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Nicht klagen, gut lehren

Ein Plädoyer für die universitäre Lehre als pädagogische Aufgabe.

„Wem viele Arbeiten von Studierenden durch die Hände gehen, Referate in Seminaren, kleinere oder größere Übungsarbeiten (…), der muß die stets wiederholte Erfahrung machen, wie außerordentlich schlecht es im Durchschnitt mit der Ausdrucksfähigkeit, ja mit der elementaren Beherrschung der Muttersprache bestellt ist.“ Mit diesen Worten formulierte der deutsche Historiker Ernst Bernheim schon im Jahr 1912 die Klage eines deutschen Universitätshistorikers über die Erfahrungen mit Studierenden in der Lehre.

Wenig hat sich geändert, Bernheims Beschreibung wirkt auch heute noch aktuell: Lehrende beklagen Mangel an Wissen, Fähigkeiten und Motivation und rufen das Ende der mit dem Abitur zertifizierten Studierfähigkeit aus. Kritisiert wird, Studierende könnten keine E-Mails schreiben und ihre Vorkenntnisse reichten nicht – ihre mathematischen Kenntnisse für ein MINT-Studium genauso wenig wie ihre orthografischen Kenntnisse und Lesefähigkeiten für ein Geschichtsstudium.

Für die mangelnde Studierfähigkeit von Studienanfängern wird die Schule verantwortlich gemacht: Die Reformprozesse hätten das Gymnasium so sehr verändert, dass es dem Ziel der Wissenschaftspropädeutik nicht mehr gerecht werden könne. Bernheim konstatierte 1912, dass „(...) neuerdings ein immer größerer Prozentsatz der Studierenden aus weniger gebildeten Volkskreisen herstammte und von Hause aus weniger literarische Bildung mitbrächte“.

Nun kann man mit der schulischen Vorbildung unzufrieden sein. Wenn man dabei stehen bleibt, hat das vor allem den Charme, dass man die Universität entlastet – an der sich selbst nichts ändert. Doch ist heute die Zielstellung der Sekundarstufe II viel komplexer, als es der Begriff der Wissenschaftspropädeutik nahelegt. Auch von der Universität wird heute mehr verlangt als nur die reibungslose Abwicklung eines fachwissenschaftlichen Studiums.

Hinzugekommen sind Ziele wie Citizenship oder Employability sowie Rahmenbedingungen wie Heterogenität und Diversitätsorientierung. Damit befinden sich sowohl das Gymnasium als auch die Universität in einem offenen Entwicklungsprozess mit ambitionierten Zielen. Hinzu kommen bildungspolitisch fragwürdige Rahmensetzungen wie die Kopplung von Mittelzuweisungen an Absolventenquoten.

Auf diese Herausforderungen reagieren die Fächer mit Brückenkursen, die Defizite in der Vorbildung ausgleichen sollen. Über den Qualitätspakt Lehre sind Beratungsstrukturen für diese frühe Studienphase aufgebaut worden. Das ist nicht verkehrt. Der hochschuldidaktische Blick muss sich aber auch auf die Arbeit mit den Studierenden im Studium selbst richten. Die Lehre kann hier unterschiedlich reagieren. Zum einen müssen wir Studierende früh wissenschaftspraktisch arbeiten lassen.

Studierende fordern – durch das Delegieren von Verantwortung

Nichts fordert Studierende mehr als die Delegation von Verantwortung. Zum anderen müssen wir unsere fachlichen Standards transparent und nachvollziehbar vermitteln, vorleben und erklären. Stärker wird man im Seminar auch diagnostisch arbeiten und darüber jeden einzelnen Studierenden individuell mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in den Blick nehmen müssen; fachspezifische diagnostische Rezepte fehlen in der hochschuldidaktischen Ratgeberliteratur bisher fast völlig. Schließlich ist die Universität gefordert, sich dem Problem der Studierfähigkeit empirisch-forschend zu nähern. Das passiert noch viel zu selten. Einen Ansatz liefert das Scholarship of Teaching and Learning, das eine empirische Forschung über typische Lernhindernisse und deren Bedeutung für die eigene Lehre einfordert.

Bernheims Reaktion war nicht die Resignation und der bildungspolitische Zeigefinger, der auf die Schulen zeigt. Seine Antwort war eine Besinnung auf die universitäre Lehre als pädagogische Aufgabe, als kluger und reflektierter Umgang mit den Studierenden. Die Frage nach der Studierfähigkeit hat er in eine Diskussion über gute Lehre umgewandelt. Daran sollten wir heute anknüpfen.

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