer von Aveiro bis in die belgische Hauptstadt noch öfter zurücklegen. Sie wird die Vollversammlungen der Mitglieder und Sitzungen des Vorstandes leiten und die EUA weltweit präsentieren.

„Sie ist zielbewusst, vertritt klare Ansichten. Das schätze ich sehr.“

Menschen, die seit Jahren mit Nazaré zusammenarbeiten, beschreiben sie als natürlich, sympathisch, humorvoll und leistungsorientiert. „Sie ist zielbewusst, vertritt klare Ansichten. Das schätze ich sehr“, erklärt eine Mitarbeiterin der EUA. Das heißt nicht, dass Nazaré nicht auch pathetisch schwärmen könnte. Dazu neigt sie vor allem dann, wenn es um ihre Vision von der Hochschule der Zukunft geht. Universitäten müssten als Produzenten von Wissen den Menschen Instrumente an die Hand geben, die sie befähigten, mit der demografischen Krise, schrumpfenden Städten oder dem Klimawandel klarzukommen, sagt Nazaré etwa. Die EUA solle den Hochschulen als Denkfabrik dienen. „Wir müssen die jungen Generationen willkommen heißen, ihnen vielfältige Bildungsmöglichkeiten bieten, ihnen vermitteln, wie sie sich aktiv einsetzen können für eine bessere Welt, und Innovationen auf den Weg bringen, die die Wirtschaft ankurbeln“, sagt Nazaré.
Im Gespräch mit Nazaré hört man die Idealistin heraus, sie ist aber auch Physikerin. Sie baue ihr Urteil auf harten Daten, Zahlen und Fakten, sagt sie. Höchstens die Hälfte ihrer Arbeitszeit wird Nazaré für die EUA aktiv sein. Daneben bleibt sie Mitglied im portugiesischen Bildungsrat und im Aufsichtsrat der Telekom Portugals.

Lob zum Amtsantritt

Von deutscher Seite wird Nazaré mit Vorschusslorbeeren bedacht. „Sie ist konsensorientiert und hat die verschiedenen Ausgangssituationen der europäischen Hochschulen im Blick“, lobt Prof. Dr. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Sie kennt Nazaré seit einigen Jahren aus der gemeinsamen Arbeit im EUA-Vorstand. Nach dem Wechsel erwartet sie Kontinuität. „Die Themen sind gesetzt“, sagt die HRK-Chefin. Hochschulautonomie, Finanzierung, Rankings, Wettbewerb und Mobilität der Studierenden – die EUA werde in diesen wichtigen Bereichen weiterarbeiten. Sicher werde Nazaré eigene Akzente setzen, etwa noch mehr Wert auf die Studienbedingungen, die Diversität und die Qualität der Lehre legen, vermutet sie.

Dass sie die erste Frau im Präsidentenamt ist, bedeutet Nazaré viel. Dadurch hat sie einmal mehr gezeigt, dass Frauen die vermeintliche gläserne Decke durchbrechen und höhere Positionen einnehmen können. „Es war für mich nicht schwieriger als für einen Mann, in diese Position zu kommen. Aber es war harte Arbeit“, sagt sie.
Ihr Frausein hat sie für ihre Karriere nie in den Vordergrund gestellt. Von Quoten hält sie nichts. Auch Programme zur Frauenförderung sind von ihr nicht zu erwarten. Sie plant allerdings eine EUA-Plattform zum Erfahrungsaustausch für weibliche Führungskräfte. „Unser Job ist hart, da sollten wir uns alle unter die Arme greifen“, sagt sie. Gegenwind kann sie dabei kaum aufhalten. Den ist sie aus Aveiro gewohnt.

Maria Helena Nazaré

Maria Helena Nazaré

Die 62-jährige Portugiesin steht ab März 2012 für drei Jahre der europäischen Hochschulvertretung European University Association (EUA) vor. Von 2002 bis 2010 war die Physikerin Rektorin der Universität Aveiro. Sie ist Mitglied des Nationalen Bildungsrates Portugal und sitzt seit 2009 im Vorstand der EUA. Ihre internationale Karriere startete Nazaré als Dozentin an der Universität Eduardo Mondlane in Maputo, Mosambik. Sie hat am britischen King’s College London promoviert und für die OECD Hochschulen in Spanien, Palästina, der Türkei und Slowenien evaluiert.

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