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Mut fördern, nicht Angst

Fragen stellen, Kritik üben, sich fern des Mainstreams bewegen. Eine Rückbesinnung auf diese alten Tugenden täte dem Wissenschaftssystem gut. Ein Einwurf — im Rückblick auf duz-Beiträge dieses Jahres.

Wir evaluieren uns zu Tode. Der Ausspruch wird oft vernommen. Vorgebracht wird er nicht nur von Forschenden und Lehrenden. Auch von Rektoren/Präsidenten, wenngleich seltener öffentlich. Dennoch weiß die Leitungsebene gleichfalls, dass die durch eine äußere Vermessung von Forschung und Lehre ertrotzte „Objektivität“ nicht funktionieren kann und die Universitäten stattdessen ein Stück weit ihre Freiheit und Unabhängigkeit verspielen. Woher rührt bloß diese Angst, aus der heraus Hochschulen sich ins Mantra der Zahlen flüchten? Spiegelt sie den Druck, die Zielvereinbarungen der Ministerien erfüllen zu müssen? Und damit wiederum die Ohnmacht der Politik, nicht einschätzen zu können, welche gesellschaftlichen Probleme wie, wann und ob überhaupt wissenschaftlich zu lösen sind?

Rechenschaftspflichten im Zeitalter von Bologna, allüberall in Europa, in knapp bemessenen Zeiträumen. Geld wird nur bewilligt, wenn die Nützlichkeit des jeweiligen Forschungsprojekts oder des Studiengangs in dicken, schweren Anträgen vollmundig beschrieben werden kann. Bei Beobachtern des Wissenschaftsbetriebs ist die Freude denn auch nicht gänzlich frei von Bitterkeit, wenn Politik und Verfassungsschutz allein angesichts von Terror in Europa, Syrienkrieg, zerstörten Kulturgütern und Flüchtlingsbewegungen schlagartig Interesse zeigen an Studierenden und Absolventen der Islamwissenschaft und Islamischen Theologie, Altertumswissenschaft, Orientalistik, Archäologie und Ägyptologie. Und Wissenschaftspolitiker und Hochschulmanager abermals heilfroh sind, diese Orchideenfächer doch noch nicht abgeschafft zu haben und dass ihre hochqualifizierten Akademiker den neuesten Verwertbarkeitstest bestanden haben.

„Wissenschaftsmerkmalen wieder zu mehr Geltung verhelfen“

„Bei der Evaluierung von Anträgen, der ‚Vermessung von Exzellenz‘, gehen wir vornehmlich von numerischen Indikatoren – wie viele Publikationen? – oder dem praktischen Nutzen eines Faches aus … Nach einer Studie der Brüsseler EU­Kommission gingen im Jahr 2014 gerade einmal sechs Prozent der im Forschungsprogramm Horizont 2020 bewilligten Zuschüsse an Geistes­ und Sozialwissenschaftler. Auch bei uns führen die Sparzwänge an den Universitäten dazu, dass bevorzugt über den Abbau geisteswissenschaftlicher und insbesondere kleiner Fächer nachgedacht wird …

[Allerdings, wie] der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Hans Ulrich Gumbrecht zu Recht betont, werfen sie Fragen auf und machen unseren Blick auf die Welt komplizierter und komplexer … [Doch] wie können wir in einer Förderwelt, die nach Nützlichkeit fragt, das kleine exzellente Fach fördern, das Fragen riskiert, herausfordert, vor den Kopf stößt, oder aber – auch keine kulturelle Selbstverständlichkeit mehr – Konzentration und Kontemplation mit sich bringt? ... Wie lassen sich Originalität, disruptive Kraft und kulturelle Prägung überhaupt messen? Von nichts anderem redet übrigens auch der Deutsche Historikerverband, wenn er den vom Wissenschaftsrat beschlossenen ‚Kerndatensatz Forschung‘ als Grundlage eines Forschungsratings kritisiert, das sich auf Zahlen konzentriert, statt sich mit Köpfen zu befassen … Um das Überleben der kleinen Fächer nachhaltig zu sichern, plädiere ich mit Nachdruck für eine zusätzliche ‚Exzellenzinitiative der kleinen Fächer‘ …

Zu fragen ist [nämlich], ob wir innerhalb der vorgeschlagenen Rahmenbedingungen Möglichkeiten finden, kleine Fächer und Geisteswissenschaften, die sich häufig der Quantifizierbarkeit des Outputs entziehen, zu bewerten. Die Antwort liegt auf der Hand: Besinnen wir uns auf alte Tugenden und bitten Fachleute, die Originalität der wissenschaftlichen Beiträge, ihre Solidität und ihre nationale und internationale Rezeption zu bewerten … Es wäre eine Abkehr von einer in der Öffentlichkeit leicht zu vermittelnden Scheinobjektivität. Eine solche Rückbesinnung käme übrigens allen Disziplinen zugute, bei denen die Bewertung häufig zwar gestützt auf Zahlen, aber viel zu wenig auf der Basis qualitativer inhaltlicher Betrachtung erfolgt. Sie würde auch einem Wesensmerkmal von Wissenschaft, das kein Indikator anzuzeigen vermag, wieder zu mehr Geltung verhelfen: infrage stellen, kritische Fragen stellen und sich außerhalb des Mainstreams bewegen. Das ist es doch, was die exzellent vertretenen kleinen Fächer und Geisteswissenschaften heute schon auszeichnet.“ (Prof. Dr. Walter Rosenthal, duz MAGAZIN 03/2016, S. 28ff).

Auch das Positionspapier der „Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen“ zieht Kritik der Vermessung und Vereinheitlichung von Wissenschaft nach sich.

„Derlei Versuche bergen immer die Gefahr, irgendwelchen Moden nachzulaufen. Probleme, die heute vielleicht als relevant erscheinen, können schon morgen in ihrer Bedeutung von anderen verdrängt werden. Das dafür investierte Forschungsgeld verpufft … So wie es kleinere, aber nicht weniger bedeutsame Probleme gibt, gibt es auch kleine Fächer, die im Kanon der wissenschaftlichen Disziplinen vernachlässigt werden und mit ihnen Fragestellungen, die vielleicht gerade nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen ... Es ist wichtig, vielen Problem­identifikationen, vielen Lösungswegen, vielen Disziplinen, vielen Forschungszugängen eine Chance zu geben.

Die Kraft des Pluralismus scheint mir unabweisbar. Doch genau sie kommt unter die Räder ... An der Debatte zu den Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen können Sie sehen, dass bei deren Benennung meist auf Fragen abgestellt wird, die etwas mit Technik und Ingenieurwesen zu tun haben. Gesellschaftliche Fragen werden dabei kaum verhandelt … [wie] Gleichheit, Armut oder auch Korruption, das Wissen und die Bildung des Individuums ... Es ist auffällig, dass [in autoritären Staaten] gerade die Ingenieurwissenschaften gestärkt werden, während die Geistes­ und Sozialwissenschaften vernachlässigt werden.“ (Prof. Dr. Rudolf Stichweh, duz MAGAZIN 05/2016, S. 24ff).

Die Kraft des Pluralismus und die Autonomie staatlicher Hochschulen beschäftigt in diesem Jahr stark die deutschen Gerichte, die an die Wissenschaftsfreiheit gemahnen. Vor Kurzem wurde entschieden, dass dem Senat angehörende Professoren in Baden-Württemberg zukünftig ohne Zustimmung des Hochschulrats Rektoratsmitglieder (ab­)wählen können. Noch zu prüfen sein wird, ob die Universität Konstanz ihre Wissenschaftler zur Open-Access-Zweitveröffentlichung verpflichten kann. Und erst im Februar/März hat das Bundesverfassungsgericht die Akkreditierung von Studiengängen durch privatwirtschaftlich organisierte Agenturen für rechtswidrig erklärt:

„Das Gericht rügt insbesondere den unverhältnismäßigen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit durch eine präventive Totalkontrolle des gesamten Lehrangebots ... und die mangelnde Beteiligung der Wissenschaft selber; es erinnert an seine ständige Rechtsprechung, wonach über Fragen der Lehre nur Gremien mit Professorenmehrheit entscheiden dürfen — die gibt es aber weder in den Entscheidungsgremien der Agenturen noch im Akkreditierungsrat.“ (Prof. Dr. Jens Halfwassen, duz MAGAZIN 09/2016, S. 13).

Anstatt sich weiter ängstlich an Impact Factor und anderen Benchmarks festzuklammern, sollte vielmehr auf Risiko, Mut und Vertrauen gesetzt werden, auch auf eine Kultur des Scheiterns.

„Ich kann nicht wissen, was ich künftig wissen werde, sonst wüsste ich das schon heute. Also muss ich mich darauf einlassen, jenseits der Grenzen des Bekannten ein Feld zu erkunden, für das es keine Leitplanken gibt. Dabei kann es vorkommen, dass ich ... unter Ungewissheiten leide. Das muss ich in Kauf nehmen, um zum Ziel zu kommen. Zur Wissenschaft gehört auch eine Kultur, die erlaubt, dass man scheitern kann und scheitern darf. Der Politik muss man … vermitteln: Die alleinige Förderung problemorientierter Innovationen wird dazu führen, dass man neueste Entwicklungen und Impulse für ein grundlegend anderes Vorgehen nicht mehr erkennt.“ (Dr. Wilhelm Krull, duz MAGAZIN 01/2016, S. 26ff.)

Doch werden die Wächter des Wissenschaftssystems gehört, da draußen in Europa?


Zur Autorin: Dr. Pascale Anja Dannenberg ist duz-Redakteurin.

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