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Checks and Balances im Ländle

Vor vier Jahren sorgte ein neues Landeshochschulgesetz für Ärger bei den Professoren in Baden-Württemberg. Nun hat die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das Gesetz novelliert. Ist damit der Frieden im Südwesten wiederhergestellt?

Erfolge feiern will Theresia Bauer mit ihrem neuen Landeshochschulgesetz, das Anfang März vom Landtag verabschiedet in diesen Tagen nun in Kraft tritt. Seit 2011 amtiert die Grünen-Politikerin als Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg. Oft lief alles bestens und harmonisch. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) kürte sie drei Mal zur Wissenschaftsministerin des Jahres, für die Wochenzeitschrift Die Zeit galt sie als „Musterschülerin“. Seit einiger Zeit spürt die Ministerin aber deutlich Gegenwind, der sich insbesondere an dem im Jahr 2014 verabschiedeten Landeshochschulgesetz entfacht hat.

Damit wollte Bauer das einst von ihrem CDU-Vorgänger Professor Dr. Peter Frankenberg unter dem Schlagwort „unternehmerische Hochschule“ verabschiedete Regelwerk ändern. Nun aber sorgt gerade dieses Gesetz für Unmut unter den Professoren und für reichlich juristische Arbeit. Geklagt hatte dagegen im Jahr 2015 Dr. Joachim Stöckle, Professor der Hochschule Karlsruhe (duz MAGAZIN 01/2017, S. 20-21). Er bemängelte die zu große Entscheidungsmacht der Rektoren. Diese könnten beispielsweise alleine über Stellen, Bauten und Mittel entscheiden und zudem vom Senat nicht abgewählt werden. Stöckle bekam Recht, weswegen der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg Ende 2016 der grün-schwarzen Regierung auftrug, bis Ende dieses Monats mit neuen gesetzlichen Regelungen nachzujustieren.

Weil es dabei um Grundsätzliches wie die Freiheit der Wissenschaft geht, schaut auf einmal ganz Deutschland Richtung Stuttgart. Wie viel Macht haben Rektorat, Senat und Hochschullehrer? Welche Möglichkeiten müssen Wissenschaftler haben, um einen Rektor abzuwählen? Wie werden Hochschulen künftig geführt? Es sind die ganz großen Fragen, auf die Theresia Bauer bis Ende März Antworten bereithalten musste. „Wir haben uns bewusst für starke Hochschulleitungen entschieden, entscheidungs- und strategiefähige Rektorate sind unverzichtbar“, betont sie (siehe Interviewkasten).

Kritik vom Hochschulverband
Zu den Änderungen zählt nun, dass im Senat künftig die Hochschullehrer genau eine Stimme mehr als die anderen gewählten Mitglieder haben. Und: Rektoren können in einer Urabwahl gestürzt werden. Möglich ist das über ein zweistufiges Verfahren, für das es ein Antragsquorum der Hochschullehrer von fünfundzwanzig Prozent braucht.
Kritik am überarbeiteten Gesetz kommt unter anderen aus den Reihen des Deutschen Hochschulverbands (DHV). „Der Anhörungsentwurf sieht zwar eine Stimme mehr für die Gruppe der Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen vor, aber leider haben sich die Kompetenzen des Senats bei wissenschaftsrelevanten Entscheidungen nach wie vor nicht verändert“, sagt Birgit Ufermann, DHV-Landesgeschäftsführerin Baden-Württemberg.

„Rektoratsrechte immer noch zu umfassend“

Dies gelte etwa beim Struktur- und Entwicklungsplan, den Hochschulverträgen und Zielvereinbarungen. „Damit ist die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Herstellung der richtigen Checks and Balances nicht erreicht, da das Rektorat nach wie vor zu umfassende Entscheidungsrechte hat“, kritisiert die Rechtsanwältin. Die Mitwirkungsrechte der Wissenschaftler seien zu wenig berücksichtigt.

Zufriedenheit der Landesrektoren
Dies erklärt allerdings wohl auch, warum sich hingegen die Landesrektorenkonferenz (LRK) Baden-Württemberg zufrieden zeigt mit dem Reformwerk. „Wir können mit der Novelle gut leben“, sagt LRK-Vorsitzender Professor Dr. Wolfram Ressel. Die Dynamik an den Hochschulen habe deutlich zugenommen, man habe oft nur wenige Wochen, um Dinge zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. „Diskussionen in den Hochschulgremien sind sehr wichtig, aber wir dürfen uns nicht im Klein-Klein verlieren, denn oft drängt die Zeit“, sagt der Rektor der Universität Stuttgart. Deshalb brauche es führungsstarke Hochschulen.
Bauers neues Hochschulgesetz legt die Hürden hoch, um Rektoren ihres Amtes zu entheben. „Die Abwahl eines hauptamtlichen Rektoratsmitglieds darf nicht der Beliebigkeit unterworfen sein, das war uns sehr wichtig“, unterstreicht Ressel.

Auch dieser Aspekt wird offensichtlich in der Zukunft weiter für Streit sorgen. „Frau Bauer hat das Abwahlrecht der Gruppe aller Hochschullehrer an einer Hochschule in einem komplizierten Verfahren eingeräumt – das eine Abwahl offensichtlich verhindern soll“, urteilt Professor Dr. Hendrik Jacobsen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).

„Das Gesetz ist erneut verfassungsinkonform“

Gemeinsam mit dreiunddreißig DHBW-Professoren hatte Hendrik Jacobsen im Jahr 2014 eine Beschwerde am Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil das Gesetz Hochschullehrer bei wissenschaftsrelevanten Beschlüssen nicht ausreichend beteilige. Das Rektorat, sagt Jacobsen, müsse kontinuierlich von den Senatsmitgliedern kontrolliert werden. „Frau Bauer hat erneut ein verfassungsinkonformes Gesetz vorgeschlagen“, bilanziert er. Das werde in Karlsruhe nicht genügen. Er kündigte schon an, die Beschwerde um die neue Abwahlregelung zu erweitern.

Karlsruhe wird weiter zu tun haben Wann sich das Bundesverfasssungsgericht dazu äußern wird, ist nach Angaben des Gerichtssprechers Dr. Max Schoenthal aber ebenso unklar wie der Fortgang einer weiteren Klage vom Bodensee, von Professoren der Universität Konstanz. Die Uni hatte das Landeshochschulgesetz aus dem Jahr 2014 zum Anlass genommen, eine Satzung zur Ausübung des Zweitveröffentlichungsrechts zu verabschieden.

Diese schreibt ihren Professorinnen und Professoren vor, wissenschaftliche Beiträge nach einem Jahr frei verfügbar im Internet zu veröffentlichen. Dies verstoße gegen die Wissenschaftsfreiheit, meinen siebzehn Konstanzer Wissenschaftler und haben Klage eingereicht. Auch hierüber werden die Bundesrichter zu entscheiden haben, was dann wiederum Auswirkungen auf das jetzt verabschiedete Hochschulgesetz haben könnte.

Dass Theresia Bauer derzeit des Öfteren als Feuerwehrfrau im Südwesten unterwegs sein muss, zeigt sich auch bei der rechtswidrigen Vergabe von Zulagen an W-Professoren.

Zulagenaffäre nicht ausgestanden
Bekannt geworden waren die ersten Fälle an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg; im Jahr 2015 gar siebzig an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) in Konstanz. Mittlerweile ermittelt nicht nur die Staatsanwaltschaft Konstanz, sondern es befasst sich damit auch ein Untersuchungsausschuss des Landtags. Jüngst bestätigt die Pädagogische Hochschule Heidelberg, ebenfalls unrechtmäßige Zulagen gewährt zu haben, die Rede ist von weiteren Institutionen.

„Autonomie für die Hochschulen bedeutet auch, dass sie eine Selbstkontrolle ausüben müssen“, sagt LRK-Chef-Ressel. Die Hochschulen hätten autonom werden wollen, dann müssten sie allerdings auch im gesetzlichen Rahmen handeln, darüber könne das Wissenschaftsministerium nicht die Fachaufsicht haben. Fürchtet der LRK-Vorsitzende nun, dass das Wissenschaftsministerium die Freiheiten der Hochschulen einschränken wird? „Nein, Frau Bauer hat da einen klaren Standpunkt“, sagt Ressel. Aber Rechnungshof und Landesparlament könnten eine strengere Kontrolle anmahnen.

Die grüne Wissenschaftsministerin gibt sich entspannt: „Mein Ziel ist nicht, nach der Devise ‚Still ruht der See‘ zu agieren. Wirft man einen Stein ins Wasser, gibt es Wellen, das gehört dazu.“ Sie habe einige Dinge bewegt, die nicht nur auf Unterstützung stoßen. Theresia Bauer umreißt die bewegten Zeiten im Südwesten gerne auch so: „Das ist ein Zeichen lebendiger politischer Debatte, dass um Hochschulpolitik gerungen wird.“ Wissenschaftspolitik könne nichts Schlimmeres passieren, als wenn Friedhofsruhe um die Hochschulen herrsche.

Benjamin Haerdle arbeitet als Journalist in Leipzig.

Theresia Bauer

„Eine Hochschule ist keine basisdemokratische Spielwiese“

STUTTGART Nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2016 musste Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) das Landeshochschulgesetz novellieren. Das tritt nun in Kraft: Es ist ein weiterer Anlauf, Hochschulgovernance und Autonomie zu regeln.

duz: Frau Bauer, sind Sie zufrieden mit dem neuen Gesetz?
Bauer: Ganz außerordentlich! Das gründliche Nachdenken darüber, wie wir das Urteil des Verfassungsgerichtshofs umsetzen und eine Form der modernen Hochschulleitung in ein Gesetz bringen, hat sich gelohnt. Das Gesetz berücksichtigt sowohl die individuelle als auch die institutionelle Wissenschaftsfreiheit. Alle beide werden durch den neuen Entwurf angemessen gestärkt.

duz: Sie haben dies als dritten Weg der Hochschulgovernance bezeichnet, also weder managerial noch kollegial. Was macht diesen Weg aus?
Bauer: Eine Hochschule ist kein Unternehmen, man kann sie auch nicht so führen. Sie ist aber auch keine basisdemokratische Spielwiese. Dafür ist sie zu komplex, zu anspruchsvoll. Eine Hochschulleitung muss in der Lage sein, schwierige und mitunter unbequeme Entscheidungen treffen zu können. Die von uns getroffenen gesetzlichen Regelungen lösen den scheinbaren Widerspruch auf zwischen individueller Wissenschaftsfreiheit auf der einen und strategischer Steuerungsfähigkeit der Institution als Ganzer auf der anderen Seite. Hochschulangehörige agieren schließlich nicht nur individuell, sondern sind Teil einer komplexen Organisation.

duz: Das heißt ...?
Bauer: Wichtig ist beispielsweise, dass Rektorate Entscheidungen treffen können, ohne permanent Gefahr zu laufen, abgewählt zu werden. Diese Strategiefähigkeit müssen die Hochschulen behalten.

duz: Die Hochschulen müssen das Gesetz erst noch umsetzen. Sehen Sie Schwierigkeiten auf sie zukommen?
Bauer: Nein. Das hat Arbeit abverlangt, keine Frage. Aber wir haben uns eben auch die Mühe gemacht, das Gesetz vorab intensiv mit den Hochschulen zu diskutieren. Dessen Geist ist von allen Beteiligten durchdrungen, verstanden und gewollt. Deswegen habe ich eigentlich keine Sorgen, dass nun auf den letzten Metern noch etwas schiefgeht. Für die Erarbeitung der Grundordnungen in den Hochschulen bleibt jetzt ausreichend Zeit.

duz: Neu ist auch das Gremienstimmrecht für Doktoranden.
Bauer: Wir sind das erste Bundesland, das Doktoranden einen eigenen Status gibt. Sie brauchen mehr Sichtbarkeit. Ich bin mir sicher, dass die Beiträge der jungen Wissenschaftlergeneration eine Bereicherung für die Hochschule ist.

duz: Was konkret versprechen Sie sich davon?
Bauer: Die Doktoranden markieren ja immer den Beginn einer neuen Forschergeneration. Sie hinterfragen noch unvoreingenommen, und ihre Arbeit ist grundlegend für die Forschungskraft unserer Hochschulen.

duz: An mehreren Standorten, vor allem in Konstanz, wurden leistungsbezogene Zulagen fehlerhaft vergeben. Wie kann das sein?
Bauer: Zunächst: Die bundesweite Umstellung des Besoldungssystems war der richtige Schritt. Man kann nicht ernsthaft zu dem Prinzip zurückkehren wollen, dass nicht die individuelle Leistung, sondern das Dienstalter schematisch für alle gleich über das Gehalt bestimmt. Nachvollziehbar ist auch: Bei einem System in dieser Komplexität und Größe kommen in der Praxis auch mal Fehler vor. Gleichzeitig muss aber klar sein, dass die Vergabe rechtskonform verläuft. Wenn Fehler passieren, müssen sie korrigiert werden, und das passiert derzeit in Konstanz.

duz: Welche Konsequenzen wird das haben?
Bauer: Die Hochschule Konstanz hat erste Maßnahmen eingeleitet, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Sie hat zudem eine neue Richtlinie zur Vergabe von Zulagen verabschiedet, damit ist für die Zukunft eine rechtskonforme Grundlage gewährleistet. Die fehlerhaften Fälle werden aufgearbeitet. Mit allen Hochschulen sind wir dabei, Richtlinien zu überprüfen, damit die gesetzlichen Rahmenbedingungen verlässlich eingehalten werden. Sie selbst haben ja das größte Interesse daran, in ihrem Handeln über jeden Zweifel erhaben zu sein.

duz: Am Bundesverfassungsgericht sind noch zwei Klagen zum Hochschulgesetz anhängig. Müssen Sie es bald wieder ändern?
Bauer: Es ist normal, dass man Gesetze immer mal wieder anfassen muss. Wir haben selbst vor, in dieser Legislaturperiode das Hochschulgesetz zu novellieren, etwa bei Details zur Bauherreneigenschaft und zu Änderungen durch den Artikel 91b. Bei der Klage zum Urheberrecht geht es um spannende Grundsatzfragen. Die sind es wert, dass das Bundesverfassungsgericht dazu Hinweise gibt. Da bin ich sehr entspannt.

Das Interview führte Benjamin Haerdle.

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