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Immer wieder neue Fragen

Bei ihrem Nationalakademie-Jubliäum denkt die Leopoldina über die öffentliche Rolle der Wissenschaft nach.

Pflanzen, deren Erbgut mit der Genschere Crispr verändert wurde, fallen unter das Gentechnikgesetz: Mit diesem Urteil überraschte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juli die Öffentlichkeit – und schockierte die Wissenschaft. „Ich kenne keinen einzigen Lebenswissenschaftler, der das erwartet hätte“, sagt Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina.

Ob die Stimme der Wissenschaft vom Gericht nicht ausreichend gehört wurde oder sich die Richter trotz genauer Kenntnis ihre abweichende Meinung erlaubten, bleibt ihr Geheimnis. Im Bedarfsfall ziehen Gerichte Sachverständige zurate und steht ihnen die Expertise auch der Leopoldina zur Verfügung. An Interesse am Austausch mangelt es auf wissenschaftlicher Seite nicht, für die Jahresversammlung der Leopoldina 2019 ist dem Vernehmen nach geplant, dass eine Verfassungsrichterin den Hauptvortrag hält.

Mehr Kontakt zu den Zielgruppen in Politik und Gesellschaft, in denen die Leopoldina mit ihrer Expertise etwas bewirken möchte, steht ganz oben auf ihrer Agenda. In diesem Jahr feiert sie ihr zehnjähriges Jubiläum als Nationale Akademie – seit 2008 ist die Leopoldina die zentrale Institution der wissenschaftlichen Politikberatung in Deutschland. Sie bündelt das Wissen der Landesakademien und arbeitet mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Akademienunion zusammen. Bestandteil der ersten zehn Jahre waren eine Aufbauphase, in der es die Prozesse der Beratung zu organisieren galt. Vierteljährlich treffen sich die Mitglieder des ständigen Ausschusses, um die Themen zu erörtern, zu denen die Nationale Akademie Stellungnahmen vorlegen will. Dann werden Arbeitsgruppen eingesetzt zu Themen wie etwa Energiesysteme, Datenschutz oder Schutzimpfungen, die die Stellungnahmen erarbeiten. International hat sich die Leopoldina mit Partnerakademien vernetzt; gemeinsam bringen sie Expertise bei den G7­ und G20­Treffen der großen Industrieländern auf die Agenda.

„Das Feld der wissenschaftlichen Politikberatung hat sich vergrößert“, sagt Hacker, „in der Politik ist die Offenheit für wissenschaftliche Fragestellungen gewachsen.“ Als positive Beispiele aus der Arbeit der er­sten zehn Jahre führt er die Präimplantationsdiagnostik an, zu der die Leopoldina 2012 eine Stellungnahme abgab, die maßgeblich die anschließende Bundesgesetzgebung beeinflusste. Und das Thema Public Health – öffentliche Gesundheitsversorgung – sowohl national wie auch international voranzubringen: Im Bundesgesundheitsministerium gebe es dazu inzwischen eine Arbeitsgruppe, und bei den internationalen G7­ und G20­Gipfeln habe man das Thema auf die Agenda bringen können und auch direkt mit den „Sherpas“ – den Chefunterhändlern – sprechen können.

Dennoch, räumt Hacker ein, hapere es vielfach an der Umsetzung des Rats, den die Wissenschaft der Politik bietet. „Viel langsamer, als nach Fukushima erwartet“, gehe es bei den erneuerbaren Energien und bei der Sektorkopplung voran. „Wenn man sich so eine Stromtrasse vor Ort ansieht, kann man den Unmut der Leute verstehen“, sagt er. Deshalb gehört auch die Öffentlichkeit zu den besagten Zielgruppen, bei denen die Leopoldina präsenter werden möchte. Es gilt, mit der Überforderung und den populistischen Reflexen darauf umzugehen, die die wissenschaftliche Expertise zuweilen hervorruft. 

Wären diese selbst, also Populismus und die Lust an irrationalen Entscheidungen, nicht ein Thema, das die Leopoldina erforschen könnte? Ebenso wie beispielsweise Migration, die bei der Leopoldina nur unter gesundheitlichen Aspekten vorkommt. Was ist mit den Wanderungsbewegungen in Afrika, der Frage, ob und wo man Flüchtlingslager einrichtet? Wo bleibt hier der wissenschaftliche, der sozialwissenschaftliche Rat? Man müsse sich auf Feldern bewegen, in denen die Wissenschaft eine Rolle spiele, sagt der Biologe Jörg Hacker dazu, verweist aber auch auf die naturwissenschaftliche Tradition der Leo­poldina. Erst seit den 90er­Jahren wählt sie auch Mitglieder anderer Diszi­plinen. Da die Mitglieder auf Lebenszeit ernannt werden, brauchen personelle Veränderungen ihre Zeit. 

Für Hacker steht aktuell die Vermittlung der Wissenschaft im Vordergrund: „Wir müssen uns selbst, die Wissenschaft, besser erklären“, sagt er und spricht vom immanenten Zweifel und den Wahrheiten, die immer aufs Neue infrage zu stellen sind. „Wissenschaft generiert nicht so eindeutige Aussagen, wie die Politik sie braucht“, bestätigt seine Akademiekollegin Prof. Dr. Birgitta Wolff, die Präsidentin der Goe­the­Universität Frankfurt ist. Sie meint, oftmals werde die Medienpräsenz von Wissenschaftlern überschätzt: „Nur weil jemand häufig in der Öffentlichkeit auftritt, hat er noch keinen Einfluss auf die Politik.“ Studien und Beratung sieht sie als tragfähig­ste Brücken in die Politik – so wie auch die Leopoldina sie liefert. Doch ob die darin steckende Mühe von der Politik immer angemessen gewürdigt werde, sei fraglich: „Wenn der Leopoldina­Präsident Jörg Hacker eingeladen wird und persönlich spricht, kommt sicherlich viel mehr bei den Betreffenden an.

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