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Wahrheitsfindung

Es ist falsch, die Wissenschaft lediglich an demokratischen Idealen zu messen. Ein Gastkommentar.

Moderne Wissensgesellschaften leben von einer nahezu globalen Arbeitsteilung. Wer heute etwas weiß, der weiß es oft von oder durch Zusammenarbeit mit anderen. Laien können sich dabei auf das zuverlässigere Urteil von besser informierten und kompetenteren Experten verlassen. Sie vertrauen Experten nicht deshalb, weil sie deren Gründe plausibel finden. Denn oft übersteigen die komplexen Gründe hinter den Expertenurteilen ihr eigenes Verständnis bei Weitem. Laien vertrauen Experten, weil sie innerhalb des Expertensystems durch Ausbildung, Ämter oder Auszeichnungen anerkannt werden.

Solange Expertensysteme wie etwa die Wissenschaften offen für Wettbewerb und Kritik sind und sich Experten durch prognostische Erfolge bewähren, sind Anerkennung und wissenschaftliche Reputation gute und für Laien leicht erkennbare Indikatoren für Glaubwürdigkeit. Natürlich sind Wissenschaftler weder unfehlbar noch unbestechlich und frei von Eigeninteressen. Dennoch ist das Vertrauen in die Experten der zuverlässigste Weg der Wahrheitsfindung. Das System selbst beinhaltet Korrekturmechanismen, durch die Fehler aufgedeckt werden. Der Laie sollte Expertenmeinungen sogar dann folgen, wenn sie ihm eher abwegig erscheinen. Das wirkt auf den ersten Blick seltsam, aber das fachliche Urteil des Experten ist aus Sicht des Laien zuverlässiger als sein eigenes. Deshalb wäre jede Abweichung aufgrund eigener Überlegung mit einem Glaubwürdigkeitsverlust erkauft. Das heißt nicht, dass Laien das kritische Denken aufgeben sollen. Sie können von Expertenmeinungen dann abrücken, wenn andere Experten widersprechen oder wenn es Indizien dafür gibt, dass der Experte interessengeleitet oder bestochen war. Laien sollten jedoch keine fachlichen Überlegungen gegen Experten anstrengen.

In der Wissenschaft gelten andere Spielregeln als in der Politik

Die moderne Wissensgesellschaft ist durch starke Asymmetrien der Glaubwürdigkeit gekennzeichnet. Nicht jede Meinung zählt gleich viel, und Laien sollten den Experten zumindest fachlich folgen. Die Spielregeln der Wissensgesellschaft unterscheiden sich damit radikal von den Spielregeln der modernen Demokratie, in der jede Stimme gleich viel zählt, Politik dem Wähler verständlich sein muss und allein die Mehrheit entscheidet. Das ist in der Demokratie richtig, weil politische Legitimität durch allgemeine und gleiche Akzeptanz und Partizipation hergestellt wird. Heute werden die Strukturen der Wissensgesellschaft gerne an demokratischen Idealen gemessen. Sie schneiden dabei eher schlecht ab. Experten wirken aufgrund ihrer breiten Anerkennung wie Eliten, die nur ihre Machtprivilegien sichern wollen. Wissenschaftler sehen sich der Forderung nach Allgemeinverständlichkeit ausgesetzt. Wissensdiskurse gelten als illegitim, sobald sie nicht mehr auf Augenhöhe stattfinden. Aber diese demokratische Kritik an den Asymmetrien der Wissensgesellschaft legt den falschen Maßstab zugrunde und untergräbt systematisch das Vertrauen in Experten und Wissensautoritäten.

Was sind die Folgen einer solchen Demokratisierung? Sie kann zum Beispiel zu Verschwörungstheorien führen, dass 9/11 ein von der CIA verantworteter Anschlag war. Denn wenn jeder Bürger nur das glaubt, was ihm selbst am Ende plausibel erscheint, dann können dabei solche Erklärungen herauskommen. Eine andere Konsequenz ist die Informationsüberflutung im Internet. Die demokratische Revolution des Netzes hat dazu geführt, dass jeder Aussagen und Kommentare online stellen kann, ohne seine Expertise zu belegen. Für Nutzer wird dadurch die Glaubwürdigkeit der Informanten unsichtbar. Qualitätskontrolle wird durch die schiere Dominanz der Mehrheit ersetzt.

Der Erfolg der modernen Wissensgesellschaft beruht essenziell auf Asymmetrien der Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in Experten und Autoritäten muss geschützt und gestärkt werden. Deshalb sollte die Öffentlichkeit aufgeklärt werden, dass sich die Spielregeln der Wissensgesellschaft und der Demokratie unterscheiden.

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