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Eine Scheidung und ein Eheversprechen

Der Brexit schweißt britische und deutsche Forscher zusammen.

Es verhält sich mit dem Brexit wie bei vielen echten Scheidungen: ein Partner möchte gehen, der andere macht es ihm schwer. Beide bringen nur mühsam Verständnis für den Standpunkt des Anderen auf. Es folgen lange Diskussionen und ermüdende Verhandlungen, und natürlich geht es auch um Geld. Am meisten leiden die Kinder angesichts des Rosenkrieges der Eltern. Sie wollen die Trennung nicht, fühlen sich vernachlässigt und in Ungewissheit gelassen. Nur ein Positives gibt es der Situation abzugewinnen: Sie schweißt die Kinder zusammen, macht sie zu Verbündeten. Die Kinder, das sind auch die Forschenden in Großbritannien und Europa.

Zugang zu EU-Fördermitteln sichern Während die EU und Großbritannien um ein Brexit-Abkommen ringen, bevor die Scheidung am 29. März 2019 um Punkt 11 Uhr offiziell wird, suchen britische Forschende und ihre Universitäten mehr denn je den Schulterschluss mit Partnern auf dem europäischen Festland. Die wichtigsten Verbündeten für die Briten sind dabei deutsche Universitäten. Neben Kooperationsabsichten zwischen dem Londoner King’s College und der Technischen Universität Dresden, dem Imperial College London und der Technischen Universität München, der Leuphana Universität Lüneburg und der University of Glasgow, ist es vor allem die Oxford University, die über eine Repräsentanz in Berlin Nähe demonstriert zu ihren dort ansässigen Bündispartnern – Freie, Technische und Humboldt-Universität.

Wo bislang einzelne Disziplinen sich gemeinsam positionierten, wolle man nun „auf den bereits bestehenden Beziehungen aufbauen und diese über alle Fachbereiche aller Partner in einer umfassenden Kooperation bündeln, die auf allen Ebenen der Universität, in Forschung, Lehre und Verwaltung, stattfindet“, erklärt Prof. Dr. Angela Ittel, die als Vizepräsidentin der Technischen Universität (TU) Berlin die
„Strategische Entwicklung“ verantwortet. Gerade wurde die erste Förderrunde ausgeschrieben, in der gemeinsame Forschungsprojekte mit je 10 00 bis 30 000 Euro für einen Zeitraum von maximal 18 Monaten unterstützt werden sollen. Zum von beiden Seiten zu gleichen Teilen getragenen Budget von 600 000 Euro kommen noch weitere 200 000 Euro für gemeinsame Workshops.

„Wir müssen multinational handeln und brauchen eine Basis in Europa“

Dass sich Oxford mit der Kooperation und einer geplanten räumlichen Repräsentanz in Berlin lediglich Zugang zu europäischen Fördermitteln sichern wolle, die im Fall eines harten Brexits oder beim Scheitern des Brexit-Abkommens wegbrechen würden, sei eine einseitige Interpretation, sagt Prof. Alastair Buchan, Ph.D. Der Neurologe und Leiter des Büros für die Brexit-Strategie der Oxford University gibt sich pragmatisch: „Wir müssen multinational handeln und brauchen eine Basis in Europa, die uns Zugang zu Daten, Forschungsergebnissen sowie wissenschaftlichen Sammlungen und Bibliotheken verschafft. Natürlich können wir von dieser Basis keine Forschungsgelder nach Großbritannien verschieben, aber wir können sie nutzen, um Wissenschaftlern aus Oxford innerhalb Europas das Arbeiten zu ermöglichen.“

Man verstehe sich jedoch nicht als Bittsteller, betont Buchan. Es handle sich vielmehr um eine Partnerschaft ohne Verlierer und sei damit eine klare „Win-win-Situation“. Die Partnerinstitutionen „begegnen sich auf Augenhöhe“, ergänzt Ittel. Ihrer Schilderung nach habe die Partnerschaft auch für die Berliner, die ebenfalls eine Dependance in Oxford planen, klare Vorteile. „Wir binden damit einen renommierten und hervorragend arbeitenden Partner an uns und machen gleichzeitig weltweit für unseren Verbund Werbung“, sagt die TU-Vizepräsidentin.

Es gebe Anfragen von Universitäten in Toronto und Melbourne, die gerne mit in die Kooperation einsteigen würden oder eine eigene Kooperation mit dem Berliner Universitätsverbund auf die Beine stellen möchten, berichtet Buchan. Berlin erstelle mit den Briten „eine Blaupause für Kooperationen dieser Größenordnung“, glaubt Ittel. Mit Blick auf die Berliner Verbundbewerbung zur Exzellenzstrategie sei die Kooperation „sehr willkommen“. Außerdem wolle der Berliner Verbund beim Fundraising von den Engländern lernen.

Voneinander lernen wollen auch die Cambridge University und die Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit jeweils einer Millionen Euro fördern die beiden Standorte in den nächsten fünf Jahren gemeinsame Projekte. Dies soll allerdings ohne Repräsentanz in München geschehen. Prof. Dr. Thomas Ackermann hält diese „schon aus Kostengründen nicht für zielführend“. Stattdessen schwebt dem Leiter für die strategische Partnerschaft mit Cambridge eine Zusammenarbeit vor, „die von unten her wächst, das heißt, aus zahlreichen Einzelprojekten gemeinsamer Forschung und Lehre, die nicht von oben verordnet wird“.

Es gehe nicht nur um Forschung, sondern auch „ausdrücklich um Innovationen in der Lehre, gemeinsame Module und Kurse sowie den Austausch auf studentischer Ebene“. Cambridge zeichne „ein Spagat zwischen Tradition und innovativer Spitzenforschung“ aus. Das mache die Universität zu einem „idealen und vorbildlichen“ Kooperationspartner, der, wie der Jurist Ackermann sagt, „ein internationales Standing hat, das über dem Münchens liegt“. Wie auch bei der Oxford-Berlin-Kooperation wurde gerade die erste Projektausschreibungsrunde abgeschlossen; das Budget fürs kommende Jahr wurde zunächst auf 400 000 Euro festgesetzt. Und auch in München wird die Zusammenarbeit mit dem britischen Partner als „wichtiger Baustein unserer Exzellenzstrategie“ gesehen, wie Ackermann sagt.

Allseits wird betont, es gehe um mehr als Fördergelder und Statuszuwachs. „Nicht zufällig wird der offizielle Start der Kooperation München-Cambridge zeitlich kurz nach dem Brexit stattfinden“, erklärt Ackermann. Die Botschaft ist klar: „Wir lassen uns durch den Brexit nicht am Fortbestand unserer wissenschaftlichen Beziehungen hindern.“ Auch wenn ohne Abkommen bislang nicht klar ist, in welcher Beziehung die beiden Länder stehen werden, wie es mit der Finanzierung gemeinsamer, EU-geförderter Projekte und der Mobilität der Forscher weitergeht, werden Optimismus und Schulterschluss demonstriert.

„Diese strategischen Kooperationen können den negativen Effekt des Brexit zwar nicht aufwiegen“, urteilt Mike Galsworthy, Ph.D., von der Initiative „Scientist for EU“. Sie zeigten aber, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft „erfinderisch ist und versteht, dass für hochqualitative Forschung Netzwerke und Kooperationen sowie der Austausch von Ideen ausschlaggebend sind“. Die Wissenschaftler wollten zeigen, dass sie sich von der Politik distanzieren, sich vielmehr als „Teil eines globalen Teams ohne Grenzen“ verstehen, fasst der Brite zusammen. Ohne Großbritannien würde das Team, das Europa als Wissenschaftsstandort so erfolgreich gemacht hat, „nicht nur an Volumen, sondern auch an Exzellenz verlieren“, mahnt er.

Selbst die Nutznießer hätten wenig Anlass zur Freude, ist sich auch Ackermann sicher. Durch einen Wegfall der Antragsberechtigung für EU-Förderung würde es ohne Universitäten wie Cambridge und Oxford zwar weniger Konkurrenz geben, aber gleichzeitig auch die Reputation der Fördermittel abnehmen.

„Die Dinge kommen und gehen, aber wir Universitäten bleiben.“

Der Brexit mag Auslöser für das Zusammenrücken der Universitäten auf beiden Seiten des Kanals sein, paradox scheint dabei aber, dass er aus Sicht der Beteiligten wenig Einfluss auf die weitere Entwicklung der strategischen Partnerschaften haben wird. „Diese Kooperation wird Bestand haben, egal wie die politische Zukunft von England und seine Beziehung zu Europa aussieht“, betont Ittel in Berlin.

Buchan in Oxford ergänzt: „Was wir hier machen, hat in vielerlei Hinsicht gar nichts mit dem Brexit zu tun. Der Brexit – ganz gleich, ob er nun geschieht oder nicht – ist doch letztlich nur ein politisches Stühlerücken. Die Dinge kommen und gehen, aber wir Universitäten bleiben. Unser Anliegen ist viel grundlegender. Hier geht es um Studium und Forschung und Dinge, die Hunderte von Jahren andauern werden.“ Ein Eheversprechen – mit dem der Scheidung von EU und Großbritannien getrotzt werden soll.

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