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Ratlosigkeit der Berater

Politikberater produzieren gerne Ratlosigkeit. Machiavelli hat es vorgemacht.

Niccolò Machiavelli war ratlos. Seit über einem Jahr saß er nun in Sant‘ Andrea vor den Toren von Florenz fest. Vom Garten seines Landgutes aus konnte er die Domkuppel seiner geliebten Heimatstadt am Horizont sehen. Ihr hatte er über Jahre hinweg in wichtigen Ämtern gedient, zuletzt als außenpolitischer Staatssekretär. Jetzt aber, nachdem die Medici die Republik beseitigt und ihn ins Exil geschickt hatten, durfte der überzeugte Republikaner Florenz nicht mehr betreten und konnte in die Geschicke am Arno nicht mehr eingreifen. Zur Untätigkeit verdammt, vertrieb er sich die Zeit mit Spaziergängen durch ein nahes Wäldchen, mit Kartenspiel im benachbarten Wirtshaus und mit dem Plaudern über die Neuigkeiten, die die Reisenden auf der Landstraße, die an seinem Gut vorbeiführte, mit sich brachten.

„Ist es Abend geworden“, so berichtet Machiavelli weiter aus dem Exil in einem Brief vom 10. Dezember 1513 an seinen Freund Francesco Vettori, „gehe ich nach Hause und kehre in mein Arbeitszimmer ein. An der Schwelle werfe ich das schmutzige, schmierige Alltagsgewand ab, ziehe mir eine königliche Hoftracht an und betrete passend gekleidet die Hallen der Großen des Altertums. Ich werde von ihnen liebevoll aufgenommen und hier nehme ich die Nahrung zu mir, die allein mir angemessen ist und für die ich geboren bin. Hier darf ich ohne Scheu mit ihnen reden, sie nach den Beweggründen ihres Handelns fragen, und menschenwürdig antworten sie mir.“

Der politische Praktiker Machiavelli sieht sich durch sein Exil dazu gezwungen, die Vita activa gegen die Vita contemplativa einzutauschen, also die politische Aktivität durch die kontemplative Nachdenklichkeit über die Handlungsgründe von Politikern der Antike zu ersetzen. Sein Rat ist nun nicht mehr gefragt – und er ist seinerseits ratlos, wie er diese für ihn unerträgliche Lage ändern könnte. Lassen sich die neuen Machthaber in Florenz nicht doch irgendwie überzeugen, dass auch sie seiner Ratschläge bedürfen, die er aus seinen langjährigen politischen Praxiserfahrungen und aus den „Gesprächen“ mit den Großen des Altertums gewinnt? Machiavelli geht mit sich selbst und mit seinen Büchern zurate, und das Produkt dieser Selbstberatung ist das Beratungsbüchlein „Il Principe“ („Der Fürst“), das er dem Medici-Fürsten Lorenzo widmet. Wird dieser den verbannten Berater wieder zurate ziehen und damit aus seiner existenziellen Ratlosigkeit befreien?

Krisendiagnostiker bringen sich selbst als Therapeuten ins Spiel

Die existenzielle Ratlosigkeit Machiavellis im Exil steht am Anfang von „Il Principe“. Doch an dessen Ende steht keinesfalls Wohlberatenheit, sondern wiederum Ratlosigkeit – nunmehr aber die politische Ratlosigkeit des Lesers. Denn das Buch diagnostiziert eine politische Krise, ohne ihr abzuhelfen: die Krise von Florenz und von ganz Italien angesichts der inneren Zerstrittenheit und des Eingreifens benachbarter Mächte. Demonstrativ lässt Machiavelli am Ende seines Buches offen, was genau der adressierte Lorenzo de Medici tun und auf welche Ratgeber und Ratschläge er hören soll, um die Krise zu meistern – und produziert so Ratlosigkeit.

Damit wendet Machiavelli eine aufmerksamkeitsökonomische Strategie an, derer sich Politikberater seit jeher bedienen: Sie stellen bei ihren Adressaten politische Ratlosigkeit fest und her, um sich sodann als diejenigen anzubieten, die diese Ratlosigkeit beheben können. Die (Ideen-)Geschichte der Politikberatung lässt sich daher nicht nur als eine Geschichte der Reduktion politischer Ratlosigkeit erzählen, sondern auch als eine Geschichte ihrer Produktion.

Ratgeber aller Zeiten wenden sich an die Mächtigen und erteilen ihnen Ratschläge, wie gut zu regieren und klug zu entscheiden sei. Unter diesen Ratgebern sind nicht nur Staatsphilosophen, Rechtsgelehrte und Verwaltungsexperten, sondern auch Orakelpriester, Astrologen, Beichtväter, Geliebte, Verwandte, Höflinge, Politikveteranen, Erzieher, Weggefährten, Wissenschaftler und Hofnarren. Sie alle konkurrieren mit ihrem jeweiligen Beratungswissen um den Zugang zur Macht, und dabei behaupten sie auf je eigene Weise politische Ratlosigkeit, zu deren Verringerung sie ihre Beratung anbieten.

Für die Entscheidungsträger ergibt sich daraus das Problem, die jeweils behauptete Ratlosigkeit zu beurteilen und zu ihrer Beseitigung die geeigneten Ratgeber auszuwählen. Zu eben diesem Problem schwingt sich Machiavelli nun als Meta-Ratgeber auf. Er will Lorenzo nicht nur dessen Ratlosigkeit angesichts der aktuellen außenpolitischen Krise vor Augen führen, sondern zudem die Kriterien für die Auswahl guter Berater bestimmen, die zur Beseitigung der Ratlosigkeit beitragen können (und zu denen, natürlich, er selbst zu rechnen ist).

Jemand, dem jeder Beliebige ungefragt Ratschläge erteilen kann, verliert an Ansehen und Autorität.

Ein Fürst, so Machiavelli, dem jeder Beliebige ungefragt Ratschläge erteilen dürfe, verliere an Ansehen und Autorität. Es sei daher ratsam, dass der kluge Fürst „für seine Regierung weise Männer auswählt, denen allein er die Freiheit gewährt, ihm die Wahrheit zu sagen, und zwar nur über die Dinge, nach denen er fragt, und über nichts anderes“. Die in diesen inner circle zu berufenden weisen Männer zeichnen sich außerdem durch ihre Loyalität aus, und hierfür gibt es einen simplen Test: „Wenn du merkst, dass der Berater mehr an sich denkt als an dich und bei all seinen Handlungen den eigenen Vorteil sucht, so wird dieser nie ein guter Berater und du kannst ihm niemals trauen.“

Machiavellis Meta-Beratung zum Umgang des Fürsten mit dem Rat lässt jedoch wiederum einen Beratungsbedarf offen. Denn letztlich hänge es immer von der Klugheit des Fürsten ab, ob er die richtigen Ratgeber und Ratschläge erkenne oder nicht: „Berät sich aber ein Fürst, der selbst nicht klug ist, mit mehreren, so wird er nie übereinstimmende Ratschläge erhalten und er selbst wird sie nicht in Einklang bringen können; jeder seiner Ratgeber wird an den eigenen Vorteil denken, und der Fürst wird sie weder zurechtweisen noch durchschauen können.“ Ein Fürst muss also klug sein, wenn er die eigeninteressierten von den guten Ratgebern unterscheiden können will. Doch wie wird er klug? „Il Principe“ lässt das offen – so offen wie die Frage nach der angemessenen Strategie zur konkreten Krisenbewältigung in Florenz und Italien. Das Beratungsbüchlein produziert auch in diesem Sinne Ratlosigkeit – und damit einen Bedarf nach weiterer Beratung.

„Further research and more advice is needed.“ So werden zukünftige Politikberater sagen – und meinen damit selbstverständlich ihre eigene Forschung und Beratung. Eine Theorie politischer Ratlosigkeit fragt deshalb, wann, wie und von wem wird politische Ratlosigkeit fest- und hergestellt, indem die Frage gestellt wird: Was tun? Die Krisen unserer Zeit veranschaulichen es, von den Risiken des Klimawandels über die terroristische Bedrohung bis hin zur populistischen Herausforderung der liberalen Demokratie – oftmals sind es gerade die Krisendiagnostiker, die sich als Therapeuten ins Spiel bringen. Indem sie die Frage stellen, was zu tun sei, ohne sie gleich zu beantworten, produzieren sie Ratlosigkeit, zu deren Abhilfe sie sich als Ratgeber anbieten. Politische Ratlosigkeit ist in diesem Sinne – auch – ein Produkt der aufmerksamkeitsökonomischen Strategien ambitionierter Politikberater.

Es hängt von der Klugheit des Ratsuchenden ab, ob er die richtigen Ratgeber und Ratschläge erkennt.

Ob die Politikberater mit ihren Ratlosigkeitsdiagnosen Gehör finden? Dem klugen Ratgeber Machiavelli gelang es jedenfalls nicht, sich mit „Il Principe“ den Weg aus seiner existenziellen Ratlosigkeit heraus zurück nach Florenz zu bahnen. Doch sein praktisches Scheitern hatte der ungebetene Ratgeber aus Sant‘ Andrea vor den Toren von Florenz paradoxerweise theoretisch ja schon vorweggenommen. Schließlich rät er dem adressierten Lorenzo in „Il Principe“ gerade, er solle nur den Beratern aus dem engsten Machtzirkel vertrauen: „Außer auf sie soll er auf niemanden hören.“

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