Farbblind geht auch
Seit Jahrzehnten feilen die Experten für Studierfähigkeits-Tests an Fragen und Aufgaben.
Eine der leichteren Aufgaben aus dem Test für medizinische Studiengänge (TMS) geht so: „Eine bestimmte Krankheit kann durch zwei Untersuchungsmethoden diagnostiziert werden. Mit Methode X werden 85 Prozent der tatsächlichen Erkrankungen erkannt, mit Methode Y dagegen 80 Prozent. Wie viel Prozent der tatsächlichen Erkrankungen werden mit keiner der beiden Methoden erkannt?“ Die banale Antwort: höchstens 15 Prozent. Aber es gibt auch deutlich kniffligere mathematische Probleme für die Studieninteressierten zu lösen.
Außerdem müssen sie Fachtexte verstehen und Diagramme auswerten. Bildliche Aufgaben prüfen das Wiedererkennen von Mustern, räumliches Vorstellungsvermögen oder Merkfähigkeit. Am Ende des fünfstündigen Tests steht ein Ergebnis, das die Erfolgsaussichten in einem Medizinstudium vorhersagen soll. 39 medizinische und zahnmedizinische Fakultäten berücksichtigen es, wenn sie ihre Studierenden auswählen.
Hohe Korrelationen
Eignungstests gelten unter den Fachleuten als ein gutes Mittel, um Studienabbrecherquoten zu senken und den Durchschnitt der Abschlussnoten zu erhöhen. „Die internationale Forschungsliteratur zu Zulassungsverfahren ist in ihrem Ergebnis recht eindeutig“, sagt Dr. Oliver Wilhelm, Professor für Differenzielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Ulm, „es gibt eine hohe Korrelation zwischen Abiturnoten und Studienerfolg. Und es gibt eine hohe Korrelation zwischen den Ergebnissen von Leistungstests und Studienerfolg. Beide Verfahren zusammen verbessern wiederum die Vorhersagbarkeit.“ Dass die Tests trotzdem nicht durchgängig zum Einsatz kommen, liegt unter anderem daran, dass es Geld kostet, sie zu entwickeln und durchzuführen. Und das wird in der Regel nur investiert, wenn hohe Abbrecherzahlen schmerzen oder die Studienplätze hart umkämpft sind.
Dabei ist das Ziel der Verfahren nicht nur, bei der Zulassung zu sieben, sondern sie haben auch eine Beratungsfunktion. Wie beim Online-Selbsttest Borakel der Universität Bochum oder den fächerspezifischen Tests der Agentur für Arbeit, geben sie Abiturienten die Möglichkeit, ihre Eignung und Neigung für ein Hochschulstudium schon vor der Bewerbung um den Studienplatz zu überprüfen.
Typische Anforderungen testen
Was in Studierfähigkeitstests wie dem TMS oder auch den Tests für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge, dem TM-WI-SO (Test für Masterstudiengänge in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) und dem BT-WISO (Studierfähigkeitstest für Bachelorstudiengänge in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), abgefragt wird, kann im Einzelfall sehr unterschiedlich sein.
Neben großen hochschulübergreifenden Testverfahren gibt es diverse Individuallösungen einzelner Hochschulen, zum Beispiel der Leuphana-Universität Lüneburg, der Universität St. Gallen oder der Bucerius Law School. Sie alle haben gemeinsam, dass es sich nicht um reine Intelligenztests handelt, erläutert Hans-Jörg Didi, Diplom-Psychologe und Gesellschafter der ITB Consulting GmbH, die die Tests entwickelt.
Intelligenztests messen die individuelle Intelligenz im Bezug zur Gesamtbevölkerung, indem sie allgemeines problemlösendes Denken erfassen. Studierfähigkeitstests hingegen versuchen, Anforderungssituationen des Studiums abzubilden, wie das Verstehen von Fachtexten oder das Anwenden mathematischer Formeln. „Sie liegen im Schwierigkeitsniveau höher und sind so konzipiert, dass im Durchschnitt 50 Prozent der Aufgaben gelöst werden“, sagt Didi.
Welche Anforderungen es sind, die die Studienbewerber mitbringen sollten, klären die Testentwickler im Vorfeld mit ihren Auftraggebern. Das können allgemeine, für alle Studiengänge nützliche Fähigkeiten sein, wie Begriffe präzise zu definieren und im Kontext richtig anzuwenden.
Aber auch fachspezifische Anforderungen, zum Beispiel in philologischen Studiengängen klangliche oder rhythmische Strukturen in Sprache zu erkennen. Oder räumliches Vorstellungsvermögen in Architekturstudiengängen. Universitäres Fachwissen ist für die Lösung der Tests im Vorfeld eines Erststudiums nicht nötig. Aber grundlegendes Schulwissen, das für das Fach relevant ist, wird vorausgesetzt. Was am Ende zähle, sagt Dr. Birgit Spinath, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Heidelberg, sei die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit: „Wer in dem einen Aufgabentyp besser ist, schneidet meist auch in einem anderen besser ab.“
Tests auf Herz und Nieren prüfen
Damit die Tests ihre Aufgabe erfüllen können, müssen sie selbst getestet werden. Zum einen im Vorfeld, etwa an Erstsemestern oder Abiturienten, die die Aufgaben probeweise bearbeiten. Dabei wird überprüft, ob die Ergebnisse objektiv sind, eine andere Aufsichtsperson oder schlechtes Wetter sie nicht eventuell verändern. Und ob die Aufgaben zuverlässig sind, also nicht im Vergleich untereinander zu widersprüchlichen Ergebnissen führen.
Außerdem werden die Tests im Nachhinein evaluiert: Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen guten Testergebnissen und guten Abschlussnoten? Der TMS, sagt Hans-Jörg Didi, sei über die Jahrzehnte in dieser Hinsicht auf Herz und Nieren geprüft: Soziale und Geschlechterunterschiede, sogar Farbblindheit habe man als verzerrende Faktoren ausgeschlossen.
Jüngere Tests greifen auf diese Erkenntnisse zurück. Totale Fehlentwicklungen gebe es nicht, sagt Didi: „Es ist noch nie vorgekommen, dass wir einen Test komplett eingestampft haben.“ Aber es wird nachgesteuert. Wie zum Beispiel im Fall der Bucerius Law School, die erst im Nachhinein entdeckte, wie wichtig ihr die schriftliche Ausdrucksfähigkeit der Studierenden ist. Deshalb wurde das Verfahren um ein Essay ergänzt.
Während sich die Testergebnisse in Hinblick auf den Studienerfolg als recht zuverlässig erwiesen haben, tun sich die Entwickler mit der Vorhersage von späterer beruflicher Eignung schwer. So plädiert die Bundesärztekammer schon länger dafür, soziale Kompetenzen in die Auswahlverfahren für ein Medizinstudium aufzunehmen. Doch die Persönlichkeit lässt sich leider nur schwer in Testverfahren erfassen. Denn: Teilnehmer an kognitiven Tests oder Auswahlverfahren zeigen ihr bestmögliches Verhalten. Entscheidend, um eine Persönlichkeit zu erfassen, ist aber typisches Verhalten. „Der kognitiv Leistungsfähige weiß, wie er sich in einer Prüfung sozial kompetent verhält“, sagt Birgit Spinath. „Die Frage ist, ob er in der realen Situation Lust dazu hat.“ Man kann eben doch nicht alles voraussehen.
DUZ Magazin 03/2018 vom 23.03.2018