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Die Abhängigkeit von Doktorvater oder Doktormutter birgt Risiken – nicht zuletzt für die Psyche.

Meine Psychotherapeutin sagt, dass es völlig normal ist, wenn man in einer solchen Situation zu ihr kommt“, sagt Anna Döring (Name geändert), 35 Jahre alt. Die „Situation“, das ist das Dasein als Doktorandin. Seit drei Jahren sitzt sie schon an ihrer geisteswissenschaftlichen Dissertation. Immer wieder, sagt Döring, kann sie nicht aufstehen, tagelang. Sie hat sich Hilfe gesucht, weil sie das Gefühl der Hoffnungslosigkeit nicht los wird.

Es gibt Promovenden, die durch die Promotionsphase gleiten wie das warme Messer durch die Butter: bestens betreut und ohne größere Krisen. Die wissenschaftspolitsch Verantwortlichen täten dennoch gut daran, sich auch mit Menschen wie Anna Döring auseinanderzusetzen, die während der Promotion massiv zu kämpfen haben. Schon allein deshalb, weil sie wahrlich kein Einzelfall ist.

Im vergangenen Jahr führte die Zeitschrift Nature eine Befragung unter 5700 Doktoranden weltweit durch. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, psychische Gesundheit sei eine ihrer Hauptsorgen. Etwa die Hälfte dieser Personen hat wegen Ängsten oder Depressionen angesichts der eigenen Promotion Hilfe in Anspruch genommen.

Ebenfalls im Jahr 2017 veröffentlichten belgische Forscher eine Studie: Ein Team um die Arbeitspsychologin Prof. Dr. Katia Levecque von der Uni Gent hatte 3659 Promovierenden einen Fragebogen vorgelegt, der ihre seelische Belastung messen sollte. Bei 32 Prozent der Befragten sprachen die Werte für eine stressbedingte psychische Erkrankung. Die Forscher verglichen die Werte mit denen anderer Personengruppen: mit Studierenden, mit Hochschulabsolventen und mit Angestellten mit Hochschulabschluss. Das verblüffende Ergebnis: Das Risiko der Promovierenden, eine psychische Krankheit zu entwickeln, war im Vergleich zur Studierendengruppe 1,85-mal so hoch, im Vergleich zur Hochschulabsolventengruppe 2,43-mal höher und im Vergleich zu 592 Angestellten mit Hochschlussabschluss sogar 2,84-fach erhöht.

Wer promoviert, braucht Anerkennung – nicht erst am Schluss

Bei der Untersuchung handelt es sich um die bislang größte Studie dieser Art. Die befragten Promovierenden kamen von verschiedenen Universitäten der belgischen Region Flandern. Weil die Arbeitsbedingungen von Land zu Land unterschiedlich sind, kann man die Zahlen nicht einfach auf die Probleme hierzulande übertragen. Die Autoren schreiben, in Flandern hätten Doktoranden zumeist eine feste Stelle. Darum gehen sie davon aus, dass die Situation in Ländern wie Deutschland, in denen die Finanzierung von Promotionen weniger klar geregelt ist, noch gravierender sein könnte.

Was hat es mit der Belastung der Promovierenden auf sich? Die belgischen Psychologen haben dazu einige Beobachtungen beizutragen:

  • Promotionen können Konflikte zwischen Familien- und Arbeitsleben mit sich bringen, die seelisch kräftezehrend sind.
  • Wer promoviert, muss hohen fachlichen Anforderungen gerecht werden. Kommt das Gefühl dazu, wenig Autonomie und Kontrolle über den Prozess zu haben, kann das schnell anstrengend werden.
  • Promovierende, die den Führungsstil ihres Betreuers als „inspirierend“ beschrieben, wiesen geringere Belastungen auf als jene, die von einer Person mit Laissez-aller-Mentalität betreut wurden.

Die Forscher zogen weitere Erkenntnisse aus ihrer Untersuchung:

  • Doktoranden am Anfang und am Ende der Promotion ging es schlechter als jenen in der Mitte.
  • Doktoranden, die vorhatten, auch nach der Promotion in der Wissenschaft zu bleiben, ging es besser als jenen, die das nicht planten. Das galt selbst dann, wenn sie sich dort keine großen Chancen ausmalten.
  • Auch wer glaubte, aus der Dissertation später Karrierevorteile zu ziehen, war statistisch gesehen weniger belastet.
  • Wer sich nur über ein Projekt oder ein Stipendium finanzierte, zeigte im Schnitt mehr psychische Probleme als ein Promovierender mit einer festen Stelle.
  • Wie auch in der Gesamtbevölkerung zeigten Frauen eine stärkere Belastung. Ihre Wahrscheinlichkeit, eine psychische Störung zu entwickeln, war um 27 Prozent höher als die der Männer.

Dr. Frank-Hagen Hofmann kennt die Probleme derer, die die Herausforderungen der Promotion nicht mehr bewältigen können. Ob mit Depressionen, Ängsten, Zukunftssorgen oder Arbeitsstörungen wie Schreibblockaden oder Prokrastination – seine psychosoziale Beratungsstelle, die Teil des Heidelberger Studierendenwerks ist, ist für viele die erste Anlaufstelle.

„Im Prinzip sind die Herausforderungen dieselben wie bei Studierenden – nur eben in einem viel höheren Maße“, sagt Hofmann. Besonders belastend seien für die Promovierenden oft die hohen Anforderungen an Selbstorganisation und Selbstkontrolle. Außerdem müsse man Frustrationen aushalten und Belohnungen aufschieben können – schließlich erfolgt die Belohnung für das viele Schuften erst nach einigen Jahren.

Problematisch sei übertriebener Perfektionismus, und ein weiteres häufiges Thema der jungen Männer und Frauen, die zu Hofmann kommen, sei der Umgang mit Unsicherheiten, etwa über den Verlauf von Experimenten oder in Bezug auf die Frage, wann man genug Material gesichtet und ausgewertet habe, um damit zum Betreuer gehen zu können. „Eine Dissertation soll ja eigenständige Forschung sein. Das ist aus psychischer Sicht unheimlich schwer, weil nicht klar ist, was erwartet wird.“

Andere Faktoren seien Zeitdruck – wegen der Finanzierung oder weil man viel publizieren müsse – sowie die „vielen unsichtbaren, feinen Zwänge des Wissenschaftsbetriebs“, wie es Psychologe Hofmann formuliert. Damit meint er Abhängigkeiten, die sich aus dem Betreuungsverhältnis ergeben. „Es kommt häufiger vor, dass Promovierende forschen und in der Veröffentlichung oftmals doch der Professor an erster Stelle steht, weil die Promovierenden ihm zuarbeiten.“

Hofmann sagt, besonders internationale Studierende, die solche hierarchischen Strukturen aus ihrem Heimatland nicht kennen, hätten damit ein Problem. Es stelle ihr Selbstbild als eigenständige und unabhängige Forscher infrage.

Für Anna Döring war die Einsamkeit die größte Herausforderung. Sie hat sich irgendwann in einer Bürogemeinschaft eingerichtet. „Vorher hatte ich unglaublichen Stress, mich regelmäßig zu verabreden“, sagt sie. Jetzt ist sie zwar nicht mehr alleine in einem Zimmer – alleine mit ihrem Dissertationsthema bleibt sie aber noch immer. Weil sie keine regelmäßigen Besprechungen mit ihrem Betreuer hat, erzählt sie ihren Freunden von ihren Gedanken. „Sie können mir zwar kein inhaltliches Feedback geben, aber mir hilft es schon, etwas zu formulieren.“ Was ihr sonst noch gut tut? Sport, einmal im Monat über das Wochenende zu Freunden fahren. Und regelmäßige Arbeitszeiten. Das sei wichtig, bestätigt auch Psychologe Hofmann, schließlich seien Kraft und Konzentration begrenzt.

Du bist diese Dissertation

Und das ist nicht selten. Felix Meiners (Name geändert), 31 Jahre alt, Promovend der Geisteswissenschaft, glaubt, dass viele seiner Kollegen so viele Stunden am Tag arbeiten, weil sie sich stark mit ihrer Dissertation identifizieren. „Du bist so auf dich alleine gestellt, und je länger du da dran bist, desto mehr trägst du diese Arbeit in deinem Herzen. Du bist diese Dissertation. Und damit auch die Angst, nicht klug genug zu sein.“ Das System setze eine Überidentifikation mit der eigenen Arbeit voraus: „Deine Profs, deine Vorbilder, sind ja auch so.“

Auch Felix Meiners geht regelmäßig zum Psychotherapeuten. Ihn stört, dass zwar sehr wohl im Freundeskreis, nicht jedoch unter Kollegen über den psychischen Druck geredet werde. Dabei sei die Wissenschaft „ein Haifischbecken“. Keine ganz falsche Einschätzung, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Promovierten in den letzten Jahren zugenommen hat, ohne dass entsprechend viele unbefristete Stellen im Wissenschaftssystem geschaffen wurden.

Erst kürzlich sagte der neue Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, man habe „durch die Menge an Promotionsprogrammen zu viele Erwartungen geweckt“. Die Promotionszahlen müssten jetzt sinken, zumal es keinen nennenswerten Aufwuchs an Dauerstellen geben werde. Als Hochschullehrer müsse man deshalb „auch mal den Mut haben, frühzeitig von einer Promotion abzuraten“.

Für diejenigen, die bereits promovieren und sich unwohl in der eigenen Haut fühlen, ist das natürlich keine Lösung. Überhaupt werde zu wenig über die Probleme der Promovierenden gesprochen, findet auch Psychotherapeut Hofmann. Langsam aber entstehe an den Unis eine gewisse Sensibilität für das Thema. Ombudsstellen etwa vermittelten, wenn es zwischen Doktorand und Betreuer krisele.

Graduiertenschulen und Promotionskollegs böten eine feste Struktur und regelmäßige Rückmeldungen – Rahmenbedingungen, die entlasten könnten. Gerade jene, die sich von der Mammutaufgabe Promotion überfordert fühlen, können von Promovierenden-Seminaren profitieren. Hier soll man zum Beispiel lernen, realistische Pläne aufzustellen, sich für Geleistetes auch mal zu belohnen und seinen Arbeitstag in bewältigbare Einheiten aufzuteilen. Den Mount Everest zum Maulwurfshügel machen, sagen die Motivationspsychologen dazu.

Solche Seminare mögen eine gute Ergänzung sein; ob eine Promotion inhaltlich und menschlich zufriedenstellend verläuft, steht und fällt aber in erster Linie mit der Qualität der unmittelbaren Betreuung. In Deutschland bedeutet das: mit der Qualität eines ganz besonderen persönlichen Zweierverhältnisses. Ein Verhältnis, das bewusst auf Nähe setzt – die akademische Umgangssprache hält nicht umsonst die Begriffe Doktorvater und Doktormutter bereit.

Es steigt die Gefahr der enttäuschten Erwartungen

Das ist ein Beziehungskonstrukt, in das man sich mit seinem Betreuer begibt. Da entwickeln sich Paardynamiken“, sagt der Psychoanalytiker Hans-Werner Rückert, der 24 Jahre lang die psychosoziale Beratungsstelle der Freien Universität Berlin geleitet hat. Solche Konstrukte seien störanfällig: „Wenn sich ein Doktorand einen Doktorvater oder eine Doktormutter sucht, ist er ja zunächst Bittsteller und erwartet etwas vom Anderen. Der wiederum erwartet etwas von dem Doktoranden, etwa, dass er gute Arbeit leistet.“

Ein Ausstieg ist kein Makel Gerade wenn alles zunächst harmonisch verläuft und man gegenseitig voneinander begeistert ist, steigt die Gefahr der enttäuschten Erwartungen. Zum Beispiel, wenn der Doktorand anfängt, Aufgaben aufzuschieben. Oder wenn er eine vom Betreuer abweichende Forschungsmeinung vertritt. Oder die betreuende Person schlicht das Interesse am Doktoranden verliert und sich dieser dann alleingelassen fühlt.

Rückert bereitet es Kopfzerbrechen, wie sehr die Promotion hierzulande von Abhängigkeit, Hierarchie und Gehorsam geprägt ist. Er sagt: „Wenn man das mag und einer gerne nach oben schaut und der andere nach unten, dann klappt das. Aber es kann nicht ohne Reibung funktionieren.“ Er selbst, meint Rückert, habe wegen der Notwendigkeit dieser Unterordnung nie promoviert.

Betreut zu werden heißt nicht immer, sich unterzuordnen und gegängelt zu werden.

Dass dieses Urteil dann doch etwas zu pauschal ist, zeigen die Aussagen der Doktorandinnen und Doktoranden in diesem Schwerpunkt: Betreut zu werden heißt nicht immer, sich unterzuordnen und gegängelt zu werden. Andererseits zeigen aktuelle Fälle, dass gerade an besonders prestigeträchtigen Wissenschaftseinrichtungen ein rauer, autoritärer Umgangston herrscht (s. Beitrag auf S. 30-32).

Was tun? „Man könnte das Eins-zueins-Betreuungsverhältnis aufbrechen, indem man den Zweitbetreuer oder noch weitere Kollegen miteinbezieht“, schlägt Wilfried Schumann vor; der Psychologe ist Vorsitzender des Ausschusses für Beratung und Soziale Dienste des Deutschen Studentenwerks. Ihm zufolge kommt es durchaus vor, dass Betreuer ihre Macht über Doktoranden missbrauchen, um von ihnen weit mehr Arbeit einzufordern, als gut für sie ist. „Das sind Situationen, in denen ich viel Leid beobachtet habe. Eigentlich sollten solche mittelalterlichen Abhängigkeitsverhältnisse in einer modernen Gesellschaft überwunden sein.“

Dennoch verharrten viele Promovierende in einer solchen Lage, weil sie davon ausgingen, dass es durch die Verbindungen der Professoren untereinander keine gute Idee sei, den Betreuer zu wechseln, und dass an jenen, die gleich ganz mit der Promotion aufhören, für immer ein Makel hafte.

Um Problemen, die aus einer Betreuungssituation entstehen könnten, vorzubeugen, würden an vielen Unis Betreuungsvereinbarungen geschlossen, sagt Schumann, der auch den psychologischen Beratungsservice von Universität und Studentenwerk Oldenburg leitet. Solche Übereinkünfte seien zwar rechtlich nicht bindend, hätten sich aber vielfach als hilfreich erwiesen, weil sie gegenseitige Erwartungen klar ausdrückten.

Auch in die Graduiertenschulen setze er Hoffnungen, sagt der Psychologe. Weil sie das Abhängigkeitsverhältnis aufbrächen und dem Promotionsprozess eine klarere Struktur verliehen, hälfen sie, manche Risiken zu umschiffen. Schumann warnt jedoch davor, die Schulen als Allheilmittel zu betrachten: „Die Promovenden stehen dort oft unter hohem zeitlichem Druck, Output zu generieren. Häufig konkurrieren sie um die Aufmerksamkeit eines bestimmten Professors und sind gestresst durch den Vergleich mit ihren Kollegen.“

Besonders viel Kopfzerbrechen bereiteten ihm internationale Studierende, sagt Wilfried Schumann. Weil es für viele einen Gesichtsverlust bedeute, wenn sie ohne abgeschlossene Promotion in ihr Heimatland zurückkehren, sei der Druck oft besonders groß. „Viele von ihnen können die Sprache nicht, sind sozial isoliert und arbeiten ununterbrochen.“ Er findet, die Hochschulen und Betreuer hätten eine Verantwortung, sich um die Integration zu kümmern. „Man muss im Blick haben, dass das keine Arbeitsmaschinen im luftleeren Raum sind.“ Ein Satz, der für alle Promovierenden gelten sollte, egal wo sie herkommen.

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