Ein Grundgesetz der Redlichkeit für Europas Forscher
Es gibt international keinen echten Konsens darüber, was genau gute wissenschaftliche Praxis ist. Die europäischen Wissenschaftsakademien und Forschungsorganisationen aus 30 Ländern haben jetzt gemeinsame Standards erstellt.
Straßburg Als das Führungsgremium der European Science Foundation (ESF) Ende Juni bei seiner Sitzung in Lissabon einen neuen Regelkatalog für wissenschaftliche Redlichkeit beschloss, verband es damit die Hoffnung auf eine Signalwirkung. Der Katalog gegen Pfusch und Betrug in der Forschung könne Motor für weltweit gültige Richtlinien werden, sagte ESF-Generaldirektorin Prof. Dr. Marja Makarow über die Ziele des Bündnisses von 78 Forschungsorganisationen aus 30 Ländern, darunter Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Helmholtz-Gemeinschaft und die Union der Akademien der Wissenschaften.
Denn das weltweite Ausmaß wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist immens. Eine Metastudie zeigte im Jahr 2009, dass jeder dritte Forscher zugibt, Daten zu manipulieren oder zu fälschen (www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0005738). Plagiate, wie sie deutschen Politikern in Doktorarbeiten nachgewiesen wurden, sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Die ESF will deshalb international voran gehen und mindestens in Europa, vielleicht sogar weltweit, Standards setzen. Deshalb stellte sie ihre Richtlinien für Rechtschaffenheit in der Forschung bereits im Sommer 2010 in Singapur auf einer Weltkonferenz zum Thema vor. Das fand Beifall über die ESF hinaus. Die auf den Weg gebrachten Richtlinien begründeten eine neue Stufe beim Umgang mit einem wachsenden Problem, lobte das britische Fachmagazin The Times Higher Education. Denn die nationalen Regeln sind nicht aufeinander abgestimmt und setzen daher unterschiedliche Schwerpunkte. In manchen osteuropäischen Länder gibt es gar keine Regeln.
„Wir wollten die Normen wissenschaftlichen Arbeitens beschreiben.“
Die Autoren der Richtlinie betonen, sie wollten nationale Regelwerke nicht ersetzen. „Für viele Länder ist das nichts Neues“, sagt der Bonner Wissenschaftsethiker Prof. Dr. Ludger Honnefelder. Er hat für den europäischen Dachverband von 53 Akademien Allea, die wiederum Mitglied der ESF ist, am Kodex mitgearbeitet. Für Honnefelder sind die ESF-Richtlinien Orientierung für Institutionen, die Wissenschaftler beschäftigen und Forschung fördern: „Wir wollten beschreiben, was nach Meinung der Wissenschaftsgemeinschaft über Fächer und Grenzen hinweg die Rahmennormen wissenschaftlichen Arbeitens sind“, sagt er. Besonders die großen nationalen Akademien osteuropäischer Ländern seien sehr interessiert gewesen.
Die deutschen Forschungsorganisationen reagieren verhalten auf die ESF-Richtlinien und verweisen auf die eigenen Regeln. „Die sind für uns bindend und relevant“, sagt MPG-Sprecherin Dr. Christina Beck. Die DFG war zwar in der entsprechenden ESF-Arbeitsgruppe mit dabei. Aber eher, um ihre Erfahrungen einfließen zu lassen. Sprecher Marco Finetti verweist darauf, dass die DFG bereits seit Ende der 1990-er Jahre eigene Richtlinien und Verfahren für saubere Wissenschaft habe. Diese werden jedoch wegen der zahlreichen Plagiatsfälle in den vergangenen Monaten bei einer Tagung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen unter DFG-Federführung im November auf den Prüfstand gestellt. Dabei werde es aber nicht um die ESF-Normen gehen.
In Begleittexten zum Kodex heißt es, ein gemeinsames Verständnis vom korrekten wissenschaftlichen Arbeiten sei für internationale Zusammenarbeit essenziell, auch um das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht zu verlieren.
Die Richtlinien sollen also einen länder-übergreifenden Konsens über ehrenwertes Verhalten erzielen. Einen Strafkatalog beinhalten sie nicht. Aber sie verdammen Plagiate oder gefälschte und erfundene Forschungsergebnisse, die weit verbreitete scheibchenweise Veröffentlichungspraxis von Erkenntnissen, mit der Forscher die Zahl ihrer Publikationen künstlich in die Höhe treiben, oder die fehlende Transparenz bei Publikationen. So dürfe es keine Gastautorschaft oder gar Ghostwriting geben. Autoren müssten offenlegen, wie ihre Forschung finanziert wurde, vor allem dann, wenn Unternehmen dahinter stecken. Dabei bezieht der Kodex ausdrücklich auch Redakteure und Rezensenten ein.
Der Europa-Kodex will Forscher neben dem redlichen Umgang mit Daten auch zum korrekten Umgang mit Probanden oder Versuchstieren bei Studien anhalten. Die ESF pocht darauf, dass bei unredlichem Verhalten nicht nur der Forscher, sondern auch sein Arbeitgeber in der Verantwortung steht. Schnell und fair müsse jeder Verdachtsfall geprüft werden, heißt es. Die Organisationen werden aufgefordert, entsprechende Gremien wie etwa den Ombudsmann einzurichten.
Eine breite Wirkung des Kodex ist durchaus beabsichtigt. Bei einem Arbeitsgruppen-Treffen des ESF zum Thema im November 2010 in Rom wurde als Ziel formuliert, alle Mitglieder sollten die Richtlinien übernehmen. Zudem wird ihnen nahe gelegt, den Kodex zum Bestandteil internationaler Verträge zu machen. Die EU soll die Anti-Pfusch-Richtlinie in ihren Forschungsrahmenprogrammen etablieren. Bis Januar 2012 müssen alle Mitgliedsorganisationen dem ESF-Führungsgremium über ihre Schritte berichten.
Internet: www.esf.org/activities/mo-fora/research-integrity.html
DUZ Europa 07/2011 vom 02.09.2011