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Die Zukunft auf dem Hügel

Der Architekturprofessor Gerhard Schmitt hat einst eine ideale Wissenschaftsstadt initiiert. Nun wohnen auch Studierende auf dem Hönggerberg, einem Campus der ETH Zürich. Leben und Arbeiten in Harmonie mit den Bewohnern. Greift das Konzept?

Die Zukunft liegt 20 Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt. Wer sie sehen will, der muss ein paar Mühen auf sich nehmen. Straßenbahn, Bus, Fußwege. Dann, oben angekommen auf dem Hügel, sieht die Zukunft erst einmal noch ziemlich gegenwärtig aus. Gebäude mit gläsernen Fassaden, gerade verlaufende Straßenzüge, ein Supermarkt, ein paar Cafés. Es ist einer dieser Tage, in denen sich das Wetter nicht entscheiden mag zwischen Frühherbst und Spätsommer. Im schwachen Sonnenlicht erstreckt sich der Campus Hönggerberg auf über 400 000 Quadratmetern, fast die Hälfte davon sind Naturfläche. 5000 Menschen arbeiten hier tagtäglich, 10 000 Studierende lernen hier, 900 von ihnen leben seit diesem September hier, in Wohnheimen direkt am Campus. Unter dem Label „Science City“ trat der Architekturprofessor Dr. Gerhard Schmitt 2003 an, Wissenschaft, Leben, Arbeiten, Forschen, Lehren bewusst bündeln zu wollen an diesem schon bestehenden Lehr­ und Forschungsstandort der ETH.

Schmitts Traum war es, die Lehrenden und Lernenden mit der Bevölkerung vor Ort zu verbinden. Auch war dem Architekten bei der Umsetzung seines Projekts wichtig, Ressourcen zu schonen. So nutzen 96 Prozent der hier arbeitenden und lebenden Menschen laut Hochschule öffentliche Verkehrsmittel, der CO2­-Ausstoß von 27 000 Tonnen im Jahr konnte schon um die Hälfte reduziert werden.
Wenn man heute, 13 Jahre nach den ersten Plänen, mit dem Informationsarchitekten seine Wissenschaftsstadt zu Fuß abschreitet, dann ist ihm der Stolz auf das Geleistete anzumerken: „Es ist schon cool, was hier entstanden ist, und dass vieles tatsächlich so funktioniert, wie wir es gehofft hatten“, fasst Schmitt zusammen.

Das ist das Ergebnis jahrelanger Forschung, zum Beispiel zeigt sich das beim Aspekt Wohnen. Schon Jahre bevor die ers­ten Studenten vor zwei Monaten tatsächlich auf den Campus einziehen konnten, haben einige von ihnen in Containern auf dem Gelände zur Probe gewohnt. „So haben wir aus erster Hand erfahren, wo die Probleme liegen und was notwendig ist, wenn wir Wohnen auf dem Campus etablieren wollen“, erläutert Schmitt. „Citizen Design Science“ nennt er diese Methode. Ohne die betroffenen Menschen einzubinden, seien Planungen nutzlos, ist er überzeugt.

Um die „Wissenschaftler untereinander, aber auch mit der Bevölkerung vor Ort“ zu vernetzen, sagt Schmitt, habe er mehr als 3000 Gespräche geführt. Denn natürlich gab es auch hier Einwände und Bedenken gegen das Projekt. „Aber wir haben es in einem rund zweijährigen Prozess geschafft, die Bedenken abzutragen und die Menschen von unserem Konzept zu überzeugen. Am Ende gab es keinerlei Einsprüche mehr gegen das Vorhaben, eine Seltenheit bei einem solchen Großprojekt“, merkt der Informationsarchitekt an, der sich mit der nutzerfreundlichen Gestaltung von Informationssystemen beschäftigt.

Den Kern der Idee von Gerhard Schmitt begreift man am besten dort, wo der Vordenker selbst sitzt, im HIT-Gebäude am Rande des Campus an der Wolfgang-Pauli-Straße 27, im vierten Stock, in einem Eckbüro mit Blick auf Zürich. Hier arbeitet das Department Architektur interdisziplinär zusammen in seinen Instituten zu Geschichte, Theorie, Technik, Denkmalpflege, Stadt und Landschaft, aber auch in Anbindung an die Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften sowie die Material-, Umwelt- und Ingenieurwissenschaften an der ETH.

„Wissenschaft wird befördert, wenn Menschen in einer offenen Umgebung zusammenarbeiten und unterschiedliche Denkweisen aufeinandertreffen und damit auch unterschiedliche kulturelle und nationale Hintergründe, verschiedene Disziplinen“, ist Schmitt überzeugt. Statt Räume für jede einzelne Fachrichtung auszustatten, gibt es hier ein Value Lab, einen hohen Raum mit riesigen Touchscreen-Bildschirmen. „Das ist die Zukunft“, schwärmt er. Aus der Sicht des Architekten greift das Konzept längst. Es gebe Rückmeldungen von Professoren, die Produktivität sei dank der neuen Räume gestiegen. Auch Forschung und Lehre seien enger zusammengerückt, findet Schmitt. Nur was die Auflösung der Disziplinen betrifft, die fächerübergreifende Zusammenarbeit der Architekten mit Sozialwissenschaftlern, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, „da geht es mir manchmal nicht schnell genug“, räumt der 63-Jährige ein.

Spricht man mit den Studierenden, dann ist es nicht das Einzige, was noch nicht so aufgeht, wie sich das der Forscher er­dacht hatten. „Dass wir jetzt engeren Kontakt zu den Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern hätten, kann ich nicht sagen“, sagt der Chemie-Student Philippe Bechtold, 21 Jahre alt.

Er gehört zu den Studenten, die nun in die Wohnheime am Rande des Campus eingezogen sind. Für den Luxemburger war das vor allem eine finanzielle Entscheidung. 800 Franken zahlt er hier für ein 30 Quadratmeter großes Einzelstudio, rund 250 Franken weniger als für sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft am Stadtrand von Zürich. Und wie gefällt ihm das Wohnen auf dem Campus? „Eigentlich ganz cool, dass die Wege jetzt so kurz sind, ist schon extrem hilfreich“, findet Bechtold, der 2013 sein Studium aufgenommen hat und als Mitarbeiter an einem Lehrstuhl beschäftigt ist.

Da die Trennlinie zwischen Privatleben und Studium schwammiger wird, packt ihn ab und an der Campus-Koller. Dann tritt er die Flucht in die Stadt an. Entweder mit einem der alle 20 Minuten fahrenden Sonderbusse, die die beiden Hochschulstandorte verbinden, oder mit dem regulären Nahverkehr. Häufig? „Sehr regelmäßig, am Wochenende sind wir meistens in der Stadt unterwegs, da ist es am Campus oft noch sehr ruhig“, sagt er.

Der Mensch ändert sich, mit ihm die Architektur

Einer, der das ändern will, ist Max Rossmannek. Er ist Präsident der Hönggerberger Nachbarschafts-Kommission. „Wir wollen Leben auf den Campus bringen und die Interessen der hier wohnenden Studierenden vertreten“, sagt er. Bislang noch mit recht mäßigem Erfolg, zum Begrüßungsfest und einem Kicker-Turnier kamen nur wenige Leute. Aber Rossmannek gibt sich zuversichtlich: „Ich hoffe, dass es einfach nur noch einer gewissen Einlebungsphase bedarf.“

Es zeigt sich, allein die Architektur für ein neues Miteinander hinzustellen, reicht nicht. Es braucht den Menschen, um soziales Leben zu etablieren. Der ändert sich, und so muss sich mit ihm auch die Architektur ändern. Architekten von Mammutprojekten brauchen einen langen Atem, da es nie einen Punkt geben wird, an dem die Entwicklung abschließend beendet ist. „Da ist die Science City wie jede andere Stadt“, glaubt Gerhard Schmitt. „Es gibt immer Veränderungen und Anpassungen. So ist das mit lebendigen Städten.“

Die ETH Zürich

Die ETH Zürich

  • 1855 nimmt die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ihren Betrieb auf unter dem Namen Eidgenössische Polytechnische Schule
  • 19.233 Studierende im Jahr 2015
  • 503 Professoren, 5.829 wissenschaftliche Mitarbeitende, 2.553 technische, IT- und administrative Mitarbeitende, Personal 2015 gesamt 11.000, ein Drittel Frauen
  • Studiengangsbereiche sind Architektur, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Mathematik, Management und Sozialwissenschaften
  • Am Standort Hönggerberg starten Ausbauetappen der ETH in den 60er-Jahren bis 2004

Die ETH im Internet: www.eth.ch

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