Griechenland stellt Unisystem auf den Kopf
Seit vielen Monaten wird Griechenland von der Finanzkrise und sozialen Protesten gegen drastische Haushaltskürzungen erschüttert. Wie ein Nebenschauplatz erscheint da die von der nach wie vor amtierenden Bildungsministerin Anna Diamantopoulou in Gang gesetzte Hochschulreform.
Das Gesetz, das seit rund 100 Tagen in Kraft ist, zielt jedoch ab auf einen deutlichen Systemwechsel, der die griechischen Universitäten modernisieren und an den europäischen Trend anpassen soll. Bei so viel Änderungsambitionen ist klar, dass sich Protest formiert, der die hellenischen Hochschulen bis heute in Aufruhr versetzt.
Seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 habe Griechenland ein großes Bedürfnis nach Demokratie gehabt, das sich in der Hochschulverwaltung widerspiegelte, erklärt Jannos Mitsos, der ein enger Berater der Bildungsministerin ist. Doch während Demokratie für ein Gesellschaftssystem gut ist, sei sie für die Verwaltung einer Institution oft nicht geeignet.
Die Reform will Exzellenz und Wettbewerb in den Vordergrund stellen, wobei den Universitäten nunmehr auch die Möglichkeit eröffnet wird, sich voneinander abzuheben und zu profilieren. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Einrichtung von Hochschulräten. Sechs von 15 Mitgliedern dieses Gremiums müssen künftig mit externen Experten besetzt werden, was viele Professoren als Angriff auf die universitäre Selbstverwaltung werten. Auch die Wahl der Hochschulpräsidenten wird geändert: Der Hochschulrat trifft eine Vorauswahl von zwei Kandidaten. In einer Stichwahl entscheidet die Gesamtheit der Professorenschaft über den Rektorposten. Erstmalig wird aber nicht mehr nur unter den Professoren der eigenen Universität ausgewählt. Auf die Ausschreibung können sich Professoren aus dem In- und Ausland bewerben.
Auch die Studiengänge sollen stärker auf Bologna-Kurs gebracht werden. Bachelor und Master sind bereits eingeführt. Ab nächstem Jahr soll für Studienbeginner nun auch das Leistungspunktesystem gültig werden. Zudem wird die Studiendauer beschränkt. Nach Ablauf der Regelstudienzeit hat man maximal zwei Jahre Zeit, sein Studium zu beenden. Für Studierende, die gezwungen sind, nebenbei zu arbeiten, wird offiziell ein Teilzeitstudium eingeführt und die doppelte Zeit für den Studienabschluss eingeräumt.
Außerdem werden die Universitäten von Körperschaften des öffentlichen Rechts auf juristische Personen des Privatrechts umgewandelt, was den Hochschulen erlaubt, erstmals eigene Finanzquellen zu erschließen. Zukünftig können und sollen Universitäten beispielsweise Sponsoren gewinnen oder die Patente aus universitären Forschungsergebnissen selbst vermarkten.
Weil im Zuge der Finanzkrise die staatlichen Budgets für die Hochschulen um etwa 25 Prozent gekürzt wurden, wird dies zwangsläufig zu einer wichtigen Säule für die Hochschulfinanzen werden müssen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Derzeit sind an den Hochschulen gerade einmal die Gremien für die Wahl der Hochschulräte eingerichtet worden. Läuft alles nach Plan, so wird Anfang 2012 an jeder griechischen Hochschule ein Hochschulrat seine Arbeit aufnehmen. Im Mai folgen die Wahlen der Hochschulpräsidenten nach dem neuen Verfahren. Und eine der ersten Aufgaben der neuen Hochschulverwaltung wird die Erstellung eines eigenen Hochschulstatutes sein, was eine Mischung aus Organigramm und Verfassung ist. Erst dann kann das im Sommer 2010 verabschiedete Hochschulrahmengesetz vollständig wirksam werden.
Eingespart werden muss aber schon vorher: Geplant sind beispielsweise Fusionen unter den landesweit bislang insgesamt 40 Hochschulen. Derzeit sei man noch in der Planungsphase, betont der Berater der Ministerin. Die Universitäten seien aufgefordert, zuerst eigene Möglichkeiten der Rationalisierung und dann die Zusammenlegung mit Instituten anderer Hochschulen auszuloten. Erst danach werde sich das Ministerium mit weiteren Vorschlägen einklinken. Dabei gehe es nicht um simple Mitteleinsparung, sondern vorrangig darum, „das vorhandene wissenschaftliche Potenzial optimal zu nutzen, universitäre Bildung mit dem Produktionssektor zu verbinden“, sagt Mitsos.
Synergien sollen sich auch durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ergeben, wie etwa bei Kooperationen zwischen griechischen und deutschen Fachhochschulen. „Wir schauen gerade, welche Fachhochschulen beider Länder zusammen arbeiten können, damit wir lernen, wie zum Beispiel die Fachhochschulen in Deutschland mit der regionalen Industrie verbunden sind, mit den Unternehmen, welchen Austausch es gibt und wie beide Seiten dabei gewinnen können“, berichtet Mitsos.
Ein großer Teil der Professorenschaft steht all diesen Reformen kritisch gegenüber. Bildungsministerin Diamantopoulou kann sich dennoch politisch auf eine nie dagewesene Mehrheit stützen. Nicht nur ihre eigene Partei, die Pasok, auch die Abgeordneten der konservativen Nea Dimokratia, der kleinen Demokratischen Allianz und der rechtspopulistischen Laos-Partei hatten ihrer Gesetzesvorlage zugestimmt. Nur die drei linken Oppositionsparteien KKE, Syriza und Demokratische Linke votierten dagegen. Deshalb ist Mitsos zuversichtlich, dass die Reform auch angesichts der politischen Turbulenzen von der Übergangsregierung und einer neuen Regierung, nach den Neuwahlen, getragen wird. „In den letzten 20 Jahren haben die Hochschulen überall in Europa sich alle mehr oder weniger in Richtung dieses Modells entwickelt“, begründet Mitsos. Und für den Weg, die bisher sehr geschlossenen Hochschulen nach außen zu öffnen, hatte sich Griechenland schon vor der Krise entschlossen.
Prof. Evgenia Burnova
„Selbstverwaltung wird abgewertet“
Evgenia Bournova leitet die Professoren-Gewerkschaft Posdep und erklärt, warum viele Hochschullehrer gegen das Gesetz Sturm laufen.
duz: Was kritisiert die Posdep an der Hochschulreform?
Bournova: Ein deutliches Manko ist das fehlende Gleichgewicht zwischen dem Hochschulrat, der künftig in allen Angelegenheiten – sowohl verwaltungstechnischen als auch akademischen – entscheidet sowie dem Präsidenten und dem Senat, die keine wesentliche Verantwortung mehr tragen, nicht einmal in klar akademischen Angelegenheiten, sondern nunmehr reine Exekutivorgane werden.
duz: Welche Probleme sehen Sie dabei?
Bournova: Das neue Verwaltungsmodell ist zentralistisch. Es beschränkt die demokratische Funktionsweise und wertet die akademische Selbstverwaltung innerhalb der Universitäten ab. Zudem sind die Sonderbefugnisse des Kanzlers ein Problem sowohl für dessen Beziehungen mit dem Lehrkörper als auch für das effektive Funktionieren der Hochschule. Für die Posdep ist es unter anderem von zentraler Bedeutung, das Institut zu erhalten als grundlegende ausbildende und akademische Einheit, die international einer anerkannten wissenschaftlichen Einrichtung entspricht, die Verantwortung für Bildung und Forschung trägt und natürlich auch über die entsprechenden Zuständigkeiten verfügt.
duz: Das Gesetz ist längst in Kraft. Gibt es noch Spielraum für Nachbesserungen?
Bournova: Wir versuchen mit Texten und Diskussionsveranstaltungen die verantwortlichen Politiker zu überzeugen, dass Änderungen in diesen substanziellen Fragen notwendig sind. Wir sind überzeugt davon, dass sich bei der praktischen Umsetzung der Reformen noch zeigen wird, dass nochmal interveniert werden muss.
Internet: http://www.ntua.gr/posdep
Griechenland im Blick
Griechenland im Blick
Hochschulen: Es gibt 24 Universitäten und 16 Fachhochschulen in Griechenland. Die meisten davon befinden sich im Großraum Athen. Private Hochschulen waren bislang nicht zugelassen, weil die Hochschulausbildung kostenlos war. Allerdings gibt es einige Niederlassungen ausländischer Universitäten, die nicht als eigenständige Hochschulen gelten.
Studierende: Die offizielle Zahl der Studierenden liegt bei etwa 340 000 und basierte bisher allein auf der Immatrikulation zu Studienbeginn. Mit der nun eingeführten Rückmeldepflicht wird die tatsächliche Zahl der griechischen Studierenden in Zukunft genauer erfassbar sein.
Die Ministerin
Die Ministerin
Anna Diamantopoulou: Die 52-jährige Bauingenieurin genießt als eine der wenigen Kabinettsmitglieder starken parteiübergreifenden Rückhalt. Seit Oktober 2009 ist sie Bildungsministerin. Bei der Bildung der Übergangsregierung im November 2011 stand ihr Posten nicht infrage.
Ihre Reformen: Diamantopoulou gilt als europafreundlich. Sie war von 1999 bis 2004 EU-Kommissarin. Die Basis für die Hochschulreform legte sie bereits 2007 als Bildungssprecherin der sozialdemokratischen Pasok.
DUZ Europa 10/2011 vom 02.12.2011