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Die Universitäten vernachlässigen die Auseinandersetzung mit dem Autoritären Nationalradikalismus.

Ein Gastbeitrag von Wilhelm Heitmeyer.

Immer öfter stellt sich die Frage, ob dem Autoritären Nationalradikalismus à la AfD und ihren intellektuellen Apologeten in Universitäten Zeit und Raum zur Präsentation und Diskussion eingeräumt werden sollen. Es wird befürchtet, dass dies zu einer Verbreitung von Ideen und Parolen führe, die gegen unsere offene Gesellschaft und liberale Demokratie gerichtet seien.

1.

Um sich einer Antwort zu nähern, müssen die Entwicklungen von Universitäten betrachtet werden, denn die sich seit Längerem entwickelnden autoritären Versuchungen in Gesellschaft und Politik sparen die Universitäten nicht aus. Schon lange finden an ihnen Entpolitisierungsprozesse statt und wird über eine einseitige Fixierung auf Exzellenzinitiativen etc. diskutiert. Universitäten sind mit den Ökonomisierungstendenzen von Wissenschaft zu einem „sauberen Ort“ geworden, so der Historiker Paul Nolte, rein akademisch und auf Forschung ausgerichtet.

Die Ratlosigkeit ist mancherorts groß, andernorts ist man uninteressiert. Dies ist nicht verwunderlich, wenn vom umfassenden Verständnis von „Universitas“ nicht mehr viel übrig geblieben ist. Dagegen kommen auch positive Beispiele nicht an. So gibt es an der Universität Bielefeld mit Unterstützung der Hochschulleitung – und mit „Luft nach oben“ – die aktive Initiative „Uni ohne Vorurteile“. Sie erreicht und ermuntert jene aufzustehen und zu widersprechen, denen die Abwertungs- und Diskriminierungsprozesse in dieser Gesellschaft nicht egal sind. Das ist nicht wenig. Aber was ist mit der schweigenden Mehrheit der Studierenden? Solche grundlegenden demokratierelevanten Fragen werden zumeist gar nicht gestellt, denn Universitäten haben sich strukturell im neoliberalen Wirtschaftsklima auf die Erzeugung ökonomisch verwertbaren Wissens konzentriert, was umstandslos in die beruflichen Karrieren ihrer Absolventen einmündet. Die Bildung von gesellschaftspolitischen Kenntnissen und Haltungen findet dagegen unter „ferner liefen“ oder gar nicht statt. Gelegentlich gibt es zu Gedenktagen oder schlimmen Ereignissen wie gruppenbezogener menschenfeindlicher Gewalt eine kurzzeitige Aufmerksamkeit in einer sehr begrenzten universitätsinternen Öffentlichkeit mit schnellen Verfallszeiten.

Bei strukturellen Problemen wie der chronischen Unterfinanzierung verweisen Universitäten zu Recht auf die regierende Politik. Strukturelle Verantwortung für Binnenkonsequenzen zur Sicherung der Herausbildung gesellschaftspolitischer demokratischer Haltungen für die Studierenden aller Studiengänge findet gleichzeitig so gut wie gar nicht statt. Dabei hätten schon vor mehr als 20 Jahren die Ergebnisse der verdienstvollen Konstanzer Hochschulforschung zu erheblichen fremdenfeindlichen und national-konservativen Einstellungen bei Studierenden vor allem aus den wirtschaftswissenschaftlichen, ingenieurwissenschaftlichen und juristischen Studiengängen – also dort, wo Führungselite entsteht – eine entsprechende Aufmerksamkeit bekommen müssen. Schon damals war es eine Illusion, dass formal höhere Bildung vor jenen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schützen würde, die heute ein Grundmuster des Autoritären Nationalradikalismus bilden. Dies war schon immer eine gesellschaftliche Selbsttäuschung. Der Historiker Götz Aly hat bei der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 2018 daran erinnert, dass über die 3000 anlässlich der Hinrichtung der Geschwister jubelnden Studentinnen und Studenten in der Münchener Universität 1943 nie systematisch geforscht und berichtet worden ist. Es ist heute keine Debatte in den Wissenschaftsorganisationen bekannt, die das Problem ernsthaft zur Kenntnis und Grundlage genommen hat, um strukturelle Konsequenzen zu ziehen etwa für ein verpflichtendes Studium generale für alle Studiengänge. Zwar gibt es solche – freiwillig zu besuchenden Angebote – unter anderem in Mainz, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe. Doch verpflichtend sind sie wohl nur in privaten Institutionen wie Witten-Herdecke und an der Bucerius Law School in Hamburg. Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker haben dazu ganze Vorarbeit geleistet, indem ihre Schulminister unter dem selbstgewählten internationalen Vergleichsdruck in den Gymnasien die Ausdünnung oder gar Abschaffung jener Fächer vorantrieben, die hinreichende Möglichkeiten der Verbindung von gesellschaftspolitischen Kenntnissen mit Haltungen schaffen könnten. Die Fortsetzung findet sich in den Universitäten darin, dass Studierende im Lernschraubstock des Bologna-Prozesses ihrer jeweiligen Studiengänge festgeklemmt sind.

​2.

Vor diesem Hintergrund ist die Ausgangsfrage anzugehen: Es gibt erhebliches Potenzial auch bei Studierenden, den Postulaten des Autoritären Nationalradikalismus zumindest nicht ablehnend gegenüberzustehen. 

Wie agieren wesentliche Teile der Professorenschaft, soweit sie sich überhaupt mit gesellschaftlichen Vorgängen in entsicherten Zeiten mit Angeboten des Autoritären Nationalradikalismus à la AfD beschäftigen? Wenn nicht alles täuscht, folgen sie weitgehend dem Diktum von Jürgen Habermas von 2016: „Dethematisierung könnte dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben“. Oder: „Sie (die Parteien) sollten diese Art von ‚besorgten Bürgern‘, statt um sie herumzutanzen, kurz und trocken als das abtun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus.“ Eine für mich völlig überraschende Positionierung. Jan Feddersen hat sie in der taz so kommentiert: „Welch elitäre Gönnerhaftigkeit, was für ein Entzug jeder Fähigkeit zum demokratischen Sprechen.“

3.

Dagegen muss man in Stellung bringen, dass ohne konflikthafte Kommunikation keine Demokratie auskommt. Zumal das Zeitfenster für die De-Thematisierung und Ausgrenzung längst geschlossen ist, seitdem die AfD in zentralen politischen Institutionen präsent ist und von dort ihr Ziel einer Destabilisierung gesellschaftlicher Institutionen zwecks „Ausweitung des Sagbaren“ und des „Systemwechsels“ (Alexander Gauland) vorantreibt – flankiert von zahlreichen Intellektuellen aus Medien und Wissenschaft als wirkungsvolle Transmissionsakteure zur Eroberung einer „kulturellen Hegemonie“.

Normalitätsverschiebungen sind fortgeschritten, gefährliche Normalisierungsprozesse sind unübersehbar. Deshalb irritieren und bestürzen manche Reaktionsmuster von Professoren und Professorinnen wie Hochschulleitungen in Universitäten. Ein Beispiel ist ein Vorgang in der Universität Siegen im November 2018. Ein Professor hat Thilo Sarrazin sowie Marc Jongen, einen ehemaligen Assistenten von Peter Sloterdijk und jetzigen AfD-Bundestagsabgeordneten („Aufräumen im Miststall der Demokratie“), zu Vorträgen über Meinungsfreiheit eingeladen. Die Universität sperrte nach Angaben des Professors die Haushaltsmittel. Einladungen an andere Professoren des Fachbereiches zu „Gegen“-Referaten wurden laut Medienberichten nicht angenommen. Die lokale Situation scheint – jedenfalls aus der Ferne betrachtet – äußerst verworren und verweist gleichzeitig auf ein generelles Zukunftsproblem. 

Denn dies scheint ein weiterer Beitrag zur Zerstörung von Öffentlichkeit zu sein. Das ist auch deshalb problematisch, da wir nicht mehr nur eine Öffentlichkeit haben, in der Positionen und Widerspruch ausgetauscht werden. Man muss vielmehr von Öffentlichkeiten im Plural sprechen. Positionsbeschreibungen finden nicht mehr generell im kontroversen Austausch statt, sondern vorrangig in homogenen Gruppen in den jeweils – vielfach – abgedichteten Internet-„Filterblasen“ mit sich selbst bestätigenden Aufschaukelungsprozessen. Hinzu kommt die Frage: Wo bleibt das Selbstbewusstsein von Professorinnen und Professoren, wenn sich Vertreter des Autoritären Nationalradikalismus selbstbewusst in ein „feindliches“ Umfeld wie Universitäten hineinbegeben? Verweilen sie lieber in der eigenen linksliberalen „Filterblase“ – und aktivieren dort die eigene „überlegene“ Moral als Abwehrinstrument, um sich nicht mit beispielsweise den gruppenbezogenen menschenfeindlichen Positionen des Autoritären Nationalradikalismus auseinandersetzen zu müssen? Und: Welche Effekte haben diese Verhaltensweisen auf solche Studierende, die sich in Suchbewegungen befinden angesichts des Verschwimmens zahlreicher gesellschaftlicher Koordinaten, um selbst einen Standort im gesellschaftlichen Raum zu finden?

Die Verweigerung der Auseinandersetzung ist kein überzeugendes Verhalten – oder muss man vielleicht gar befürchten, dass die eigene Argumentationsnot angesichts der neuen rechtsintellektuellen Akteure so anstrengend und groß ist, dass man in die Moral der selbstdefinierten Überlegenheit flüchtet? Haltungssuchende Studierende wird das nicht überzeugen und für den unumgänglichen gesellschaftlichen Deutungskampf wäre es ein intellektuelles und politisches Armutszeugnis. Es gibt keinen folgenlosen Schleichweg aus der Verantwortung. Im Gegenteil: Kommunikationsverweigerung trägt nur zur weiteren wirkungsvollen Opferrolle der Akteure des Autoritären Nationalradikalismus als Diskriminierte bei – und damit zu ihren weiteren Erfolgen. Als Gegengift: Ein verpflichtendes gesellschaftspolitisches Studium generale muss her. Es steht viel auf dem Spiel.

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