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Vom Umgang mit Hass im Netz

Der Umgangston in Diskussionsforen im Internet ist oft rau, manche Kommentare sind verletzend und beleidigend. Wie damit umgehen? Das erläutert die Autorin Ingrid Brodnig im Interview.

Einige große Nachrichtenseiten wie Spiegel-Online oder die Süddeutsche Zeitung erlauben kaum noch Kommentare unter ihren Artikeln im Netz. Andere Portale beschäftigen Community-Manager, die jeden Beitrag vorab lesen, kommentieren und anschließend im Forum freischalten oder auch ausblenden, wenn sich jemand beispielsweise rassistisch oder beleidigend äußert und mit Provokationen das Diskussionsklima vergiften will.

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse in allgemeinen Foren zur Diskussion stellen, schlägt mitunter eine Woge des Hasses entgegen. Doch woher kommt all die Häme und Bösartigkeit im Netz? Wie lässt sich dem entgegentreten, ohne selbst ausfällig zu werden? Weshalb bleiben Höflichkeit und gepflegte Umgangsformen häufig auf der Strecke? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Ingrid Brodnig, österreichische Journalistin und Autorin des Buches „Hass im Netz“. Sie kennt das Phänomen aus ihrer eigenen Arbeitswelt, auch auf ihrer Facebook-Seite finden sich mitunter böse und verletzende Äußerungen.

duz: Weshalb gibt es so viel Häme im Netz und so wenig Empathie?

Brodnig: Das Internet ist für mich nicht die Ursache für die Aggressionen, es fällt dort aber oft leichter, sie auszuleben. Wer online einen Kommentar schreibt, muss sich nicht mit den emotionalen Konsequenzen seiner Worte beschäftigen. In einem persönlichen Gespräch wären viele sicher zurückhaltender. Doch online fehlen körperliche Reaktionen wie Stimmlage, Gestik oder Blickkontakt.

duz: In Foren und selbst auf den Webseiten von seriösen Zeitungen sind viele Kommentare verletzend, üble Schimpfwörter ganz gebräuchlich. Die wenigsten würden diese Sprache in einem Gespräch verwenden. In Ihrem Buch zitieren Sie den „nasty effect“. Was ist damit gemeint?

Brodnig: Werden Schimpfwörter und persönliche Beleidigungen in Diskussionsforen verwendet, polarisiert das die Mitlesenden und zerstört die Debatte. Standpunkte werden einzementiert und es ist schwer, die Diskussion zu drehen. Diesen „nasty effect“, zu Deutsch mit „fieser Effekt“ übersetzbar, beobachteten Forscher an der University of Wisconsin, indem sie Probanden über Nanotechnologie diskutieren ließen. Fielen Schimpfwörter in der Diskussion, standen sich Befürworter und Gegner kompromissloser gegenüber, da jeder auf seinen Standpunkt beharrte.

„Jeder einzelne kann etwas gegen Beleidigungen in Diskussionsforen tun.“

duz: Wie lässt sich so eine verfahrene Situation lösen?

Brodnig: Jeder einzelne kann etwas dagegen tun. Mit Hinweisen wie „Bitte verwenden Sie keine Schimpfwörter“, kann jeder die Regeln festlegen, welche Kommentare er sich auf seinem eigenen Facebook-Profil oder seinem Blog wünscht. Schimpfwörter zerstören die Diskussionskultur, die Mitte geht verloren, es gibt nur noch Extreme. Auch in moderierten Diskussionen sollte es Regeln geben, respektvoll miteinander zu sprechen. Auch sachliches Nachfragen „Wie meinen Sie das?“ hilft manchmal.

duz: Auch Wissenschaftler sind in manchen Diskussionsforen mit Hasskommentaren konfrontiert, wenn sie ihre Forschungsergebnisse vorstellen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Brodnig: Auf Facebook und Twitter gibt es viel Skepsis gegenüber Wissenschaft, Verschwörungstheorien und Esoterik sind dort sehr verbreitet. Umso wichtiger ist es, mit seinen Argumenten durchzukommen, wissenschaftliche Ergebnisse zu erklären und vorzustellen, seine Aussagen mit Zahlen und Statistiken zu belegen.

duz: Wie können wissenschaftliche Ergebnisse zu mehr Aufklärung beitragen?

Brodnig: Wissenschaftler sollten ihre Forschungen vorstellen und allgemein verständlich erklären. Glaubwürdige Persönlichkeiten können Menschen davon überzeugen, dass ihre Vorurteile falsch sind und das auch sachlich belegen.

duz: Sollten sich Wissenschaftler in gängigen Verschwörungsforen einklinken und versuchen, sachlich zu informieren?

Brodnig: Auf den einschlägigen Seiten, auf denen die Glaubenskrieger unter sich sind, wird das schwierig, das würde ich nur bedingt empfehlen. Dort herrscht ein raues Diskussionsklima, Schimpfwörter sind gängig, die Wahrnehmung ist dort stark eingeschränkt und es ist unwahrscheinlich, ein offenes Ohr zu finden. Besser ist es, eigene Communities aufzubauen und dort Ergebnisse sachlich zu diskutieren, das halte ich für zielführender. Es ist wichtig, im Netz Raum für eine sachliche Diskussion zu schaffen. Mit einem prägnanten Stil, Statistiken und Zahlen lassen sich krude Argumente kontern – zumindest bei jenen Nutzern, die zuhören wollen.

duz: Wer sich in den Social-Media-Foren engagieren will, muss dafür auch Zeit einplanen. Oder lässt sich das nebenbei umsetzen?

Brodnig: Social Media kostet viel Zeit und es braucht die Bereitschaft, offen mit den Nutzern zu diskutieren. Wer sich nicht darauf einlassen will, sollte lieber die Finger davon lassen.

duz: Welche Plattformen eignen sich dafür?

Brodnig: Wer auf Twitter eine Fach-Community aufbauen möchte, muss wissen, dass Emotionen dort sehr direkt geäußert werden und Kritik sehr hart sein kann. Dann heißt es durchatmen, sachlich nachfragen, wie ein Kommentar gemeint war und sich nicht im Ton vergreifen. Ähnlich ist es auf Facebook. Wer dort seine wissenschaftlichen Themen vorstellen möchte, sollte klar machen, dass sachliche Kommentare willkommen sind, für Hass oder Schimpfworte aber kein Platz ist.

duz: Können Sie bei bösen und beleidigenden Kommentaren immer ruhig bleiben?

Brodnig: Natürlich ist oft der erste Impuls, etwas ähnlich Gemeines zurückzuschreiben. Doch darüber freuen sich Trolle, dann haben sie ihr Ziel erreicht und mir geht es nicht besser. Humor ist die effizienteste Methode zu zeigen, dass man sich nicht einschüchtern lässt.

duz: Welche Ziele sind realistisch, wenn man in den Ring steigt und sich auf Diskussionen über wissenschaftliche Themen einlässt?

Brodnig: Jeder sollte sich zuerst fragen: Was will ich erreichen? Wer das Ziel verfolgt, andere zu überzeugen, stellt schnell fest, wie selten das gelingt. Niemand will sich gerne überzeugen lassen. Aber ein Ziel könnte sein, Infos für aufgeschlossene Mitlesende zu liefern und Links zu seriösen Seiten zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Ziel kann sein, einen sachlichen Diskussionsstil zu etablieren, Empathie zu vermitteln oder auch Opfer in Schutz zu nehmen.

duz: Es kommt immer wieder vor, dass Menschen in Foren bedroht werden. Was lässt sich dagegen tun?

Brodnig: Wer Adressat von Hass oder Beleidigungen wird, sollte Screenshots anfertigen und diese Informationen speichern, notfalls empfehle ich rechtliche Schritte. Generell sollte man sich Verbündete suchen, beispielsweise Freunde und Kollegen informieren und mobilisieren, damit die Beiträge von den entsprechenden Seiten von vielen gemeldet und bald gelöscht werden. Wer möchte, kann diese Anfeindungen zusätzlich öffentlich thematisieren, das erhöht den Druck, bringt Solidaritätsbekundungen und zeigt dem Opfer, dass es nicht allein ist.

„Hater“ im Netz - Eine Typisierung

„Hater“ im Netz - Eine Typisierung

Im Buch „Hass im Netz“ beschreibt die Autorin Ingrid Brodnig zwei Typen, die mit Krawall gezielt eine Diskussion im Netz instrumentalisieren. Diese sind nicht an einem Austausch interessiert, sondern verfolgen ihre eigene Agenda. Beide Typen halten wenig von Empathie:

Der Troll
Der Troll ist kein Fabelwesen und hat nichts mit nordischen Sagen zu tun, sondern der Begriff leitet sich aus der Anglersprache ab. „Trolling“ kommt aus dem Englischen und lässt sich mit Schleppfischen übersetzen. Ein Angler wirft einen Köder ins Wasser und fährt mit dem Boot langsam davon. Die Raubfische halten es für Beute, schnappen zu und hängen am Haken, schreibt Ingrid Brodnig. Schadenfreude, sich intellektuell überlegen fühlen, provozieren und andere manipulieren, das motiviert Trolle. An einem Meinungsaustausch sind sie nicht interessiert.

Der Glaubenskrieger
Die zweite Gruppe, die Glaubenskrieger, versuchen ebenfalls Diskussionen im weltweiten Netz zu entern und zu dominieren. Sie sehen sich selbst als Helden, die andere wachrütteln müssen. Glaubenskrieger verfolgen unbeirrbar ihre Überzeugungen und wollen mit Panikmache negative Emotionen wecken. Oft lenkt sie ein diffuses Gespür einer Bedrohung, auch wenn es dafür keine objektiven Belege gibt. Glaubenskrieger und Anhänger von Verschwörungstheorien sind enge Verwandte.

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