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Geschlechtergerecht lehren

Die Gestaltung der Hochschullehre kann einen Beitrag zur Chancengleichheit für alle Geschlechter leisten.

Geschlecht ist eine soziale Kategorie, die als zentraler Platzanweiser in der Gesellschaft und damit auch an Hochschulen wirkt. Die Beharrungstendenzen einer hierarchischen Geschlechterordnung zeigen sich anhand des bekannten Musters der Beteiligung von Frauen und Männern entlang der Qualifikations- und Beschäftigungsstufen an einer Hochschule: Von der paritätischen Beteiligung zu Studienbeginn ausgehend, sinken mit jeder Qualifikationsstufe die Frauenanteile auf der nächsthöheren Stufe.

Wirksam sind des Weiteren die Muster einer geschlechterspezifischen Studienwahl (1). Dies bedeutet nun nicht, dass keine Veränderungen stattfinden, sondern dass sich diese nur sehr langsam vollziehen und ein Maßnahmenbündel alleine nicht ausreicht. Es sind darüber hinaus strukturelle Veränderungen erforderlich, die kritisch die Entwicklungen auf gesellschaftlicher und hochschulpolitscher Ebene in den Blick nehmen.

In diesem Kontext kann die geschlechtergerechte Gestaltung der Hochschullehre einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit für alle Geschlechter leisten, denn ihr Ziel ist es, gute Lernbedingungen und vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten für Studierende jenseits ihrer spezifischen Geschlechtszugehörigkeiten zu schaffen.

Der Hochschuldidaktik kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu. Geschlechtergerechte Lehre ist ein voraussetzungsvolles Unterfangen, sowohl in Bezug auf das eigene Wissen als auch in der Lehrpraxis. So lautet die Herausforderung: Wie kann es gelingen, die Kategorie Geschlecht im Kontext der Lehre als wichtigen Faktor anzuerkennen, ohne erneute Stereotypisierungen zu erzeugen? Im Folgenden werden unter Berücksichtigung dieser Fragestellung Anregungen und Denkanstöße zur Gestaltung der individuellen Lehre gegeben.

Genderkompetent lehren

Die geschlechtergerechte Gestaltung der Hochschullehre erfordert von den Lehrenden, eigene Genderkompetenz zu entwickeln. Genderkompetenz kann verstanden werden „(…) als die Fähigkeit und die Motivation, soziale Zuschreibungen in Bezug auf Geschlecht auf Grundlage des Wissens über ihre Entstehung und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Machtverhältnisse kritisch reflektieren zu können. Außerdem verweist der Begriff auf die Fähigkeit, das Wissen so anwenden zu können, dass das eigene Handeln zu einem Abbau von Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen beiträgt.“ (2) Genderkompetenz im Kontext von Hochschullehre kann darüber hinaus entlang der folgenden vier Dimensionen unterschieden werden (3):

  • Fachkompetenz: Theoretisches, empirisches und methodisches Wissen der Geschlechterforschung/Gender Studies
  • Methodenkompetenz: Transfer von Geschlechterwissen in Lehrmethoden
  • Sozialkompetenz: Geschlechterreflektierende Gestaltung in der Kommunikation und in Gruppenprozessen
  • Selbstkompetenz: Reflexion in Bezug zu eigenen Vorstellungen über Gender/Geschlecht und geschlechterbezogenen Handlungsmustern.

Wie lassen sich diese Eingangsüberlegungen nun in die konkrete Lehr-Lernpraxis umsetzen?

Persönliche Erfahrungen reflektieren

Die Kategorie Geschlecht ist stark durch Alltagswissen geprägt. Eine wichtige Voraussetzung für eine geschlechtergerechte Gestaltung der eigenen Lehre ist es, sich von den allgemein verbreiteten Vorstellungen über Geschlecht zu distanzieren und sich dem wissenschaftlichen Verständnis von Geschlecht anzunähern. Geschlecht ist eine wichtige Einflussgröße nicht nur im sozialen Kontext und in Interaktionen, sondern ebenso in der eigenen Biografie. Es ist hilfreich, persönliche Erfahrungen vor dem Hintergrund der eigenen Geschlechtszugehörigkeit zu reflektieren und sich beispielsweise zu fragen:

  • Welche biografischen Hintergründe haben mich geprägt?
  • Wo erfahre ich aufgrund meiner Geschlechtszugehörigkeit (auch in Verbindung mit der eigenen sozialen Herkunft, der Hautfarbe, des Alters oder der körperlichen Voraussetzungen) Vorteile oder auch Benachteiligungen?
  • Wie bin ich mit Situationen umgegangen, in denen ich mich ausgeschlossen gefühlt habe oder in denen ich falsch beurteilt wurde?
  • Wie gehe ich damit um, wenn ich mich ertappe, dass ich andere aufgrund von Voreingenommenheit falsch beurteilt habe?

Diese Fragen ermöglichen die individuelle Sensibilisierung für Erfahrungen, die auch in Lehr-Lernkontexten von Bedeutung sind. Sie fördern die Selbstkompetenz in Bezug auf eigene geschlechterbezogene Denk- und Handlungsmuster, aber auch in Bezug zu weiteren Kategorien der Differenz. Damit ist die Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis als Lehrperson angesprochen.

Gestaltung von Lehrangeboten

Bei der Planung und Gestaltung von Lehrangeboten sollte eine lernförderliche Atmosphäre für alle Studierenden im Fokus stehen. (4) Hierzu kann auf das verfügbare Methodenrepertoire der Didaktik zurückgegriffen werden. Eine gute Ausgangsbasis für die geschlechtergerechte Gestaltung der Lehre ist die Sicht von Lernenden als Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und des daraus resultierenden individuellen Förderungbedarfs aller Studierenden. Dies bedeutet für die Planung des Lehrangebots, dass eine abwechslungsreiche Gestaltung vielfältige Lern- und Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet.

Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass sich Geschlechterunterschiede sowohl auf der kognitiven als auch auf der emotionalen Ebene kaum finden lassen.(5) Auch die Forschungsergebnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Lernorientierungen und Geschlecht sind sehr divergent.(6) Vor diesem Hintergrund orientiert sich eine geschlechtergerechte Didaktik insbesondere an Fragen des Inhalts und der Interaktionen im Lehr-Lerngeschehen und erfordert auch hier die Bereitschaft der Lehrenden, sich mit möglichen eigenen stereotypischen Vorannahmen auseinanderzusetzen.

Hinsichtlich der konkreten Vorbereitung von Lehrveranstaltungen sind die Themenwahl und damit auch die Lehrinhalte zentral. Bei der Auswahl von Lehrinhalten geht es unter Berücksichtigung des jeweiligen Fachcurriculums darum, sich zu fragen, was die zentralen Inhalte sind und ob bzw. inwiefern Aspekte der Geschlechterforschung enthalten sind. Auch in natur- und technikwissenschaftlichen Fächern oder der Mathematik, die gemeinhin als „geschlechtsneutral“ gelten, kann Geschlecht zum Thema gemacht werden. Dies können im Bereich der Geschichte der Mathematik beispielsweise biographische Studien über Mathematikerinnen von der Antike bis zur neuesten Zeit sein oder es können im Rahmen wissenschaftstheoretischer Überlegungen Konstruktionsprozesse von Geschlechterordnungen in den und durch die Natur- und Technikwissenschaften thematisiert werden. Neben der inhaltlichen Ebene sollte ebenfalls die Vermittlung und Aufbereitung der zur Verfügung gestellten Unterlagen reflektiert werden. Sind Sprache und beispielsweise Bildmaterial geschlechtergerecht und möglichst diskriminierungsfrei oder tragen diese gegebenenfalls dazu bei, Geschlechterstereotype zu reproduzieren? Es existieren verschiedene gute Arbeitshilfen zu geschlechtergerechter Sprache und Medien.

Bei der Durchführung von Lehrveranstaltungen sollte von Beginn an darauf geachtet werden, dass eine wertschätzende und respektvolle Lernund Arbeitsatmosphäre geschaffen wird. Dies kann gelingen, indem das Lernsetting abwechslungsreich gestaltet wird. Verschiedene Moderationstechniken wie Blitzlicht, Murmelgruppen, Gruppenregeln zum wertschätzenden Umgang untereinander etc. bieten sich hierfür an.(7)

Zusammenfassung

Das Gestalten geschlechtergerechter Lehre ist eine sehr komplexe Aufgabe. Neben einer profunden Kenntnis vielfältiger didaktischer Methoden ist vor allem die Bereitschaft der Lehrenden gefordert, ihre Lehre und Wissensvermittlung stetig zu reflektieren und eigene Vorannahmen und Alltagswissen über Geschlecht zu hinterfragen. Theorien, Erkenntnisse und Methoden der Geschlechterforschung sollten zudem gezielt in die Fachinhalte der Lehrveranstaltung eingebunden werden. Darüber hinaus sollte klar sein, dass die Kategorie Geschlecht stets in der Verwobenheit mit weiteren Kategorien der Differenz zu betrachten ist.(8)

Um geschlechtergerecht zu lehren, sollten die Lehrenden bereit sein, ihre Lehre und Wissensvermittlung stetig zu reflektieren. Zudem sollte die Geschlechterforschung gezielt in die Fachinhalte der Lehrveranstaltung eingebunden werden.

Quellen

  1. Vergleiche Materialien der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) (2015): Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. 19. Fortschreibung des Datenmaterials (2013/2014) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen, Heft 45, 2015; online abrufbar unter: www.gwk-bonn.de/fileadmin/Papers/GWK-Heft-45-Chancengleichheit.pdf.
  2. Mense, Lisa; Wegrzyn, Eva (2014). Gender genderkompetent lehren – Herausforderungen und Potenziale. Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 35, 51-55; S. 52.
  3. Rosenkranz-Fallegger, Edith (2009): Gender-Kompetenz. Eine theoretische und begriffliche Eingrenzung. In: Liebig, Brigitte; Rosenkranz-Fallegger, Edith; Meyerhofer, Ursula (Hg.): Handbuch Gender-Kompetenz. Ein Praxisleitfaden für (Fach-)Hochschulen. Zürich. S. 29-48.
  4. Die folgenden Vorschläge basieren auf Gindl, Michaela; Helfer, Günter (2010): Gendersensible Didaktik in universitärer Lehre und Weiterbildung für Erwachsene, in: Mörth, Anita; Hey, Barbara: Geschlecht und Didaktik. Graz. S. 71-94.
  5. Vergleiche Steins, Gisela (2012): Geschlechterforschung, Psychologie und ihre Didaktik. In: Kamphoff, Marita; Wiepcke, Claudia (Hg.): Handbuch Geschlechterforschung und Fachdidaktik. Wiesbaden. S. 371-384; S. 380.
  6. Die Lernorientierung der Studierenden hängt in erster Linie von ihrem jeweiligen Studienfach ab, hingegen spielt deren Geschlecht kaum eine Rolle. Vergleiche: Severiens, Sabine; Ten Dam, Geert (1997): Gender and Gender Identity Differences in Learning Styles. Educational Psychology, 17(1/2), S. 79-93.
  7. Vielfältige Hinweise hierzu sind im Leitfaden „Gendersensibilität im Lehrprozess. Leitfaden für gendersensible Didaktik“ von Michaela Gindl, Günter Hefler und Silvia Hellmer zu finden unter: www.wien. gv.at/ menschen/frauen/pdf/leitfaden-didaktik-teil2. pdf (abgerufen 20.03.2016).
  8. Czollek, Leah Carola; Perko, Gudrun (2015): Didaktikleitfaden. „Eine Formel bleibt eine Formel … Gender/queer- und diversitygerechte Didaktik an Hochschulen: ein intersektionaler Ansatz“.
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