Wackeln an den Stühlen
Nürnberg soll eine Technische Universität bekommen – und mit ihr eine kleine Revolution.
Nürnberg soll eine neue staatliche Universität bekommen – eine Technische, in die der Freistaat Bayern 1,2 Milliarden Euro investieren will. 2025 soll sie an den Start gehen. Zu den Einzelheiten, an denen eine 16-köpfige Strukturkommission tüftelt, gehört: die Abschaffung althergebrachter Fakultätsstrukturen. Statt Lehrstühlen an der Spitze von Instituten soll es Departmentstrukturen nach dem Vorbild US-amerikanischer Hochschulen geben.
Das würde bedeuten, die übliche Lehrstuhlausstattung mit mehreren Mittelbau-und Doktorandenstellen fiele weg. Ein echter Bruch mit deutschen Universitätsgepflogenheiten. Es gäbe keinen „Big Boss“ und nachgeordnete Professuren im Institut mehr, sondern eine größere Zahl gleichberechtigter Hochschullehrer, die gemeinsam die Geschicke des Departments bestimmen und rotierend dessen Leitung übernähmen. Die sonst Lehrstühlen zugeordneten Mitarbeiterstellen würden insgesamt stark reduziert, die Doktorandenausbildung – einem schon vorhandenen Trend folgend – zentralisiert.
Bei null anfangen
Alternativ könnte es an der neuen Uni in Nürnberg „einen zentralen Pool aus wissenschaftlichen Mitarbeitern geben: Diese könnten verschiedene Aufgaben wie zum Beispiel Lehre übernehmen, wären keinem bestimmten Professor, sondern dem jeweiligen Department zugeordnet und würden aus dessen Haushaltsmitteln bezahlt“. So Prof. Dr. Wolfgang A. Herrmann, Präsident der TU München und Leiter der Strukturkommission für die neue TU. Dass man in Nürnberg nun mit allem bei null anfangen kann, reizt ihn offenkundig.
Nachwuchswissenschaftler der Jungen Akademie haben 2017 zu diesem Thema die Schrift „Departments statt Lehrstühle: Moderne Personalstruktur für eine zukunftsfähige Wissenschaft“ verfasst und zur Diskussion gestellt. Sie sehen darin unter anderem bessere Karrieremöglichkeiten für den Nachwuchs. Die Chancen auf eine Professur könnten sich erhöhen und damit auch die Chance, früh Verantwortung zu übernehmen. Die Autoren machen Vorschläge für eine Umsetzung der neuen Strukturen im laufenden Betrieb.
Demnach könnten vorhandene Mittelbaustellen aus Haushaltsmitteln im Verhältnis drei zu eins in Professorenstellen umgewandelt werden. Wissenschaftliche Mitarbeiter gäbe es dann nur noch auf Drittmittelstellen. Dass es diese weiterhin braucht, sieht natürlich auch die Junge Akademie: um den Zufluss exzellenten Nachwuchses zu gewährleisten, vor allem aber, um die kritische Masse für Forschungsprojekte zu erreichen. Letzteres würde auch dazu führen, dass die Professoren eines Departments künftig enger für Forschungsprojekte kooperieren.
Eine Operation am offenen Herzen – wie kann das funktionieren? In Ländern wie USA, England oder den Niederlanden sind solche Strukturen schon lange üblich. Doch an deutschen Hochschulen muss man lange suchen, bis man bereits existierende Good-Practice-Beispiele für Departmentstrukturen findet. Es sind Insellösungen auf Fakultäts- oder Institutsebene, auf die sich ein paar Engagierte geeinigt haben. Etwa an der Universität Bonn, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften in der Fakultät Rechts- und Staatswissenschaften. „Es funktioniert. Die Grundvoraussetzung ist aber: Alle Beteiligten müssen sich absolut einig darin sein, dass sie auf gewisse Privilegien verzichten können und hierarchiefrei arbeiten wollen“, sagt Dr. Jürgen von Hagen, Professor für Internationale Wirtschaftspolitik am Fachbereich. Andernfalls drohe „ein Hauen und Stechen“.
Von Hagen und seine Professorenkollegen arbeiten nach eigenem Bekunden aber schon seit Jahrzehnten sehr kollaborativ über Lehrstühle und Institute hinweg zusammen – mental sei deshalb keine große Umstellung nötig gewesen, betont von Hagen, der seit Kurzem auch Dekan der Fakultät Rechts- und Staatswissenschaften ist. Strukturell änderte sich natürlich einiges: Die Lehrstühle wurden aufgelöst, aus dem Fachbereich wurde ein im Rotationssystem geleitetes Department mit vier großen Instituten, von denen jedes etwa zehn Professuren (W1, W2 und W3) hat. Die Zahl der Professuren sei kostenneutral erhöht worden: Eine Reihe von Mittelbaustellen wurde in Juniorprofessuren umgewandelt. Und wenn für Drittmittelprojekte wissenschaftliche Mitarbeiter verpflichtet und Stellen ausgeschrieben werden sollen, bestimme darüber nicht ein Kollege allein, sondern es werde gemeinsam entschieden, sagt von Hagen.
Wenig Lust, einen Lehrstuhl zu verwalten
Einige Aufgaben wurden zentralisiert: „Jedes Institut hat ein gemeinsames Sekretariat. Außerdem hat unser Department ein gemeinsames Management für Lehre, Prüfungen und Geschäftsführung, das sehr professionell arbeitet, weil es mit guten Fachkräften besetzt ist. Dadurch haben wir Professoren deutlich weniger Verwaltungsarbeit und mehr Zeit für Forschung und Lehre“, zählt von Hagen auf. Gerade Letzteres sei immer wieder besonders von den jüngeren Kollegen gewünscht worden. Viele hätten „wenig Lust gehabt, einen Lehrstuhl zu verwalten“.
Für Dr. Philip Manow, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, hätten Departmentstrukturen zudem den Vorteil, gegebenenfalls Lehrdeputate flexibler handhaben zu können. „Die Lehrverpflichtung ist in Deutschland zum Teil absurd hoch. In einem gut funktionierenden Departmentkollegium wäre es denkbar, mal den einen, mal den anderen Kollegen – je nach aktuellen Forschungsprojekten – für einen festgelegten Zeitraum von der Lehre zu entlasten, während andere während dieser Zeit dann mehr lehren.“ Voraussetzung dafür wäre, so Manow, dass die Verantwortung für das Gesamtlehrdeputat dann beim Department läge und nicht mehr über die individuelle Lehrverpflichtung eines jeden Hochschullehrers abgesichert würde. Auch Manow sagt: „Wir arbeiten bereits sehr hierarchiefrei, die Chemie stimmt am Institut. Andernfalls wäre es sicherlich nicht machbar.“
Dennoch: Manows Institut für Politikwissenschaft hat 2016 die Umstrukturierung in ein Department beschlossen, verhandelt derzeit aber noch immer über die Umsetzung mit der Hochschulleitung und der zuständigen Senatsbehörde. Die bürokratischen Mühlen mahlen langsam, zu den Gründen übt Manow sich in Zurückhaltung.
Prof. Dr. Luidvika Leisyte, Hochschulforscherin an der TU Dortmund, sagt: „In Deutschland sind Professoren – je nach Fach mal mehr, mal weniger – Individualisten. Forschung und Lehre betreibt jeder, wie er will. Damit auch in Deutschland Departmentstrukturen populärer werden, bräuchte es einen Kulturwandel.“ Doch wenn es um ihre hart verhandelten Berufungszusagen geht, verstehen viele Professoren keinen Spaß. Schon gar nicht bei der Aussicht, mit der Departmentleitung immer wieder neu in Verhandlung über Lehrdeputate und Forschungszeit treten zu müssen – wie es etwa in den USA üblich ist.
Frage an Prof. Dr. Wolfram Pernice, Physiker an der Universität Münster und einer der Autoren der Schrift der Jungen Akademie: Sieht er denn eine Perspektive für die Departments? Etwa, dass auch deutsche Professoren sich von Ausstattungszulagen lösen zugunsten anderer Vorteile?
Pernice sagt: „Zumindest in den Naturwissenschaften kommt ein großer Teil des Geldes für Forschungsprojekte und die entsprechenden Mitarbeiter über externe Drittmittel. Deshalb sind Drittmittel für viele Naturwissenschaftler oft von größerer Bedeutung als die Stellen aus Haushaltsmitteln.“ Er räumt jedoch ein, dass für weniger drittmittelstarke Fächer andere Bedingungen gelten. Dort könne es sinnvoller sein, mit einem Pool aus wissenschaftlichen Mitarbeitern zu arbeiten, die aus Haushaltsmitteln bezahlt würden.
Was davon wirklich funktioniert, könnte ab 2025 vielleicht an der neuen TU Nürnberg zu besichtigen sein.
DUZ Magazin 12/2018 vom 14.12.2018