Mehr als eine generöse Geste
Der „Berliner Aufruf“ der Richterin Susanne Baer.
Beim Weltkongress „Die Universität und die Zukunft der Demokratie“ von Scholars at Risk hat die Richterin Prof. Dr. Susanne Baer in ihrem „Berliner Aufruf“ Universitäten aufgefordert, mit geflüchteten Forschern in einen echten „Austausch unter Gleichen“ zu treten.
Frau Prof. Baer, viele Unis und Forschungseinrichtungen betonen, dass sie verfolgte Forscher bereits unterstützen. Reicht das nicht?
Es kommt darauf an. „Unterstützung“ hört sich gut an – oder Sätze wie „Wir kümmern uns um Scholars at Risks“. Aber was bedeutet es für eine Universität, dies tatsächlich als Teil ihres Selbstverständnisses zu begreifen? Es ist ähnlich wie bei jedem Engagement für Vielfalt, also Diversity Politics: Das ist nicht nur ein Add-On, das man jetzt „auch mal macht“, weil ein Land gerade in der Krise ist. Die Unterstützung gefährdeter Forschender ist vielmehr integraler Teil und identitätsstiftende Idee der Universität. Das gilt jedenfalls im Sinne der Humboldts: Mit Wilhelm ist das wirklich gemeinsames Lehren und Lernen. Und mit Alexander ist Weltoffenheit nicht koloniale Neugierde, sondern gemeinsames Erkunden. „Unterstützung“ ist damit nicht nur eine generöse Geste, sondern ernsthaftes Engagement. Universitäten müssen sich mit dem Unbekannten auseinandersetzen und sich auch mit ihm anfreunden – und das ist entscheidend.
In Ihrer Rede bei der Tagung von Scholars at Risk haben Sie an die Grundidee der Universität als politischem Faktor in einer Demokratie erinnert.
Das scheint mir wichtig, denn die demokratische Dimension droht, über dem Ruf nach Effizienz und Exzellenz in Vergessenheit zu geraten. Sie lässt sich auch mit Humboldt verbinden, und es ist kein Zufall, dass diese Vorstellung weltweit verfangen hat: In Nord- und auch in Südamerika, in Asien und Afrika sind Universitäten gegründet worden, die der Idee folgen, dass der Staat eine finanzielle Grundversorgung herstellt, denn Wissenschaft braucht Geld – und dass der Staat ihnen gleichzeitig Freiheit lässt und sichert. Und diese Freiheit muss die Universität nutzen! Nach innen bedeutet das: Die auch anstrengende Kontroverse miteinander pflegen, aber nicht auf Kosten der Offenheit für alle, die dazu beitragen wollen. Dazu gehört, immer wieder zu klären, wer zur Forschung beiträgt, und wer sie eigentlich missbraucht, um andere Ziele zu verfolgen. Das ist heute drängender als je, denn Wissenschaft steht stark unter Druck.
Wen würden Sie vielleicht lieber nicht an Ihre Uni lassen?
Es gibt Beispiele, die von vornherein Fragen aufwerfen. Dazu gehören Institute, die von Dritten finanziert werden, aber keine Freiheit zulassen, sondern letztlich Inhalte und auch Personen oktroyieren. Manche Staaten betreiben so Außenpolitik. Sie ermöglichen zwar eine nicht zu unterschätzende Begegnung, aber sie tun dies nicht im Geiste einer Universität. So sollte man sich mit und in Ländern engagieren, die selbst Wissenschaft zensieren, aber ohne zu legitimieren, dass es so läuft. Desgleichen scheint mir wenig produktiv, Studierende auf einen eigenen, aber isolierten oder gar zensierten Campus im autokratischen Ausland zu schicken, wenn nicht auch eine offene Begegnung mit den Menschen entsteht. Wenn Diskussion nicht erlaubt ist, sollte ich auch keinen Vortrag halten. Ein Regime, das kritisch-reflexive Haltungen nicht toleriert, sondern vielfach unterdrückt, ist für die Wissenschaft kein Kooperationspartner. Interaktion muss sein. In der Außenpolitik zielen daher die Menschenrechtsdialoge darauf, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die von Menschenrechten offiziell nichts wissen wollen. Aber Kooperation oder gar gebundene finanzierte Partnerschaft ist etwas anderes. Da hege ich am Mehrwert Zweifel.
Wer sollte sich im akademischen Bereich um Flüchtlinge wie auch die Förderung der demokratischen Werte kümmern?
Ich gehe davon aus, dass dieser Zeitabschnitt unter der Präsidentschaft von Donald Trump als ein sehr außergewöhnlicher in die Geschichte der USA eingehen wird und vielleicht als einer, der sich sehr schädlich auf Wissenschaft und Forschung auswirkt. Doch derzeit ist das Spekulation. Es ist auch schwierig, Vergleiche zu früheren Zeiten zu ziehen, denn heute hängt ja so viel mehr von Wissenschaft ab, sodass die negativen Auswirkungen deutlich größer sein könnten als noch vor einem halben Jahrhundert.
Wenn Sie nun doch noch einmal die Möglichkeit hätten, dem Präsidenten zu sagen, was Sie an seiner Stelle für die Wissenschaft tun würden, was würden Sie ihm sagen?
Es sind ganz viele – eigentlich alle, die forschen und lehren. In Deutschland engagiert sich die Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Verantwortung trägt die Hochschulrektorenkonferenz ebenso wie die Wissenschaftsministerien. Zentral sind die Universitäten selbst, die Dekane, die Professorinnen und Professoren, die Forschenden, die Studierenden. Es trifft alle. Und es müsste mehr getan werden.
DUZ Magazin 09/2018 vom 21.09.2018