Auf der B-Seite der Wissenschaft
Forschung und Lehre gehören zusammen, so das Humboldtsche Ideal. Doch für eine wissenschaftliche Karriere ist die Lehre nebensächlich, mitunter sogar hinderlich. Daran hat auch die steigende Zahl der Lehrpreise in Deutschland nichts ändern können.
Die Zahl klingt verheißungsvoll: 76 Lehrpreise sind mittlerweile ausgeschrieben, das sind 76 Gelegenheiten im Jahr, gute und sehr gute Lehre zu würdigen. „Zwei Drittel der Preise sind sogar in den letzten Jahren entstanden, fast täglich kommen neue hinzu“, berichtet Bettina Jorzik vom wirtschaftsnahen Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, auf dessen Internetseite sämtliche Auszeichnungen aufgelistet sind.
Die wissenschaftliche Karrierelogik folgt anderen Mustern.
Zieht die Lehre, die unscheinbare Seite der Wissenschaft, also allmählich gleich mit der prestigeträchtigen Forschung? Schlägt sie sich gar in besseren Berufungsaussichten und Leistungszuschlägen nieder? Leider nein, dämpft Jorzik selbst die Euphorie: die wissenschaftliche Karrierelogik folge nach wie vor anderen Mustern. Gesellschaftlich sei die Lehre zwar durch die Auszeichnungen stärker in den Fokus gerückt, Preise allein könnten die etablierten Karrieremuster aber nicht umkehren. Wer sich an einer Universität dauerhaft etablieren möchte oder eine wissenschaftliche Karriere plant, muss in erster Linie auf Publikationen und gute Beziehungen setzen. Die Lehre, die zwar gern im gleichen Atemzug wie die Forschung genannt wird, ist für eine wissenschaftliche Karriere nebensächlich. Für nicht wenige Nachwuchswissenschaftler ist sie sogar hinderlich.
Der Wissenschaftsrat empfiehlt, den akademischen Nachwuchs nicht mehr als vier Semesterwochenstunden in die Lehre einzubinden, sofern er oder sie eine Vollzeitstelle innehat. Bei einer Teilzeitstelle halbiert sich die empfohlene Belastungsgrenze entsprechend.
Doch diese Grenzen werden vielerorts deutlich überschritten. Zwei Drittel des Nachwuchses, der sich in den Naturwissenschaften und in der Mathematik auf einer Teilzeitstelle qualifiziert, lehrt mehr als die empfohlenen zwei Semesterwochenstunden, wie eine Erhebung des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an vier Universitäten ergab. In den Rechts- und Sozialwissenschaften überschreitet jeder Dritte diese Schwelle. Von Qualifizierungsstellen kann nicht mehr die Rede sein. „Diese Gruppen empfinden die Lehre als Belastung, sie befürchten, dass sich ihre Qualifikationszeit entsprechend verlängert“, berichtet Dr. Roland Bloch, der zusammen mit Dr. Carsten Würmann die Daten auswertete.
Für Reputation zweitrangig
Die Befürchtungen sind nicht unbegründet: Wer sich zu sehr auf die Lehre konzentriert, muss damit rechnen, im Wettstreit um die raren Dauerstellen an Hochschulen ins Hintertreffen zu geraten. „Wir hören immer wieder: Mit Lehre kann man keinen Blumentopf gewinnen“, berichtet Dr. Marius Herzog vom Internationalen Zentrum für Hochschulforschung (Incher). Er und andere Forscher haben untersucht, wie sich der Beruf des Wissenschaftlers europaweit verändert. Erste Ergebnisse dieser Studie für Deutschland bestätigen: „Lehre spielt in Berufungsverfahren eine eher untergeordnete Rolle. Sie ist eines von mehreren Kriterien, keineswegs aber gleichwertig zu Forschungsleistungen“, sagt Herzog. Die Lehrpreise verbessern aus seiner Sicht zwar das Image und steigern die Achtung vor den Leistungen der Hochschullehrer. „Aber im Vergleich zu dem riesigen Forschungsfördermarkt sind sie zweitrangig“, stellt Herzog fest.
Mitunter ist so ein Preis für die Geehrten sogar kontraproduktiv. „Von ambitionierten Wissenschaftlern ist gelegentlich zu hören, ein Lehrpreis würde ihren wissenschaftlichen Ruf untergraben“, schreibt Jorzik vom Stifterverband. Um das Reputationsgefälle zwischen Lehre und Forschung auszubalancieren, reichten Lehrpreise nicht aus, weil sie die Struktur der Lehre nicht verändern, bestätigt Hochschulforscher Bloch. Er plädiert radikal dafür, die Preise abzuschaffen und das Preisgeld dafür zu nutzen, die Lehrlast gleichmäßiger auf die Schultern der Nachwuchswissenschaftler zu verteilen.
Derzeit wächst jedoch die Ungleichheit: Auf der einen Seite setzten die Länder, die im Rahmen des Hochschulpakts auf die Schnelle zusätzliche Studienplätze schaffen müssen, auf sogenannte Lecturer. Wissenschaftler also, die sich mit einer Hochdeputatsstelle von bis zu 18 Semesterwochenstunden ganz den Studierenden zuwenden. Neben dem Unterricht ist Forschung kaum noch möglich. Auf der anderen Seite qualifizieren sich zunehmend Doktoranden, ohne eine einzige Stunde zu unterrichten, weil sie über zweckgebundene Drittmittel finanziert werden. Ein Vorschlag zur Güte kam vom Wissenschaftsrat bereits 2007: Der Rat plädierte dafür, Lehrprofessuren auszuschreiben. Diese Professoren, so die Idee, sollten den Großteil ihrer Arbeitszeit der Lehre widmen, sich aber zu einem Drittel auch mit Forschung beschäftigen.
Das widerspricht dem Empfinden vieler Wissenschaftler, wie die in diesem Jahr publizierte Hochschullehrerstudie im Auftrag des Bundesforschungsministeriums zeigt: Die Ergebnisse der Befragungen aus den Jahren 2007 und 2008 offenbaren, dass zwei Drittel des akademischen Nachwuchses die Einheit von Forschung und Lehre befürworten. Das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Grundpfeilern der Humboldtschen Universität wird indes stärker, prognostiziert Herzog vom Incher. „Wir stehen an einem Scheideweg: In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob sich die Wege von Forschung und Lehre trennen wie in vielen angelsächsischen Ländern.“
DUZ Magazin 01/2012 vom 16.12.2011