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Mit Achtsamkeit leiten

Führungskräfte müssen flexibel, aufmerksam und umsichtig Entscheidungen für sich und andere treffen. Die Universität Witten/Herdecke erforscht die Methode „Mindful Leadership“.

„Mindful Leadership beginnt bei einem selbst, beeinflusst die eigene Haltung und Grundeinstellung hin zu einen guten Umgang mit sich selbst, seinen Mitarbeitern und Kollegen“, stellt Sebastian Benkhofer heraus, warum Mindful Leadership ein wichtiges Thema für die Personalentwicklung ist. Der Leiter des Professional Campus, Career Service und Alumnimanagement der Universität Witten/Herdecke (UW/H) ist übrzeugt davon, dass die aus der buddistischen Meditation entstandene Führungsmethode dabei helfe, den eigenen „Autopiloten“ zu verlassen und sich Freiräume zu verschaffen, um kreativ und innovativ zu bleiben.

Konkret heißt das: Mit Mindful Leadership trainieren Führungskräfte die Wahrnehmung ihres Körpers, ihrer Gedanken, Emotionen und Stressmuster. Dazu praktizieren sie Meditations- und Yogaübungen, mit dem Ziel, ihr eigenes Wohlbefinden zu steigern. Führungskräfte können so Selbststeuerungskompetenz, Empathie und emotionale Führung lernen – allesamt Fähigkeiten, die heutzutage besonders gefragt sind. Dieser eher meditative Managementansatz soll ein besseres Stressmanagement ermöglichen, das eigene Bewusstsein schärfen und zu größerer Offenheit und Aufmerksamkeit führen. Die sich daraus entwickelnde positive Verbundenheit zu Kollegen und Mitarbeitern – so Benkhofer – habe insgesamt gesehen dann auch einen positiven Einfluss auf die Kultur einer Organisation oder eines Unternehmens. Und tatsächlich erproben bereits weltweit agierende Unternehmen wie Bosch, BASF, Google oder SAP diese neue Managementmethode.

Aber eignet sich dieser Managementansatz auch für Führungskräfte in Hochschule, Wissenschaft und Forschung? Für die Wittener Wissenschaftler ist dies fraglos der Fall. Zur Freiheit des Geistes gehöre eben auch die Freiheit, die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Objekte selbst zu wählen und bereit zu sein, über eine große Aufmerksamkeitsspanne zu verfügen. Diese Eigenschaften seien gerade in Wissenschaftseinrichtungen besonders relevant. Deshalb haben an der UW/H Wissenschaftler aus der Medizin, Neurobiologie, Psychologie, Soziologie und Ökonomie eine interdisziplinäre Forschungswerkstatt gegründet, um Mindful Leadership aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden.

„Aufmerksamkeitstraining kann helfen, Gehirnarealen für mehr Achtsamkeit zu aktivieren und Resonanzen auf stressende Ereignisse, wie Unsicherheiten, die typisch sind für Wissenschaftseinrichtungen, zu verringern“, sagt Dr. Tobias Esch. Der Arzt, Neurowissenschaftler und Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der UW/H hat beobachtet: „Eine Führungskraft, die lernt, eigene Emotionen zu kontrollieren und Selbstreferenz zu haben, lässt sich bei den Entscheidungsfindungen nicht durch die Vorwegnahme von allen Folgen, die diese Entscheidung haben kann, leiten, sondern trifft klare Entscheidungen, die in der jeweiligen Situation passend sind.“

Die Wissenschaftler der UW/H sehen den Einsatz von Achtsamkeitstrainings in Organisationen aber durchaus auch kritisch. Es sei eher kontraproduktiv, wenn Achtsamkeitstrainings dazu dienen sollen, dysfunktionale Organisationszusammenhänge zu stabilisieren oder wie ein Drive-In zur Steigerung egozentrierter Selbstoptimierung betrieben würden. Vielmehr sollte in Unternehmen und auch Wissenschaftseinrichtungen zusammen mit der Achtsamkeitsmethodik an der Entwicklung einer ethischen Haltung gearbeitet werden, die Egoismen verhindert und Mitgefühl fördert – fordert Sebastian Benkhofer.

„Entscheidend ist, dass die Achtsamkeit das Verbundenheitserleben mit mir selbst stärkt. Eine Wissenschaftsorganisation, die von Individuen geprägt ist, die mit sich selber und mit anderen besser in Kontakt sind, wird sich stärker als eine Organisation erleben, in dem die einzelnen Einheiten gut miteinander verbunden sind. Das stärkt auch die Fähigkeit einer Wissenschaftsorganisation selbst regulativ tätig zu sein und letztendlich auch, so etwas wie Selbstheilung zu betreiben“, stellt Tobias Esch heraus. Für ihn steht fest: „Gerade wenn, wie heutzutage weit verbreitet, in einer Organisation der Wind von vorne bläst und Auslöser für Angst, Kampf­ oder Fluchtsituationen ist, kann Achtsamkeit helfen, hier konstruktiv gegenzusteuern.“

Für Wissenschaftseinrichtungen, die eine Achtsamkeitsstrategie planen, haben die Wittner Achtsamkeitsexperten Tobias Esch und Sebastian Benkhofer ganz konkret folgende Empfehlungen:

  • Alle Mitglieder, Statusgruppen, Institutionen und Arbeitsbereiche (Wissenschaft,
  • Verwaltung, Management) einer Wissenschaftseinrichtung sollten in den Prozess eingebunden werden.
  • Es sollten Steuerungsgruppen etabliert werden, die alle Akteure an einen Tisch
  • zusammenbringen und auch mögliche Skeptiker einbinden. Es gehe nicht darum, jeden zu überzeugen.
  • Alle Mitarbeiter sollten befragt und ernst genommen werden. Die Ergebnisse der Befragung sollten transparent gemacht werden und es müssten entsprechende Konsequenzen daraus gezogen werden.
  • Wenn eine Achtsamkeitsstrategie entwickelt werde, sollten gleichzeitig auch Moti­vations- und Achtsamkeitsschulungen für alle Mitglieder angeboten werden.
  • Damit der Prozess gelinge, sei es notwendig, kompetente Personen in der Organisation zu identifizieren oder von außen zu holen, die das Geschehen moderieren und steuern.

„Die Verantwortlichen in den Wissenschaftsorganisationen sollten sich darüber im Klaren sein, dass ein Achtsamkeitsprozess viel Zeit in Anspruch nimmt und einen langen Atem braucht. Aber es lohnt sich. Denn selbst das britische Parlament und die Streitkräfte der US­Armee wagten einen Versuch, ihr Personal in Achtsamkeit zu schulen“, sind sich Tobias Esch und Sebastian Benkhofer einig.

Aktivitäten an Hochschulen in Sachen Achtsamkeit

Aktivitäten an Hochschulen in Sachen Achtsamkeit:

Uni Witten/Herdecke
Die Universität Witten/Herdecke ist sehr aktiv im Bereich Mindful Leadership und veranstaltet alljährlich eine Konferenz über die neuesten Forschungsergebnisse und Anwendungsmöglichkeiten. Aktuell forschen fünf Professoren der Universität zu diesem Thema. Die nächste Mindful Leadership-Konferenz wird vom 22. bis 23. März 2018 in Stuttgart stattfinden.
Weitere Infos: www.professional-campus.de

Zudem bietet die Universität Witten/Herdecke zwei berufs­begleitende Zertifikatslehrgänge „Führungskompetenz durch Mindful Leadership“ und „Train the Trainer für Mindful Leadership“ an.

Das Münchner Modell
Die Initiative „Meditation im Hochschulkontext – Das Münchner Modell“ wurde 2010 von Prof. Dr. Andreas de Bruin von der  Hochschule für angewandte Wissenschaften München initiiert. Meditations- und Achtsamkeitsübungen werden in Form von Lehrveranstaltungen in die Lehrpläne an der Hochschule München und der Ludwig-Maximilians-Uni München implementiert. Inzwischen gibt es auch Kooperationen mit der University of Applied Sciences in Amsterdam” sowie mit der FH Campus Wien.
Weitere Infos: http://www.sw.hm.edu/die_fakultaet/personen/professoren/bruin/muenchner_modell.de.html

Buchtipp: Praxis der Achtsamkeit

Buchtipp: Praxis der Achtsamkeit

Das Buch „Praxis der Achtsamkeit – Schlüsselbegriffe der Care-Ethik“, herausgegeben von Dr. Elisabeth Conradi, Philosophie-Professorin in Stuttgart, und Dr. Frans Vosman, Professor an der Universität für Humanistische Studien in Utrecht, präsentiert die in verschiedenen europäischen Ländern entwickelte Ethik der Achtsamkeit und Sorge transdisziplinär. Im Zentrum stehen Fragen, wie die Versorgung gelingend zu gestalten ist und wie der Umgang mit menschlicher Verletzbarkeit und Abhängigkeit unser politisches Zusammenleben bestimmt. Gegliedert in vier Teile gibt das Buch Einblick in den europäischen Diskurs, die Theoriearchitektonik und die Terminologie der Care-Ethik.

Buchtipp: Der Selbstheilungscode

Buchtipp: Der Selbstheilungscode

Dr. Tobias Esch ist Arzt, Neurowissenschaftler und Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke. Sein Ratgeberband "Der Selbstheilungscode" beschreibt mit Bezug auf neueste Forschungsergebnisse, welche Faktoren für Gesundheit und Zufriedenheit entscheidend sind und wie sich mit Hilfe von Achtsamkeitstraining die Lebensqualität verbessern lässt.

Tobias Esch: Der Selbstheilungscode. Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit. Verlagsgruppe Beltz, Weinheim 2017, 19,95 Euro

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