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Die dritte Option

Nur wenige Akademiker gründen ein Start-up. Wie lässt sich das ändern?

Den Weg in die berufliche Selbstständigkeit wählen immer noch wenige Akademikerinnen und Akademiker. Dabei versuchen Hochschulen seit vielen Jahren, Studierende für eine Unternehmensgründung zu begeistern. Entrepreneurship-Lehrstühle, Gründungsberatung und Inkubatoren sollen die angehenden Akademiker inspirieren, über Alternativen zur klassischen Laufbahn in einem Konzern oder der Wissenschaft nachzudenken. Mit dem Exist-Programm greift auch das Bundeswirtschaftsministerium den Hochschulen unter die Arme.

Seit 1998 wurden in mehreren Förderrunden 110 Millionen Euro ausgeschüttet, wie eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt. Aktuell bewertet die Fraunhofer-Gesellschaft das Exist-Programm wissenschaftlich, Ergebnisse liegen jedoch noch nicht vor. Zahlreiche weitere Förderprogramme der Bundesländer, EU, Stiftungen und Business Angels stellen Geld bereit, damit aus Ideen auch erfolgreiche Unternehmen werden.

Der Erfolg ist noch mäßig. Deutschlands Gründungsgeschehen ist insgesamt rückläufig und liegt im europäischen Vergleich eher im hinteren Mittelfeld. Zwar stieg nach den Zahlen des Gründungsmonitors 2018 der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die Zahl jener Gründungen, die eine bestimmte Geschäftsidee umsetzen wollten (sogenannte Chancengründer).

Nicht einmal jeder fünfte Wissenschaftler setzt seine Geschäftsidee um

Doch meldete im vergangenen Jahr das Institut für Mittelstandsforschung, dass nur 15 Prozent der Start-ups aus deutschen Hochschulen heraus entstehen. Und nur nicht einmal jeder fünfte Wissenschaftler mit einer Gründungsidee setze diese auch um. Zahlen für Ausgründungen aus Hochschulen hatte zuletzt die Studie „Gründungsradar 2016“ des Stifterverbands veröffentlicht. Die 194 Hochschulen, die sich an der Befragung beteiligten, hatten 2016 mehr als 6400 Gründungsprojekte betreut und rund 5100 Veranstaltungen für Studierende und Absolventen angeboten.

Die Zahl der tatsächlichen Gründungen lag demgegenüber dann bei 1615. Das war immerhin eine deutliche Verbesserung gegenüber einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2012. Ohnehin sind die Zahlen mit Vorsicht zu betrachten: Die Beratungsstellen führen nicht immer Buch, und manchmal muss eine Idee noch reifen und die Teams gründen erst mit Berufserfahrung, also Jahre später. Laut Gründungsradar bemühen sich besonders kleine Hochschulen mehr um das Thema. Unter den mittelgroßen Universitäten belegt im Ranking die Leuphana-Universität Lüneburg den ersten Platz.

Seit 2002 gibt es hier einen Stiftungslehrstuhl Gründungsmanagement, außerdem eine Juniorprofessur Social Entrepreneurship. Auch beschäftigen sich zwei Wirtschaftspsychologie-Professoren mit dem Thema. Grundsätzlich sollen die Studierenden lernen, Probleme nicht nur zu benennen: „Wir wollen die Studierenden motivieren, für Probleme eine unternehmerische Lösung zu finden, die sich selbst finanziert“, sagt Carsten Wille, der den Gründungs-Service der Leuphana leitet.

Im Lehrplan ist unternehmerisches Denken bereits seit 2007 verankert. Entrepreneurship findet sich in allen Studiengängen, die Studierenden erwerben in diesen Kursen Credit-Points. Neben Beratungen bietet die Leuphana auch einen Entrepreneurship Hub und zahlreiche Veranstaltungen rund um das Thema Start-up. „Durchschnittlich rund 50 Gründungen gab es in den letzten Jahren jährlich von Studierenden und Wissenschaftlern in Lüneburg“, sagt Wille.

Finanziert werden die Aktivitäten aus Fördertöpfen wie Exist, dem Europäischen Sozialfonds ESF oder vom Land Niedersachsen. Weil die Leuphana keine technische Fakultät hat, gibt es nur wenige Sponsoren aus der Industrie. Auch die Phase der Unsicherheit, wie es mit dem Exist-Programm weitergehen sollte, habe die Planung erschwert, sagte Wille. Doch an den Angeboten zu Entrepreneurship-Themen will die Universität auf jeden Fall festhalten. Unter den großen Hochschulen mit mehr als 15.000 Studierenden teilten sich im Ranking des Gründungsradars die Hochschule München und die Technische Universität München (TUM) den ersten Platz.

Die Gründungsförderung der Hochschule München leitet Dr. Herbert Gillig, Professor für Entrepreneurship. Dreh- und Angelpunkt der Initiativen der Hochschule ist das Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE), ein An-Institut der Hochschule München. 2002 entschied sich der Unternehmer und Investor Falk Strascheg, Studierende an der Hochschule München über seine Stiftung mit Know-how, Räumlichkeiten und Kontakten zu unterstützen. Mithilfe von Mitteln der Hochschule und Förderprogrammen wie Exist kann das SCE ein vielfältiges Programm anbieten. „Wir erreichen rund 600 Studierende pro Semester in unseren curricularen Entrepreneurship-Lehrveranstaltungen“, sagt Gillig.

Das Prinzip der offenen Tür

Dem SCE komme es dabei nicht auf schnelle Erfolge und viele Gründungen an. Wer sich für das Thema interessiere, aber noch keine konkrete Idee habe, könne sich genauso beraten lassen oder ein Seminar besuchen wie Gründerteams, die nur noch den letzten Schliff für den Businessplan brauchten. „Wir pflegen das Prinzip der offenen Tür, man kann bei uns einfach vorbeikommen“, sagt Gillig.

Wenn die Geschäftsidee konkreter wird, die Teams sich umfangreiche Beratung wünschen und auf der Suche nach Arbeitsräumen und Kapitalgebern sind, kommt der Inkubator des SCE ins Spiel. Auf 700 Quadratmetern stehen Arbeitsräume zur Verfügung, ein Sachmittelbudget von einmalig 2500 Euro pro Gründerteam und sechs Monate intensive Betreuung, zu der auch ein Expertennetzwerk von Partnern aus Unternehmen zählt. „Wir sind grundsätzlich offen für alle Ideen, egal ob es um eine Dienstleistung, eine App oder ein Digitalprojekt geht“, sagt Gillig. Zwei Mal im Jahr findet ein Investoren-Pitch statt, auch darauf werden die Teams vorbereitet. Die Hochschule München fördert ausschließlich Team-Gründungen.

Ob sich ein Team erfolgreich am Markt etablieren kann oder ob es nach einigen Monaten wieder aufgibt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend für Gillig ist die Persönlichkeit der Gründerinnen und Gründer. Als Aufgabe der Entrepreneurship-Beratung sieht er, „die Panik aus dem Thema Scheitern rauszunehmen“, denn auch wenn das Produkt vielversprechend, die Finanzierung sicher ist, kann immer etwas schiefgehen. Oder die gute Lage am Arbeitsmarkt für Techniker und Ingenieure verleitet den Gründer dazu, seine Pläne aufzugeben. Doch wenn alle Hürden genommen und das Start-up gegründet sei, blieben viele auch dabei, so die Beobachtung von Gillig: „Mindestens 60 Prozent können sich am Markt behaupten.“ Auf die rund 200 Erstberatungen, die Gillig und sein Team pro Jahr stemmen, kommen etwa 20 bis 25 erfolgreiche Gründungen an der Hochschule München.

Die Technische Universität München (TUM) hat sich der Gründungsförderung mit dem Zusatz „die unternehmerische Universität“ bis in den Namen hinein verschrieben. Dr. Sieglinde Amelia Walter verantwortet das TUMentrepreneurship Projekt-Management. Ein Team aus sieben Professorinnen und Professoren beschäftigt sich mit unterschiedlichen Aspekten des Unternehmertums, mit Finanzierung und geistigem Eigentum.

Der TUM-Inkubator in Garching bietet 100 Arbeitsplätze für rund 30 Teams, die durchschnittlich zehn Monate bleiben. „Im Jahr 2016 haben wir 78 Gründer-Teams im High-Tech-Sektor betreut“, sagt Walter. Jährlich bearbeitet das Beratungsteam rund 300 Anfragen von Wissenschaftlern und Studierenden. Internationales schreibt sie groß: Jährlich wählt sie zwei Gründerteams für einen zehntägigen Aufenthalt im Silicon Valley in den USA aus, und weitere Gründerteams reisen regelmäßig zu europäischen Partneruniversitäten, knüpfen Kontakte und qualifizieren sich weiter.

„Wichtig ist auch unser Gründungsnetzwerk, ein Pool aus Experten aus der Industrie, die die Gründer beraten und unterstützen“, sagt Walter. Solche Kontakte fördert auch die UnternehmerTUM, ein rechtlich unabhängiges An-Institut und eine weitere Anlaufstelle für Gründungswillige. Es betreut Start-ups mit Vorlesungen, Businessplan-Seminaren oder Managementtraining-Start-ups von der ersten Idee bis zum Börsengang.

Wer wird reich?

Allerdings nützt die beste Förderung der Welt nichts, wenn man ein Forschungsergebnis nicht nutzen darf – ein zentrales Thema gerade in den forschungsintensiven Disziplinen. Hier ist seitens der Hochschulen Kooperationsbereitschaft gefragt.

In München übe man sich darin, heißt es: „Wenn Mitarbeiter etwas erfinden oder verwertungsrelevante Forschungsergebnisse haben, liegen die Rechte gemäß dem Arbeitnehmererfindungsgesetz bei der Universität. Wir haben aber eine Politik, die Ausgründungen von Wissenschaftlern und Mitarbeitern besonders unterstützt. Der Erfinder hat Vorrang, seine Idee selbst umzusetzen, und verhandelt mit der Universität über die Nutzungsrechte. Anders ist es bei Studierenden, die Verwertung ihrer Ergebnisse liegt bei ihnen“, sagt Walter über die Praxis der TUM. Ähnlich handhabt es die Hochschule München. „Die Hochschule ist gründerfreundlich und versucht nicht, über die Patente ihrer Mitarbeiter reich zu werden“, sagt Gillig.

Dabei geht es den Gründern auch gar nicht immer um Reichtum. Sieglinde Amelia Walter beobachtet, dass sich die wenigsten engagieren, um viel Geld zu verdienen, sondern viele wollen mit ihren Ideen die Welt verbessern. Ein gutes Team zu bilden, sei dabei oft eine größere Herausforderung als die Finanzierung. „Daran kann es scheitern“, sagt Walter. Auch sei es manchmal schwierig, nach einer erfolgreichen Gründung weiter zu wachsen.

Von vornherein scheuen vor allem Frauen das mit einer Existenzgründung verbundene Risiko. „Es wird immer selbstverständlicher, dass auch eine Frau im Team dabei ist, da sehen wir bei den High-Tech-Gründungen schon einen Trend“, sagt Walter, „allerdings sind reine Frauenteams selten.“ Auch das enge Korsett, in dem wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Professoren stecken, sei ein Grund dafür, dass noch zu wenige Wissenschaftler eine Firma gründen.

Doch Zahlen und Überlegungen zu Erfolg, Risiko und Scheitern mal beiseitegeschoben: Was steckt noch im Thema Gründungsförderung, das Hochschulen motivieren könnte, nicht locker zu lassen bei ihren Anstrengungen? Carsten Wille von der Leuphana wirft einen Blick über den Tellerrand: „Wir wollen Menschen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausbilden, ihnen Problemlösungskompetenz über das Fachwissen des Studienfachs hinaus vermitteln“, sagt er. Unternehmerisches Wissen komme auch denjenigen zugute, die später in Unternehmen arbeiten, auch dort helfen ihnen diese Kompetenzen weiter. Wille meint: „Unternehmerisches Denken und Handeln ist ein Querschnittsthema, von dem alle Studierenden profitieren.“

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