„Wohlwollend fördern“
Sie sind überdurchschnittlich erfolgreich: Die Promovenden der Studienstiftung des deutschen Volkes schließen laut einer Umfrage zu 97 Prozent mit den Bestnoten „summa cum laude“ oder „magna cum laude“ ab. Generalsekretärin Annette Julius berichtet über das Fördern und Fordern seitens der Stiftung.
duz: Frau Julius, junge Promovierte, exzellente Noten, gute berufliche Perspektiven – das ist das Ergebnis Ihrer Alumni-Befragung. Aber war das nicht auch zu erwarten, da die Studienstiftung sich die Besten der Besten für die Förderung aussucht?
Julius: Es ist natürlich schmeichelhaft, wenn Außenstehende sich über unsere Erfolge nicht wundern. Aber im Ernst: Wir haben uns selbst über die Ergebnisse sehr gefreut. Denn auch im Allgemeinen sind es ja die Besten der Besten, die überhaupt promovieren. Wenn unsere Geförderten innerhalb dieser Gruppe besonders gut abschneiden, dann ist das eine keineswegs selbstverständliche Bestätigung unserer Arbeit.
duz: Wie unterstützen Sie, abgesehen von der Finanzierung?
Julius: Wir bieten unseren Promovierenden Beratung und Unterstützung durch Referenten der Geschäftsstelle und Vertrauensdozenten – etwa für den Fall, dass sie in einen Konflikt mit ihrem Betreuer geraten oder eine andere Perspektive benötigen. Zudem erhalten sie inhaltliche Impulse von erfahrenen Wissenschaftlern und nicht zuletzt Räume, wo sie mit Stipendiaten auch anderer Fächer ins Gespräch kommen und sich vernetzen können. Außerdem verlangen wir regelmäßig einen Zwischenbericht zum Stand der Dissertation, der die Geförderten selbst dazu zwingt, sich zu strukturieren und spätestens im Laufe des dritten Förderjahrs eine Abschlussperspektive zu entwickeln. Allein die Tatsache, dass sie in die Studienstiftung aufgenommen werden, erleben im Übrigen viele als wichtige Anerkennung, die ihnen den Rücken stärkt, und als eine Form der Ermutigung, wenn sie mit Widerständen zu kämpfen haben.
duz: Sie zahlen jungen Forschern den Lebensunterhalt. Wäre es nicht sinnvoller, ihnen gleich mit Promotionsstellen einen frühen Einstieg in die Wissenschaft zu ermöglichen?
Julius: Das ist eine weit verbreitete Annahme: Wer sich während der Promotion nicht schon an einem Lehrstuhl verdient gemacht hat, der findet danach auch keinen Einstieg mehr. Unsere Studie zeigt hingegen, dass diese Art der institutionellen Anbindung für den weiteren Weg in der Wissenschaft nicht entscheidend ist.
duz: Welche Faktoren sind es dann?
Julius: Diejenigen unserer Ehemaligen, die neun bis zwölf Jahre nach dem Ausscheiden aus der Förderung eine Professur, Juniorprofessur erlangt haben oder eine Nachwuchsgruppe leiten, haben alle überdurchschnittlich schnell, mit einer exzellenten Note und mehrheitlich mit einem selbst gewählten, nicht von ihrem Betreuer vorgegebenen Thema promoviert. Zudem haben sie ihre Dissertation seltener in einem übergeordneten Forschungsprojekt, sondern meist als Individualpromotion geschrieben, und sie haben dort unter anderem gelernt, eigene, originelle Fragestellungen zu entwickeln und mit einem gewissen Grad an Freiheit umzugehen.
duz: Ist es dann in Ihren Augen eine Fehlentwicklung, dass sich zuletzt etwa die Max-Planck-Gesellschaft dazu entschieden hat, eher Promotionsstellen zu fördern, statt Stipendien zu vergeben?
Julius: Wenn Promovierende in einem Labor oder einem Institut wie Mitarbeiter eingebunden sind und beispielsweise Abwesenheiten als Urlaub oder Dienstreise beantragen müssen, dann ist es nur folgerichtig, dass sie auch auf Stellen beschäftigt werden. Es führt in meinen Augen aber in die Irre, Stellen gegen Stipendien auszuspielen – beide Wege haben ihre je eigenen Vorteile: Ein Stipendium bietet besondere Freiräume und die Chance, sich auf die eigene Arbeit zu konzentrieren und sie so vergleichsweise schnell abzuschließen. Umgekehrt ist es für jeden nachvollziehbar, wenn Doktoranden, die sich auf halben oder gar vollen Stellen substanziell an Lehre und universitärer Selbstverwaltung beteiligen, im Vergleich etwas länger für ihre Promotion brauchen.
duz: Schnell und gut zu sein – es leuchtet ein, dass man damit punkten kann. Aber ist es nicht ebenso wichtig, dass junge Forscher lernen, im Team zu arbeiten – und dies bereits im Rahmen ihrer Promotion trainieren?
Julius: Teamarbeit üben junge Menschen in vielen Kontexten ein – und ohne diese Fähigkeit geht es natürlich auch in der Forschung nicht. Unsere Studie zeigt aber, dass diejenigen, die ihr Promotionsthema eigenständig entwickelt und dann die Freiheiten einer „Individualpromotion“ ausgehalten und erfolgreich gestaltet haben, häufiger als andere langfristig in der Wissenschaft verbleiben.
duz: Sprechen wir über Karrierehindernisse. Promovierende mit Kindern schneiden überall schlechter ab – auch die von Ihnen Geförderten. Wie wirken Sie dem entgegen?
Julius: Wir bieten Stipendiaten mit Kindern zum Beispiel besondere finanzielle Unterstützung für die Kinderbetreuung und wir fördern sie bis zu vier statt drei Jahre. Stipendien bieten zudem die Möglichkeit, Arbeitszeit und Arbeitsort absolut flexibel zu wählen und zu gestalten – dies entspricht nach allem, was wir wissen, den zentralen Wünschen und Bedürfnissen von Eltern.
„Fördern und fordern ist kein Gegensatz“
duz: Ihre Empfehlung zur Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses lautet also: eher fördern als fordern?
Julius: Fördern und fordern ist gerade im Kontext der Promotion kein Gegensatz. Jede Promotion ist eine Unternehmung mit offenem Ende – die Zweifel und zuweilen auch Krisen, die damit einhergehen, können Promovierenden von niemandem erspart werden. Dennoch tragen auch Institutionen zentral Verantwortung für den Erfolg ihrer Promovierenden – indem sie die Wahl und Dimensionierung eines Themas kritisch begleiten und zum Beispiel auf eine angemessene Betreuung achten. Ob mit Stipendium oder Promotionsstelle, an einem Lehrstuhl oder einer Graduiertenschule – verschiedene Wege haben ihre Berechtigung. Wichtig ist mir, dass wir nicht auf Survival of the Fittest setzen, sondern die Institutionen, an die die Promovenden angebunden sind, sich verantwortlich für sie fühlen und sie wohlwollend fördern. Dass es über diese institutionelle Verantwortung inzwischen einen fast flächendeckenden Konsens bei Stipendiengebern, Lehrstuhlinhabern und Graduiertenschulen gibt, ist in meinen Augen ein Fortschritt. Und übrigens: Nicht jede abgeschlossene Promotion muss in eine Professur münden. Die Fähigkeit, auch einmal tiefer zu bohren und einen langen Bogen geduldig zu spannen, brauchen wir innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft mehr denn je. Für mich ist es grundsätzlich ein Erfolg, wenn junge Menschen ihre einmal begonnene Promotion auch abschließen und dann entscheiden, ob sie unsere Gesellschaft innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft mitgestalten möchten.
Das Interview führte Alexandra Straush
Dr. Annette Julius
ist seit 2012 Generalsekretärin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Zuvor leitete sie die Programmabteilung Nord im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sowie dessen Hauptstadtbüro in Berlin. Sie studierte Russisch, Englisch sowie Deutsch für das Lehramt und promovierte an der Universität Köln im Bereich der Neueren Russischen Literaturwissenschaft.
Internet: www.studienstiftung.de
Promotionsstipendium
Die staatlich finanzierte Studienstiftung des deutschen Volkes fördert pro Jahr rund 1.150 Promotionskandidaten. Bis zu drei Jahre erhalten sie in der Regel 1.450 Euro im Monat. Rund 10 Prozent der Geförderten nehmen nur eine rein ideelle Förderung in Anspruch. Laut einer Umfrage im Jahr 2015 unter 1.222 ehemaligen Stipendiaten der Absolventenjahrgänge 2003 bis 2012 sind sie bei Abgabe der Promotion im Mittel 30,4 Jahre alt und damit rund zwei Jahre jünger als der Durchschnitt aller deutschen Promovierenden. 97 Prozent von ihnen schließen ihre Arbeit mit mindestens „magna cum laude“ ab, deutschlandweit sind es 67 Prozent aller Promotionen. Nur zwei Prozent der Stipendiaten brechen die Promotion ab, während Schätzungen von einer allgemeinen Abbruchquote von mindestens 17 Prozent ausgehen.
DUZ Magazin 11/2016 vom 21.10.2016