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Funkstille

Der Ausbau der nationalen Roadmap für Forschungsinfrastrukturen kommt seit Jahren nicht voran. Schon 2017 wurden elf Projekte in dem wohl aufwendigsten Evaluationsprozess der Republik begutachtet. Bis heute aber warten die Antragsteller auf eine Zusage für die Finanzierung. Und wie geht es jetzt weiter? Die DUZ hat nachgefragt.

Sie sind Teil eines forschungspolitisch einzigartigen Vorgangs. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der elf Projekte, die im Rahmen des Roadmap-Prozesses für Forschungsinfrastrukturen (FIS) begutachtet wurden, gehören zur Spitze nicht nur der deutschen, sondern auch der internationalen Wissenschaftscommunity. Sie haben sich mit ihren Anträgen ins Zeug gelegt, jahrelang daran gearbeitet – und sind stolz, beim bislang wohl aufwendigsten Evaluationsprozess der Republik so gut abgeschnitten zu haben. Die Gutachter loben die Wissenschaftler für ihre hervorragend aufgesetzten, komplexen Forschungsprojekte, auch ausdrücklich das Ministerium für den vorbildlich geordneten Prozess und den Wissenschaftsrat für seine Spitzenarbeit bei der Gestaltung des Verfahrens.

Zur Erinnerung: „Aufgrund der hohen forschungspolitischen und volkswirtschaftlichen Relevanz von Forschungsinfrastruktur ist es notwendig, ihren Aufbau und ihre Einrichtung strategisch zu planen“, begründete das Bundesforschungsministerium (BMBF) die Notwendigkeit des Prozesses. Wer in die Roadmap aufgenommen wird, erhält eine Finanzierungszusage.

Der Prozess begann vor acht Jahren. Nach einer Pilotphase ab 2011 hatte das BMBF 2014 in seiner Strategie zum europäischen Forschungsraum die nationale Roadmap vorgeschlagen und im Januar 2015 den Roadmap-Prozess gestartet, im August schließlich die Ausschreibung bekannt gegeben, und Ende 2017 lagen die Begutachtungsergebnisse komplett vor. Dazu gehörte die Bewertung der wissenschaftlichen, der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Bedeutung. Soweit so gut. Doch seitdem ist offenbar nichts mehr passiert.
Es gibt keine Informationen

Die Antragsteller, Gutachter und auch der Wissenschaftsrat sind jedenfalls zu keinem Zeitpunkt über den weiteren Fortgang oder auch die Gründe für die Verzögerungen informiert worden. Einige Wochen nach der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Begutachtung durch den Wissenschaftsrat im Juni 2017 mussten die Antragsteller noch einmal Tabellen liefern für die wirtschaftliche Begutachtung und an einem vorgegebenen Tag für Rückfragen verfügbar sein. „Wir haben uns dazu alle extra am Flughafen Frankfurt versammelt“, berichtet Prof. Dr. Johannes Orphal. Der Physiker und Klimaforscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) vertritt die in AtmoSat beteiligten Forschergruppen, die mittels eines einzigartigen Satellitensystems die mittlere Atmosphäre untersuchen.

„Das ist kein guter Stil. Da hätte das Ministerium mal einen Brief zum Stand der Dinge schreiben können.“

Doch Rückfragen hatten die Gutachter nicht. Auch nicht an andere Antragsteller: „Das haben wir als ein milde positives Zeichen aufgefasst“, erinnert sich etwa die Biologin Prof. Dr. Elisa May von der Universität Konstanz, die den Antrag GermanBioImaging-FIS (GerBI-FIS) verantwortet. Das Projekt will unter anderem den Zugang zu den neuesten technischen Entwicklungen im Bereich Mikroskopie für die biomedizinische Bildgebung fördern.

Seitdem herrscht Funkstille. „Das ist kein guter Stil“, findet Prof. Dr. Heini Wernli, Gutachter und renommierter Atmosphärenforscher an der ETH Zürich, erst recht, weil der Roadmap-Prozess ein vollkommen neues Verfahren sei: „Da hätte man mal einen Brief über den Stand der Dinge schreiben können.“

Natürlich haben die Beteiligten beim BMBF nachgefragt, offiziell oder wenn sich dazu bei anderen Gelegenheiten die Möglichkeit bot. Die dabei erhaltenen vagen Informationen kommentieren die Antragsteller um objektive Professionalität bemüht. Elisa May glaubt fest an das Projekt GerBI-FIS: „Unsere Idee bleibt richtig“, sagt sie und ergänzt: „Wir warten und sind noch hoffnungsfroh.“ Allerdings hält sie es für „nicht sinnvoll“, dass Begutachtungsprozess und Entscheidung jetzt in zwei verschiedenen Legislaturperioden liegen.

Prof. Dr. Andreas Macke ist Atmosphärenforscher am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig und Antragsteller für ACTRIS-D, einem Projekt, das mit Observatorien und Klima-Simulationskammern Prognosen für Klimaveränderungen und Luftverunreinigungen verbessern will. Macke findet den Entscheidungsprozess „schon sehr lang“. Er habe aber den Eindruck, das BMBF sei „wohl an der Roadmap interessiert“ und „hoffe auf eine baldige Entscheidung“.

Johannes Orphal von Atmo-Sat ist pessimistischer und fragt ratlos: „Was ist los im BMBF?“ Es habe dort kompetente Leute gegeben, die das Verfahren vernünftig gestaltet hatten, nun aber wohl im Hause umgesetzt wurden: „Mein Albtraum ist, dass demnächst Neuwahlen kommen.“ Wieder andere glauben kaum, dass noch in diesem Jahr eine Entscheidung getroffen wird. Sie wollen „keinen unnötigen Druck ins Verfahren bringen“, sorgen sich aber um die Folgen, denn die Planung großer Projekte sei „nicht rückwirkungsfrei“. Für die mittelfristige Finanzplanung sei vor allem wichtig, zeitnah zu handeln, „egal in welche Richtung“.

Die Aussagen der Forschungsministerin Anja Karliczek Anfang dieses Jahres empfanden viele Beteiligte als „ausweichend“ und „nicht besonders hilfreich“. Sie hatte im DUZ-Interview (DUZ 01/19, S. 14–19) erklärt: „Jetzt müssen noch Detailstrukturen geklärt und die Planungen intensiviert werden.“ Durch die Regierungsbildung sei der Bundeshaushalt später beschlossen worden, deshalb dauerten solche Projekte länger.

Die Gutachter sind ratlos

Die unabhängigen Gutachter sind nicht minder verunsichert über die Verzögerung bei der Entscheidung als die Wissenschaftler. So lobt zwar Heini Wernli den geordneten Prozess seitens des BMBF, sowie die wissenschaftlich und planerisch exzellenten Anträge und das Community-Building in den Projekten. Doch er sagt auch: „Wenn es jetzt nicht weitergeht, verblassen diese Effekte, und es wird schwierig, die Kohärenz aufrechtzuerhalten.“ Die Projekte liefen ja nicht „plug-and-play“, sie bedürften der Vorbereitung, Geräte müssten gebaut, Mitarbeiter gehalten oder geworben werden. Wernli ist mit vielen internationalen Projekten vertraut und weiß daher: „In anderen Ländern läuft auch nicht alles glatt. Wenn das BMBF in diesem Jahr eine Entscheidung trifft, wird man Deutschland letztlich loben.“ Wenn es aber noch ein weiteres Jahr Verzögerung gebe, werde es „langsam kritisch“.

Sein Gutachter-Kollege Prof. Dr. Peter Schlosser nennt noch andere Aspekte. Der Physiker ist Klima- und Nachhaltigkeitsforscher an der Arizona State University und in den USA mit Megaprojekten vertraut. Es bestehe ein großer Kontrast zwischen dem seinerzeit „sehr transparenten Verfahren“ und der fehlenden Information heute. Im Zuge der Begutachtung 2017 habe jeder alle Details über die Projekte, den Prozess und die Begründungen nachlesen können. „Wenn Sie jetzt auf der BMBF-Seite danach suchen, ist die Navigation schwierig, Links führen ins Leere“, bedauert Schlosser.

Er findet die Verzögerungen „unerklärlich“, denn trotz der Bundestagswahlen habe es mit Verbleib der großen Koalition politisch keinen großen Umbruch gegeben. Auch der Haushalt habe nicht plötzlich in roten Zahlen gesteckt. Zudem müssten Aufwendungen für die FIS-Roadmap dort auf mehrere Jahre hinaus verankert sein. „Wissenschaftsförderung hat auch eine signifikante realpolitische Bedeutung und es schwächt das Vertrauen, wenn mit der Politik abgestimmte, strategische Prozesse nicht wie vereinbart umgesetzt werden“, sagt Schlosser.

In Europa nur noch Beobachter

Und dann ist da noch der europäische Aspekt. Die FIS-Roadmap ist der deutsche Beitrag zu ESFRI, dem 2002 vom Europäischen Rat für Wettbewerbsfähigkeit gegründeten „European Strategy Forum on Research Infrastructures“. Die deutschen Roadmap-Projekte sind daher analog zu den ESFRI-Projekten aufgestellt, also ACTRIS-D analog zu AC-TRIS oder German BioImaging-FIS analog zu Euro BioImaging. Da die Entscheidung über die Aufnahme in die deutsche FIS-Roadmap noch nicht gefallen ist, können die deutschen Wissenschaftler auch nicht aktiv an der Gestaltung des ESFRI-Projektes teilnehmen. Sie haben dort nur Beobachterstatus – die abschließende Vereinbarung der beiden genannten Projekte beispielsweise fand gerade ohne sie statt. „Das schwächt die deutsche Position in Europa“, sagt Wernli. Dabei gehört Deutschland auf vielen Feldern zu den führenden Forschungsnationen.

Die Erfahrung hat auch Elisa May von German BioImaging-FIS gemacht: Die in dem Projekt geplanten Gerätezentren für die Bildgebung in der Biologie ermöglichen es Wissenschaftlern und Unternehmen, gemeinsam innovative Geräte und Methoden vor der Kommerzialisierung zu erproben und zu entwickeln. „Für Fortschritte in der Medizin ist das entscheidend“, sagt sie. Das Konzept der Universität Konstanz sei „sehr kongruent“ zum ESFRI-Projekt Euro-BioImaging.

Aber nicht nur die Wissenschaft, auch deutsche Unternehmen, die ausdrücklich von den FIS profitieren sollen, befürchten Nachteile durch die Verzögerung. „Noch sind wir Weltmarktführer für konfokale Technologien“, sagt etwa Christoph Thumser, Direktor Global Business Management bei Leica-Microsysteme, „aber die Konkurrenz aus USA oder China kann uns schnell einholen, und zwar nicht bei der Technik, sondern bei der Bildanalyse, also der Verarbeitung riesiger Mengen von Daten.“

Hier bestehe eine hohe Dynamik, deshalb spiele der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Ohne GerBI-FIS entstünden Leica und anderen hier führenden deutschen Unternehmen wie Zeiss oder Siemens Medical echte Wettbewerbsnachteile.

An Euro BioImaging sind mit 26 Partnern so viele Mitgliedsnationen beteiligt wie in keinem anderen ESFRI. Wenn die erfahrene Wissenschaftsmanagerin Dr. Antje Keppler, Global Imaging Coordinator vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, in ihren Vorträgen die Landkarte mit den teilnehmenden EU-Staaten zeigt, werde sie immer nach dem grauen Fleck in der Mitte gefragt, berichtet sie peinlich berührt. Dabei schaue man in den USA neidisch auf die strategische Zusammenarbeit in Europa, „denn dies ist die Art, wie Forschung in Zukunft betrieben wird“, ist sie überzeugt.

Die GerBI-FIS-Wissenschaftler und -Wissenschaftlerinnen tun derweil alles, um den Anschluss nicht zu verlieren. Um die gute Vernetzung untereinander aufrechtzuerhalten, haben sie bereits 2017 das Netzwerk German BioImaging gegründet. May bleibt zuversichtlich: „Die Experimente in den Gerätezentren können ohne die Roadmap-Förderung nicht stattfinden, aber die Basis ist da.“

Die Chancen bleiben ungenutzt

Bei dem Projekt AtmoSat ist der wissenschaftliche und letztlich auch gesellschaftliche Verlust einer weiteren Verzögerung des Roadmap-Prozesses auf ganz andere Weise erkennbar. Das einzigartige Satellitensystem sei international führend in der Sammlung von Klimadaten in der mittleren Atmosphäre. Es könne an einem Tag mehr Daten liefern als das derzeit genutzte, aber veraltete System HALO in einem ganzen Jahr – und das weltweit und in 3-D. Nirgendwo auf der Welt gebe es vergleichbare Systeme.

Johannes Orphal ist stolz auf die erarbeiteten Fortschritte und ergänzt frustriert: „Wenn wir diese Daten nicht sammeln, fehlen sie weltweit. Dabei kann man hier die Auswirkungen der Klimaveränderungen am deutlichsten ablesen.“ Der Leiter des europäischen Copernicus Atmosphere Monitoring Service, Vincent-Henri Peuch, Ph.D., wäre ein Nutzer von AtmoSat. Das System fülle nicht nur eine Lücke in der Forschung, es leiste noch mehr: „Die Daten sind hochrelevant für die Erstellung von Klimamodellen für die Zukunft.“ Die Bundesregierung lässt in Zeiten der hochakuten Klimadebatten die Chancen ungenutzt, sich über ein solches Projekt politisch zu profilieren.

Beonders die Unis leiden

Ein wichtiges strategisches Ziel des FIS-Roadmap-Prozesses ist die Einbindung der Universitäten, das hat das BMBF immer wieder betont. Mit GerBI-FIS liegt letztlich nur eines der elf begutachteten Projekte in der Verantwortung einer Universität, in allen anderen sind aber zahlreiche Universitäten unter den Antragstellern. Die Verzögerungen benachteiligen nun ausgerechnet besonders die Hochschulen, denn sie haben nicht das Polster der großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen, um die entstehende Planungsunsicherheit zu kompensieren.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Prof. Dr. Peter-André Alt, appelliert daher an das BMBF, „dass nun zügig eine Entscheidung über die politische Priorisierung erfolgt“. Er befürchtet, dass sonst nicht nur die Hochschulen und ihre internationalen Partnerschaften leiden, sondern der Roadmap-Prozess selbst Schaden nimmt, denn: „Der Mehrwert für das Wissenschaftssystem sollte in der Verbesserung der Planbarkeit von langfristigen Investitionen in Forschungsinfrastrukturen bestehen – auch in Abstimmung mit dem europäischen Prozess.“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die vereinbarten Schritte nun auch umgesetzt werden.

Das Finanzierungskonzept fehlt

Zum Stand der Roadmap-Entscheidung antwortete das BMBF auf Anfrage der DUZ Ende März schriftlich: „Ziel bleibt es weiterhin, in dieser Legislaturperiode den Roadmap-Prozess abzuschließen und die neue Roadmap zu verkünden. Wann dieser Prozess im Einzelnen abgeschlossen sein wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.“ Und was fehlt noch? „Die Begutachtungen der elf Konzepte aus dem aktuellen FIS-Roadmap-Prozess sind abgeschlossen. In einem nächsten Schritt gilt es jetzt, ein belastbares langfristiges Finanzierungskonzept zu erarbeiten. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann über die Aufnahme von Vorhaben auf die Roadmap abschließend entschieden werden.“

Warum ein solches Finanzierungskonzept nicht schon lange erarbeitet wurde, bleibt offen. Klar ist dagegen, dass das BMBF so schnell nicht über die Roadmap entscheiden will. Gefragt zu den Haushalten 2018 oder 2019 bestätigt das Ministerium: „In beiden Haushaltsplänen wurden keine Ausgaben für neue FIS-Roadmap-Projekte eingeplant.“

Die damalige Ministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) schrieb 2016 im Vorwort der FIS-Broschüre des BMBF: „Mit der Aufnahme in die Roadmap verbindet das BMBF eine grundsätzliche Förderabsicht.“ Es wäre gut, wenn ihre Nachfolgerin bald nicht nur mitteilen würde, welche Absichten sie verfolgt, sondern auch entsprechende konkrete Entscheidungen trifft. //

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