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Gerichtsurteil stärkt Professoren

Der Verfassungsgerichtshof von Baden-Württemberg hat das Landeshochschulgesetz für „unvereinbar“ mit der Wissenschaftsfreiheit erklärt. Professoren im Senat sollen künftig ihre Rektoren selbstbestimmt abwählen können. Doch das ist erst der Anfang.

Die Suche nach einer Lösung dauert an. Im Stuttgarter Wissenschaftsministerium kann rund zwei Monate nach der deutschlandweit rezipierten Entscheidung des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshofs niemand sagen, wie das Landeshochschulgesetz rechtskonform neu geregelt werden soll. „Derzeit befinden wir uns noch in der Phase der Bewertung des Urteils und seiner Auswirkungen“, teilt eine Ministeriumssprecherin Anfang Januar mit. In diesem Jahr werde es ein öffentliches Symposium geben, und „erst danach werden wir Lösungswege erarbeiten und das Gespräch mit allen Hochschulstatusgruppen, mit externen Hochschulratsmitgliedern und Wissenschaftsorganisationen suchen“.

Die Richter hatten am 14. November die geltenden Regelungen im Südwesten mit der in Artikel 20 der Landesverfassung verankerten Wissenschaftsfreiheit für „unvereinbar“ erklärt. Die Hochschulleitungen in Baden-Württemberg verfügten „über erhebliche wissenschaftsrelevante Befugnisse, insbesondere bei Personal-, Sach- und Finanzentscheidungen“, stellten die Juristen fest, aber diese Befugnisse des Rektorats würden „nicht durch hinreichende Mitwirkungsrechte der im Senat vertretenen Hochschullehrer bezüglich der Wahl- und Abwahl der Rektoratsmitglieder“ ausgeglichen. Bis zum 31. März 2018 hat die grün­schwarze Regierung Zeit für eine verfassungskonforme Neuregelung.

Geklagt hatte Dr. Joachim Stöckle, Professor für Digitale Signalverarbeitung der Hochschule Karlsruhe. „Im bisherigen Landeshochschulgesetz wird der Rektor durch den Hochschulrat, den Senat und das Ministerium bestimmt. Wenn einer dieser drei Beteiligten sich gegen einen Kandidaten ausspricht, so kann dieser nicht Rektor werden. Dies muss nun geändert werden“, äußert er sich zufrieden. „Der Rektor wird zukünftig von denjenigen gewählt, die Träger der Wissenschaftsfreiheit sind, nämlich den Professorinnen und Professoren.“ Die Hochschullehrer seien in den vergangenen Jahren nur zu oft Leidtragende eines willkürlich agierenden Rektorats gewesen.

Dr. Georg Sandberger, ehemaliger Kanzler und Honorarprofessor der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, interpretiert das Urteil so: „Im Kern besagt die Entscheidung, dass Kompetenzen des Rektorats in zentralen wissenschaftsrelevanten Fragen entweder durch Wahl­ und Abwahlverfahren des Senats kompensiert werden müssen, bei denen die gewählten Mitglieder der Professoren im Senat die Mehrheit haben, oder dass Kompetenzen des Rektorats auf den Senat zurückverlagert werden müssen.“ Das Urteil gehe über die vom Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen vertretene Auffassung hinaus; wenngleich Karlsruhe auch da schon eine Professorenmehrheit gefordert habe, so sei nie zwischen Hochschullehrern, Dekanen und Rektoratsmitgliedern unterschieden worden. Doch nun fordere der Verfassungsgerichtshof in Stuttgart explizit eine Mehrheit der in den Senat gewählten Hochschullehrer. Welche Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen seien, also Änderung des Wahlverfahrens oder Rückverlagerung von Kompetenzen des Rektorats auf den Senat, habe der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber überlassen. Dieser werde bei seiner Entscheidung auch die Strategiefähigkeit der mit weitgehender Autonomie ausgestatteten Hochschulen zu bedenken haben.

Hochschulrat geschwächt

Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bedachte den Gerichtsentscheid mit harscher Kritik. „Dieses Urteil atmet den Geist der Sechzigerjahre“, befand die Grünen-Politikerin. Das Rektorat sei künftig ausschließlich vom Wohlwollen einer einzigen hervorgehobenen Gruppe abhängig. Und tatsächlich geht die Aufwertung des Stimmrechts der Hochschullehrer im Senat einher mit der Abwertung des Einflusses derer, die dort die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Studierenden vertreten.

Der Richterspruch trifft die Ministerin auch deshalb empfindlich, da sie im Frühjahr 2014 ein neues Landeshochschulgesetz auf den Weg gebracht hat, das gerade die unter dem ehemaligen Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) 2005 forcierte „unternehmerische Hochschule“ zurückdrängen sollte und mit ihr die Dominanz damaliger Hochschulräte, die für die Rektoratsbesetzungen zuständig waren. Doch gerade jetzt, wo es unter Bauer ein Einvernehmen seitens Senat, Hochschulrat und Ministerium brauchte für die Wahl und Abwahl von Rektoratsmitgliedern, urteilt die Justiz, dass die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr sei, da die im Senat vertretenen Hochschullehrer die Möglichkeit haben müssten, sich „selbstbestimmt von einem Rektoratsmitglied wieder trennen zu können“. Und weiterer Ärger steht Theresia Bauer erst noch bevor.

So haben 17 Konstanzer Hochschullehrende vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eine Normenkontrollklage eingereicht. Sie wehren sich gegen die „Satzung zur Ausübung des wissenschaftlichen Zweitveröffentlichungsrechts“, mit der die Universität Konstanz als erste Hochschule das umsetzt, was das Landeshochschulgesetz in einem Paragrafen festschreibt, nämlich die Pflicht der Wissenschaftler zur Open-Access-Zweitveröffentlichung ihrer Publikationen.

Auf Bauers Landeshochschulgesetz zielt auch die Klage von Professor Dr. Hendrik Jacobsen. Er und 33 weitere Mitstreiter der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) legten im Sommer 2014 beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen das Gesetz ein. Auch sie sehen darin einen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit, auch sie sehen sich als Hochschullehrer bei wissenschaftsrelevanten Beschlüssen nicht angemessen beteiligt und ohne ausreichenden Einfluss auf die Wahl oder Abwahl der Rektoren und Dekane. „Uns ist eine Entscheidung für dieses Frühjahr angekündigt worden“, sagt Jacobsen.

Vor diesem Hintergrund anhaltender juristischer Querelen im Südwesten ist es nicht überraschend, dass die Verantwortlichen in anderen Landeswissenschaftsministerien, im Deutschen Hochschulverband (DHV) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die Vorgänge in Baden-Württemberg aufmerksam verfolgen und prüfen, inwiefern diese bundesweit von Relevanz sind. HRK-Präsident Professor Dr. Horst Hippler findet es bedenklich, dass sowohl Dekane als auch Präsidenten im Stuttgarter Urteil nicht mehr der Wissenschaft zugerechnet, „sondern nur noch in ihrer Funktionalität im Rahmen der Selbstverwaltung wahrgenommen werden“. Zum einen erschwere dies, Personen für diese Ämter zu finden. „Zum anderen geht es an der Realität der Hochschulen vorbei. Sicher wollen wir eine stärkere Professionalisierung der Leitungsfunktionen, aber ihre Träger bleiben ihr Leben lang Wissenschaftler.“

Thüringen justiert nach

DHV-Präsident Professor Dr. Bernhard Kempen begrüßt das Urteil hingegen sehr. „Das ist eine klare Absage an eine Top-down-Struktur, in der die Wissenschaftler nur nachgeordnete Agenten und Leis­tungsbringer sind. Die Universität braucht andere Führungsstrukturen als ein Unternehmen.“ Kempen ist überzeugt, dass auch das Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen (NRW) einer verfassungsgerichtlichen Prüfung „nicht standhalten“ würde. Ein Sprecher des SPD-geführten Düsseldorfer Wissenschaftsministeriums hält dagegen; das Stuttgarter Urteil insgesamt biete „keinen Anlass“ für Änderungen in NRW, dessen Hochschulgesetz in wichtigen Punkten sich von dem Baden-Württembergs unterscheide. Anders in Thüringen. Dort ist ein neues Hochschulgesetz in Arbeit. Das bisherige führt bei Rechtsexperten zu ähnlichen verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit wie in Baden-Württemberg. Aus dem Erfurter Wissenschaftsministerium ist zu hören, dass man das Stuttgarter Urteil sorgfältig ausgewertet habe. Die rot­rot­grüne Landesregierung wolle die Hochschullehrer stärken, erklärt ein Sprecher. Ihre Stimme solle künftig bei der gemeinsamen (Ab­-)Wahl der Rektorate durch Senat und Universitätsrat paritätisch berücksichtigt werden, allerdings solle ihnen die Stimmenmehrheit bei Abstimmungen zu Forschung und Lehre gewährt werden.

Bei all diesen die Gerichte beschäftigenden Auseinandersetzungen kommt die Wissenschaftsfreiheit auf den Prüfstand; dass sie in Gefahr und deshalb zu stärken sei, befand schon das Bundesverfassungsgericht 2014 angesichts der Organisation der Medizinischen Hochschule Hannover sowie 2016 angesichts des Akkreditierungssystems. Offensichtlich sind die im Zuge der Bologna-Reform erstarkten Rektorate und Hochschulräte mitsamt ihrer Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Einbindung privater Akteure wie Akkreditierungsagenturen für eine Qualitätssicherung der Lehre deutliche Anzeichen für Richter, dass sich die Machtverhältnisse an Hochschulen zu Ungunsten der Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit und also der Hochschullehrer verschoben haben.

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