Prekär ist die Situation am Ende einer Laufbahn
Die Befristung wissenschaftlicher Stellen soll der Qualifizierung dienen – so ist das gesetzliche Privileg für den Forschungsbereich gedacht. Doch die Hochschulen werden ihrer personalpolitischen Verantwortung nicht gerecht, meint Ulrich Preis, einer der Konstrukteure der Gesetzgebung auf der Bundesebene.
duz: Der neue Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs ist veröffentlicht. Im Vergleich zu 2013 ist die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse noch gestiegen. Sind Sie überrascht?
Preis: Nein. Bund und Länder haben in den letzten zehn Jahren unglaublich viel Geld in die Hochschulen gespült. Aber alle diese Mittel, insbesondere vom Bund, sind befristet. Ganz zu schweigen von dem immer weiter wachsenden Zufluss an temporären Drittmitteln. Es ist deshalb nicht fair, den Hochschulen vorzuwerfen: „Ihr macht prekäre Arbeitsverhältnisse, ihr habt so viele befristete Stellen.“ Denn die Hochschulen bekommen ja auch nur befristetes Geld.
duz: Was können die Hochschulen gegen die Befristungen tun?
Preis: Grundsätzlich verstehe ich die gesamte Diskussion nicht: Wir müssen an den Hochschulen im Wissenschaftsbereich überwiegend befristete Stellen haben. Das ist die Grundphilosophie. Das Bundesverfassungsgericht formuliert: „Kontinuierliche Nachwuchsförderung in Arbeitsverhältnissen kann nur betrieben werden, wenn die beschränkt vorhandenen Stellen immer wieder frei werden. Ein milderes Mittel als die Befristung der Arbeitsverhältnisse ist dazu nicht ersichtlich.“ In der Tat sind wir in Lehre und Forschung „Durchlauferhitzer“ für junge Akademiker zum Wohle der Gesellschaft. Gäben wir allen Nachwuchswissenschaftlern eine unbefristete Perspektive, ginge der Wissenschaftsstandort Deutschland kaputt. Dann hätten wir nämlich den Stellenfluss verstopft und die nachwachsenden Generationen kämen nicht mehr in die Hochschulen rein.
duz: Aber die Befristungen dauern, bis die Leute 45 Jahre oder älter sind. Dann spätestens wird es auch auf dem anderen Arbeitsmarkt schwierig, selbst in den MINT-Fächern.
Preis: Als um die Jahrtausendwende der inzwischen verstorbene ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich, und ich das Konzept für befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung erarbeitet haben, sahen wir zwei Phasen à sechs Jahre vor. Examinierte Akademiker sollten in einer ersten Phase von bis zu sechs Jahren zeigen, dass sie eine hervorragende Dissertation fertigen können. Danach sind sie Ende 20, Anfang 30. Bleiben sie in der Wissenschaft, folgt die Qualifizierung für die Professur, also noch einmal sechs Jahre. Insgesamt wären das zwölf Jahre; dann sind die Betreffenden noch jung genug für eine Karriere auch außerhalb der Wissenschaft. Das war ein schönes theoretisches Modell. Doch es ist völlig durchlöchert, weil der Bund immer mehr Verlängerungstatbestände für befristete Verträge geschaffen hat und seit der Föderalismusreform jedes Bundesland personalpolitisch und beamtenrechtlich tun und lassen kann, was es will.
„Legale Möglichkeiten für unendliche Befristungen“
duz: Das heißt?
Preis: Ich kann Ihnen heute, in der Kombination von Bundes und Landesrecht, legale Möglichkeiten für unendliche Befristungen aufzeigen: Nach den zwei Sechs-Jahres-Phasen als wissenschaftlicher Mitarbeiter und gegebenenfalls Verlängerungen der Befristungen wegen diverser Sondertatbestände können Sie je nach Landesrecht noch als Beamter auf Zeit den Akademischen Rat und auch den Akademischen Oberrat draufsetzen. Ohne Schwierigkeiten kommen wir so auf 22 plus x Jahre befristeter Arbeitsverhältnisse. Und wenn das nicht reicht, können Sie mit 50 plus noch Juniorprofessor werden; denn es gibt insoweit keine Altersgrenzen. Anschließend hangelt man sich von Drittmittelprojekt zu Drittmittelprojekt. Bis zur Rente. Alles nach Bundes und Landesrecht legal, aber womöglich europarechtswidrig. Es herrschen Kraut und Rüben!
duz: Andererseits bemühen sich einzelne Länder durch Rahmenvereinbarungen, dem Befristungswildwuchs Einhalt zu gebieten. Sie sitzen in Nordrhein-Westfalen (NRW) mitten im Geschehen ...
Preis: Ich habe den Kodex in NRW stark kritisiert. Denn: Prekär ist die Situation am Ende einer wissenschaftlichen Laufbahn! Doch darum kümmert sich der Kodex nicht, sondern primär um die Zeit der Qualifizierung. Man hat den Eindruck, als wollten die Akteure die studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte unmittelbar in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis überführen. Doch es ist absurd, diese Pakte mit ihnen auf Zeit und Gegenseitigkeit als angebliches Prekariat zu bekämpfen. Im Moment verursacht der Kodex in Nordrhein-Westfalen nur Rechtsunsicherheit und Bürokratie.
duz: Welchen Anteil haben die Hochschulen selbst an der Misere?
Preis: Es hat Missbräuche gegeben, wo die Freiheit zur Befristung ausgenutzt wurde. So hätte ich als Rektor oder Kanzler schon der Bürokratie wegen die Beschäftigung in Vierteljahresverträgen unterbunden. Oder nehmen Sie die Lehrbeauftragten, die keinerlei gesicherte Rechtsstellung haben. Sie werden übereinstimmend nach Bundes und Landesrecht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis „sui generis“ gehalten. So werden ganze Studiengänge mit Lehrbeauftragten betrieben, die nur stundenweise und ohne sozialen Schutz beschäftigt werden.
duz: Die Junge Akademie schlug mal vor, weniger wissenschaftliche Stellen in der Forschung oder projektbezogen zu schaffen und dafür mehr unbefristete Stellen mit mehr Lehrdeputat.
Preis: Die zweimal sechs Jahre sind ein Befristungsregime für Forscher. Es gibt inzwischen Dutzende Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Abgrenzung. Diejenigen, die nur unselbstständige Lehre machen, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Diese Stellen sind auf unbefristete Beschäftigung angelegt.
duz: Haben Sie den Eindruck, dass die Verantwortlichen an den Hochschulen den Unterschied verstehen?
Preis: Mir fehlt der empirische Überblick, aber was ich so höre, hat man damit in den Hochschulen durchaus seine Schwierigkeiten. Mir sind schon Verträge vorgelegt worden, in denen stand „... wird befristet nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz“, aber dann folgte eine Aufgabenbeschreibung mit ausschließlich administrativen oder wissenschaftsorganisatorischen Inhalten. Das sind keine Verträge, die man mit dem Befristungsprivileg nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz begründen kann.
duz: Die Verantwortlichen sind überfordert.
Preis: Das Hauptthema in der Finanzsteuerung der Hochschulen ist im Moment: Wie können wir verstetigen, was wir mit temporären Bundesmitteln geschaffen habe? Erfreulicherweise gibt es aus der Politik Signale, dass wenigstens ein Teil der Mittel aus der Exzellenzinitiative und der Hochschulpakte verstetigt werden. Doch haben die Hochschulen schon jetzt mit dem fatalen Effekt zu kämpfen, dass Nichtwissenschaftler in der Lehre und Beschäftigte in der Wissenschaftsadministration unbefristet beschäftigt werden, weil sie sich einklagen können. Es besteht die Gefahr, dass das zulasten der Forschung geht und man irgendwann eine Hochschule hat mit mehr Verwaltung als Professoren und Nachwuchswissenschaftlern. Das würde dem Wissenschaftsstandort Deutschland schaden.
duz: Wird auf der Arbeitgeberseite in den Hochschulen überhaupt richtige Personalpolitik gemacht?
Preis: In der Wissenschaftsadministration denke ich ja. Anders ist dies im Wissenschaftsbereich. Hausberufungen sind aus nachvollziehbaren Gründen verpönt. Man qualifiziert in den Fakultäten Nachwuchswissenschaftler, kümmert sich allerdings in der Regel nicht um deren berufliche Entwicklung. Die meisten jungen Akademiker haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt aber Fakultäten, insbesondere im geisteswissenschaftlichen Bereich, die bilden mehr Nachwuchswissenschaftler aus, als auf dem Markt gebraucht werden. Hier wäre die Wahrnehmung personalpolitischer und sozialer Verantwortung zu begrüßen.
duz: Sollte man in solchen Fällen also von vornherein abraten von der Habilitation?
Preis: Die Fakultäten haben eine Schutzpflicht für ihre Habilitanden. Denn ich kann nicht sagen, du bist ein hervorragender Wissenschaftler und ich habilitiere dich, weiß aber, dass es nur wenige Lehrstühle in seinem Fach gibt. Da muss man sich Gedanken machen, ob ein so hervorragend ausgebildeter Wissenschaftler eine Dauerperspektive hat. Das Problem stellt sich für alle sogenannten „kleinen“ Fächer. Möglicherweise kann die Situation durch das angekündigte Tenure-Track-Programm verbessert werden.
Die Fragen stellte duz-Redakteurin Gudrun Sonnenberg
Prof. Dr. Ulrich Preis
ist seit 2001 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht an der Universität zu Köln. Er befasst sich mit der Verbesserung des Arbeitsvertragsrechts und legte seit den 90er-Jahren immer wieder viel beachtete Vorschläge vor, die teilweise auch in die Gesetzgebung einflossen. Auch die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes geht auf seine Vorschläge zurück. In diesem Jahr erscheint eine Neuauflage seines Kommentars dazu. Internet: www.tinyurl.com/jdzwdgx
DUZ Magazin 03/2017 vom 24.03.2017