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Emanzipiert euch, beim Sekt!

Frauen können besser zuhören und Männer besser einparken? Das scheint so nicht zu stimmen. Zumindest widerlegt die Wissenschaft neuerdings das gängige Klischee. Warum gerade bei Stehempfängen die Nervenstärke von Säbelzahntigerinnen gefragt ist, lesen Sie hier.

Sind Sie eine Frau? Vielleicht eine Wissenschaftlerin? Stehen Sie manchmal bei Uni-Empfängen herum, klammern sich an Prosecco und Brezel und verstehen nur noch Bahnhof?  Wundern Sie sich nicht, Ihren Geschlechtsgenossinnen geht es auch nicht besser. Im allgemeinen Gesprächslärm verlieren Frauen die Orientierung und können sich nicht mehr auf die Stimme ihres Gegenübers konzentrieren. Empört rufen Sie jetzt wahrscheinlich: Was für ein Chauvi-Geplapper! Kein Wunder, dass dem keine Frau zuhört. Aber so ist es nicht. Diese Aussage basiert selbstredend auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirft ein ganz neues Licht auf Stehempfänge, soziale Kontakte und das Verhalten von Frauen und Männern an der Universität. Tübinger und Dortmunder Aufmerksamkeitsforscher haben jüngst das sogenannte Cocktailpartyphänomen untersucht. Sie schickten Frauen und Männer in einen mit Lautsprechern bestückten Raum und ließen verschiedene Alltagsgeräusche ertönen. Die Probanden sollten herausfinden, woher die Geräusche kamen. Das Ergebnis: Männer konnten die Schallquelle viel genauer ermitteln als Frauen, so die Forscher, die auch gleich eine Erklärung für ihre Beobachtung mitliefern. Schuld ist demnach die menschliche Evolution. Der Urzeitmann musste raus auf die Jagd. Und da stand er nun im finsteren Wald, nerviges Vogelgezwitscher und Blätterrauschen von allen Seiten. Aber dort drüben links, ein Knacken, ein gezielter Speerwurf und die Familie konnte sich auf Säbelzahntiger-Schnitzel freuen.

Sie denken jetzt, das mag ja ganz interessant sein, aber sind denn Stehempfänge und Small Talk in der Wissenschaft so wichtig? Spielt es denn eine Rolle, ob man oder frau sich dort gut schlägt? Ein Blick auf die Ablage am Schreibtisch: Da stapeln sich die Einladungen für Antritts- und Abschiedsvorlesungen, Geburtstage, Ausstellungseröffnungen, Erstsemesterbegrüßungen und Absolventenverabschiedungen. Ein schier endloser Reigen von Grußworten, Reden, Streichquartetten und Sektempfängen. Ganz zu schweigen von den Tagungen und Konferenzen mit Kaffeepausen, Empfängen, gemeinsamen Abendessen und zwanglosen Get-Together, wie es neudeutsch so schön genannt wird. All das will überstanden sein, während - ach! - drei Seminare und eine Vorlesung vorzubereiten sind, sich die Abgabetermine für zwei Aufsätze gefährlich nähern, der Verlag auf das erste Kapitel des neuen Handbuchs pocht und sich draußen vor der Tür diese lange Schlange wartender Studierender bildet, die über ihre Haus-, Bachelor-, Magisterarbeiten und weiß der Teufel noch alles sprechen wollen.

Vor sich hinarbeiten geht heute nicht mehr

Muss ich jetzt wirklich noch zu der Festveranstaltung gehen oder auf die Jahrestagung des Fachverbands für transnationale Intermedialitätsdiskurse fahren? Früher konnte der Professor die vielen Einladungen und Tagungen, wenn er denn wollte, einfach ignorieren. Er arbeitete in seinem stillen Kämmerchen in einem entlegenen Flügel des Universitätsgebäudes vor sich hin, frönte seinem Forschungsgebiet und schrieb an seiner zehnbändigen Enzyklopädie der frühmittelalterlichen Metaphernbildung im nordwestdeutschen Raum. Bei den Kollegen galt er vielleicht als seltsamer Kauz oder Misanthrop. Wenn er nach vielen erfüllten Jahren an der Universität zu seiner Abschiedsvorlesung einlud, stand er bei seinem Sektempfang vielleicht ziemlich alleine rum. Aber das wird ihn nicht weiter gestört haben, denn er konnte sicher sein, mit dem Zehn-Bänder den Meilenstein in der nordwestdeutschen Metaphernforschung gesetzt zu haben, der noch für viele Jahre das Standardwerk sein würde.

Die Netzwerkgesellschaft hat uns mit ihren Tentakeln voll im Griff

Einfach so in seinem Bereich vor sich hin zu arbeiten, geht heute natürlich nicht mehr. Die Netzwerkgesellschaft hat uns mit ihren Tentakeln fest im Griff. Geradezu unvorstellbar, sich auszuklinken und nicht eifrig Kontakte zu knüpfen. Auch wenn sich, sagen wir mal, ein Maschinenbauer und eine Altphilologin zunächst nicht allzu viel zu sagen haben mögen, können sie nicht einfach ihrer Wege gehen. Nein, das ständig beschworene Netzwerken zwingt sie dazu, den altmodisch engen Blick aufs eigene Fach zu überwinden. Interdisziplinarität ist das Zauberwort des modernen Wissenschaftsbetriebs. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja ein Projekt oder gar ein Sonderforschungsbereich mit einem Titel wie „Heterogenität im Wandel. Interkulturelle und intertemporäre Perspektiven“.

Das Millionending in fünf Minuten klarmachen

Und dann erst die Tagungen: Hochämter des wissenschaftlichen Kurzgesprächs. Uniübergreifende, gar internationale Projekte können da beim Stehempfang in fünf Minuten klargemacht werden. Vielleicht ergibt sich sogar ein Weg in das Land, in dem Milch und Honig fließen, sprich nach Brüssel und zu den Fördergeldern der Europäischen Union. Und auch der Nachwuchs vom Doktoranden bis zum Juniorprofessor muss hier zu Höchstleistungen auflaufen: Wer hat Stellen zu vergeben? Wer sucht noch Autoren für ein Handbuch? Wer sitzt in welcher Berufungskommission?
Aber zurück zur Geschlechterfrage. Angesichts der eminenten Bedeutung des Netzwerkens in der Wissenschaft ist es natürlich ein Problem, wenn frau hier mit evolutionären Nachteilen zu kämpfen hat. Der Wissenschaftler entwirft zwischen Schnittchen und Sekt seinen Zehn-Stufen-Plan zum fächer- und länderübergreifenden Großprojekt – und die Wissenschaftlerin? Sie kann ihm gar nicht folgen, ist verwirrt von den vielen Stimmen ringsherum und bringt bloß ein Lächeln zustande. Da muss er doch das Großprojekt mit einem männlichen Kollegen klarmachen!

Dramatisch wirkt sich mangelnder Jagdinstinkt auf die Karriere aus

Oder umgedreht: Sie, gerade erst berufen, will Brücken bauen. Also reißt sie sich zusammen, geht sogar auf die Jungs von der Jura-Fakultät zu und schlägt ihnen einen gemeinsamen Studiengang vor. Gesetzt den Fall, die Jura-Professoren sind eigentlich gar nicht so unnahbar und nehmen den Vorschlag begeistert auf. Doch genau in dem Moment ruft jemand am Nachbartisch „Machen Sie sich doch nicht lächerlich!“, was sie wegen mangelnder Raumakustik-Fähigkeiten ihrem juristischen Gegenüber zuordnet. So schnell kann es gehen. Vorurteile bestätigen sich. Die junge Wissenschaftlerin ist verstockt, die Juristen – die sind doch immer schon arrogant gewesen.

Noch dramatischer wirkt sich der mangelnde Jagdinstinkt bei der Karriere aus. Der junge Wissenschaftler spürt bei Tagungen sofort, auf wen es ankommt. Gezielt pirscht er sich schon beim Begrüßungsreigen an die Beute heran, hängt dem großen Professor, der rein zufälligerweise in seinem neuen Projekt gerade eine Reihe von Stellen zu vergeben hat, an den Lippen und hat immer schmeichlerische Antworten parat. „So ein aufgeweckter junger Mann“, denkt sich der Professor, „der könnte sich in meinem Projekt gut machen.“ Die junge Wissenschaftlerin hingegen spricht den Professor erst am letzten Tag der Konferenz an. Da hat er schon 50 mittelmäßige Vorträge durchgestanden. Und schlimmer: Die Kollegen haben seine eigenen genialen Überlegungen in der Diskussion so richtig runtergemacht. Er ist also abgeschlafft, schlecht gelaunt und – auch wenn er es nie zugeben würde – eigentlich auf Lob gebürstet. Die Sache ist nur, im Stimmengewirr kann die Forscherin seine Fragen nach ihrer Meinung über seinen brillanten Vortrag nicht verstehen und antwortet nur mit „ja, ja“ oder „hmm“. So wird es dann natürlich nichts mit der neuen Stelle.

Was also tun? Spezielle Frauenförderprogramme mit Stehparty-Übungen? Stehpartys verbieten, weil sie frauenfeindlich sind, oder vielleicht besser: den Spieß umdrehen und mit den Waffen der Psycholinguistik zurückschlagen? Wenn Männer sich schon besser auf ihr Gegenüber konzentrieren können, dann sollen sie reichlich Gelegenheit dazu erhalten. Also keine Scheu vor Monologen, und wenn er auch mal was sagen will, Blickkontakt vermeiden und einfach weiterreden. Irgendwann gibt er auf und stimmt jedem Vorschlag zu. Säbelzahntigerin erfolgreich geortet und belauscht, aber sie war halt einfach stärker als er.

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