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Die Einzelkämpfer

Für Nischenfächer werden Einsparungen schnell zur Existenzkrise, und die Wissenschaftslandschaft droht ihre Vielfalt einzubüßen. Kooperation soll helfen, dass es nicht so weit kommt. Da es kleinen Fächern im Inland oft an Fachkollegen mangelt, gilt es, international nach Verbündeten zu suchen.

Das Büro der Rektorin besetzt, eine 16.000 Unterschriften starke Online-Petition, Proteste von Theaterexperten aus dem In­ und Ausland und zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen in der Stadt: In Leipzig ging es hoch her im Sommer 2014. Warum? Am Institut für Theaterwissenschaften sollten drei Professuren und zwei Mitarbeiterstellen im Jahr 2020 wegfallen – geopfert den Sparzwängen, die die sächsische Landesregierung der Universität auferlegt hatte. Schon für große Fächer wie Mathematik oder Rechtswissenschaften wäre das ein starker Einschnitt gewesen. Für ein kleines Fach wie die Theaterwissenschaften hätte es das Aus bedeutet.

Die Proteste waren erfolgreich, zwei Jahre später ist von der Untergangsstimmung nichts mehr zu spüren. „Es ist uns gelungen, aus einer Existenzkrise einen Neuanfang hinzubekommen“, sagt Institutsleiter Prof. Dr. Günther Heeg: Ab dem Wintersemester wird das Institut einen neuen Bachelor­ und einen Master­studiengang anbieten, dazu ein Jahr später den internationalen Masterstudiengang „Transcultural Theatre Studies“. Zudem soll im August ein neues Kompetenzzentrum Center of Competence for Theater (CCT) an den Start gehen und es sollen zwei Juniorprofessuren ausgeschrieben werden. 

Immer wieder neue Kämpfe

Nischenfächer wie die Theaterwissenschaften müssen an den Hochschulen immer wieder um ihre Existenz kämpfen. In der Mineralogie schrumpfte beispielsweise die Zahl der Professuren von 79 im Jahr 1997 auf 56,5 im Jahr 2015, in der Paläontologie von 60 auf 44,5, wie eine bundesweite Studie der Arbeitsstelle Kleine Fächer der Universität Mainz zeigt. Etliche Fächer wie die Niederlande-Studien, die Kanadistik, Christlicher Orient oder Vietnamistik sind bundesweit nur noch an einem Standort mit einer Professur präsent. Kürzungen werden in solchen Fällen zur Existenzbedrohung. Was tun, damit es nicht so weit kommt?

Eine Strategie liegt in der Vernetzung, doch wenn es im eigenen Land keine Verbündeten gibt, gilt es, in der Ferne zu suchen. Die Mainzer Arbeitsstelle hat die Chancen und Herausforderungen der Nischenfächer durch die zunehmende Internationalisierung untersucht; das Bundesforschungsministerium (BMBF) will die Studie Ende Juli veröffentlichen. Eines der zentralen Ergebnisse: „Die Fachgröße und die Größe der eigenen Scientific Community im Inland machen eine internationale Orientierung und Vernetzung geradezu notwendig“, heißt es in dem Bericht.

Ausschreibungen zielen an den Kleinen vorbei

Bürokratische Hürden

In der Praxis stößt die Ausrichtung auf internationale Kontakte aber auch auf Schwierigkeiten, etwa, wenn Wissenschaftler Anträge für EU-Forschungsprojekte stellen wollen. 86 Prozent der schriftlich Befragten machten „bürokratische Hürden“ insbesondere bei der EU-Förderung aus, sagt der Mainzer Projektleiter Prof. Dr. Uwe Schmidt. Den kleinen Fächern fehle eine hinreichende organisationale Infrastruktur, um große internationale Projekte durchzuführen, schreiben die Wissenschaftler in der Studie. In Fachbereichen und Fakultäten fänden sich kaum Unterstützungsstrukturen.

Hinzu kommt ein inhaltlicher Aspekt: Den thematisch breiten Schwerpunktsetzungen der EU-Forschungsförderung werden die spezialisierten Fragestellungen kleiner Fächer nicht immer gerecht. „Die EU-Förderung ist eher auf größere Cluster ausgerichtet“, sagt Schmidt. Viele kleine Fächer, die oft nur mit einer Professur ausgestattet seien, könnten dies nicht umsetzen. Deswegen sei es wichtig, unterschiedliche Formate der Forschungsförderung zu haben. „Diese könnten sich darin spiegeln, dass die Voraussetzungen an die Größe der Projekte und damit auch an die Anzahl der kooperierenden Partner angepasst werden“, erklärt er. Eine solche Anpassung der Formate würde auch dazu führen, dass der teilweise erhebliche Verwaltungsaufwand in EU-Projekten, dem in kleinen Fächern keine angemessene Infrastruktur gegenüberstehe, besser bewältigt werden könnte.

Förderung für den Nachwuchs

Aus dem Mainzer Befund hat das BMBF erste Konsequenzen gezogen: Es fördert künftig per annum bis zu zehn exzellente Nachwuchswissenschaftler in den kleinen Fächern in den ersten drei Jahren nach der Promotion mit einer eigenen Stelle und notwendigen Sachmitteln. Ab diesem Jahr gibt das Ministerium dafür bis 2018 insgesamt zehn Millionen Euro aus.

Dem Rektor der Universität Jena, Prof. Dr. Walter Rosenthal, werden diese Maßnahmen nicht weit genug gehen. Der Hochschulchef, dessen Universität die einzigen Professuren für Kaukasiologie und Rumänistik in Deutschland beherbergt, plädiert für eine Exzellenzinitiative der kleinen Fächer. Diese kämen weder bei den Förderprogrammen der EU noch in der Bund-Länder-Exzellenzinitiative richtig zum Zug, schrieb er im duz MAGAZIN 03/16. „Ein Wettbewerb, der kleine Fächer und deren Leistung angemessen anerkennen und fördern will, muss andere Ziele und Vergleichswerte als für die großen Fächer formulieren“, argumentiert er. Die Zahl der Publikationen, die Höhe der Drittmittel oder Anwendungs­aspekte könnten nur bedingt herangezogen werden, um die Forschungsqualität zu beurteilen. Mehr Wert solle man auf inhaltliche Qualität oder Originalität legen. Diese, so Rosenthal, könnten internationale Gutachter bewerten.

Leistungstark im Verbund

Sein Kollege Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, Rektor der Universität Freiburg, will das Licht der Nischenfächer nicht unter den Scheffel stellen. „Die kleinen Fächer sind ausgesprochen leistungsstark in Forschungsverbünden“, sagt er. 39 kleine Fächer hat die Universität Freiburg vorzuweisen. Ein Beispiel für ihre Forschungsstärke seien die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Freiburger Sonderforschungsbereiche „Helden-Heroisierungen-Heroismen“ und „Muße. Konzepte, Räume, Figuren“. Darin spielten Wissenschaftler kleiner Fächer „eine eminent wichtige Rolle“, so Schiewer. Um kleinen Fächern bei Anträgen und Verwaltung von Drittmittelprojekten zu helfen, hat Freiburg eine eigene Abteilung aufgebaut, die Freiburg Research Services.

Schiewer fordert, das neue EU-Rahmenprogramm zur Forschungsförderung ab dem Jahr 2020 solle Ausschreibungen bieten, damit kleine Fächer auf europäischer Ebene besser kooperieren können. „In Bereichen wie beispielsweise der Ukrainistik macht es Sinn, noch viel stärker die Kompetenzen aus anderen Regionen, in diesem Fall aus Osteuropa, zu bündeln“, sagt er.

Baden-Württemberg fördert

Schiewer hat weniger Grund zu klagen als andere Kollegen, weil in Baden-Württem­berg Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) Mitte Juni Empfehlungen einer von ihr eingesetzten Expertenkommission „Kleine Fächer“ folgte und einen extra Fördertopf einrichtete. Dieser soll mit einer Million Euro jährlich in den kommenden drei Jahren kleine Fächer fördern. „Kleine Fächer sind häufiger von personellen und materiellen Einsparungen betroffen und aufgrund ihrer geringen Größe schlechter sichtbar“, teilte Bauer mit. Um diese „strukturprekären Kompetenzen“ im Land zu sichern, bewilligte das Land in der ersten Ausschreibungsrunde sieben Anträge – vom Schülerlabor über eine Gastdozentur und ein Webinar hin zu einem Brückenkurs in der Geophysik.

„Kleine Fächer brauchen keinen Artenschutz, aber sie benötigen spezifische Steuerungsinstrumente“, erklärt Prof. Dr. Markus Hilgert, Altorientalist und Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, der die von Bauer eingesetzte Expertenkommission geleitet hat.

„Die Diskussion über den Abbau wissenschaftlicher Kompetenzen darf nicht isoliert geschehen, sondern muss davor passieren“, sagt Hilgert. Die Debatten darüber, an welcher Universität im Land im Falle eines Falles kleine Fächer zusammengestrichen oder im schlimmsten Fall gar ganz aufgegeben werden müssen, soll ein Zukunftsrat in die Hand nehmen, den Baden-Württemberg eingerichtet hat und dessen stellvertretender Vorsitzender Hilgert ist. Der Rat soll Landesuniversitäten und außer­universitäre Forschungseinrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archive sowie die Ministerien an einen Tisch bringen. Das Gremium soll zudem nicht nur die Umsetzung der Handlungsempfehlungen der Expertenkommission begleiten, sondern beteiligt sich auch an dem Auswahlverfahren der geförderten Projekte.

Vom Auslaufmodell soll keine Rede sein

Kooperation als Lösung

Auf mehr Kooperation setzt der frühere niedersächsische Wissenschaftsstaatssekretär Dr. Josef Lange, der in einigen Hochschulräten sitzt. „Auf Dauer wird ein kleines Fach nicht mit der Ein-Personen-Vertretung des Faches leben können“, sagt er. Notwendig sei eine hochschulübergreifende wissenschaftliche Perspektive und Kooperation, „die Einbeziehung des anderen“. Erfolgreiche Beispiele sind aus Langes Sicht etwa die Zusammenarbeit zwischen der Älteren Deutschen Literaturgeschichte an der Universität Mainz und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.

Sie richteten im Jahr 2014 eine Juniorprofessur ein, die je zur Hälfte Forschung und Lehre sowie wissenschaftlichen Input am Akademievorhaben „Mitteldeutsches Wörterbuch“ leisten soll. Ein anderes Beispiel sind von der Volkswagen-Stiftung geförderte Netzwerke. Mehr als 20 archäologische Institute haben sich zum Netzwerk „PONS-Archäologie“ zusammengeschlossen. In den nächsten vier Jahren fördert die Stiftung ein weiteres vergleichbares Netzwerk in zwölf geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern an der Universität Göttingen. „Die Rede von den kleinen Fächern als Auslaufmodell lässt sich durch Zahlen nicht allgemein belegen“, sagt Lange. Aber wenn ständig darüber geklagt werde, bestehe die Gefahr, dass sich die Prophezeiung auch erfülle.

Viel Zeit verloren 

In Sachsen muss es der Leipziger Universitätsleitung und dem Wissenschaftsministerium in Dresden erst nach den lautstarken Protesten gedämmert haben, dass ein Aus der Theaterwissenschaft wohl die falschen getroffen hätte. „Die öffentliche Empörung hat alle Beteiligten dazu gebracht, genauer hinzuschauen, denn die Leipziger Theaterwissenschaft ist national und international gut aufgestellt und hat ein sehr gutes Standing“, sagt Heeg. Ihn hat das Ringen nicht nur Kraft und Energie, sondern auch wertvolle Zeit gekostet. Das Buch über „Das transkulturelle Theater“, das er im Herbst veröffentlicht, hätte eigentlich bereits vor einem Jahr erscheinen sollen.

Wann ein Fach „klein“ ist

Wann ein Fach „klein“ ist

  • Professuren Als Höchstzahl gelten drei Professuren – ein Fach gilt als klein, wenn diese Zahl an nicht mehr als zwei Standorten überschritten wird.
  • Standorte Als klein kann ein Fach auch gelten, wenn es an höchstens zehn Prozent der Universitäten vertreten ist. 
  • Eigenständigkeit Gegenüber wissenschaftlichen Spezialgebieten grenzen sich kleine Fächer durch ihre Eigenständigkeit ab. Dazu gehören ein Selbstverständnis, eigene Professuren, ein eigenes Qualifikationsprofil, eigene Fachgesellschaften und Fachzeitschriften.
  • Studiengang Um als kleines, aber eigenständiges Fach zu gelten, sollte ein Fach eigentlich auch einen eigenen Studiengang haben; allerdings weicht dieser Zusammenhang nach der Bologna-Reform auf.
  • Arbeitsstelle Kleine Fächer Die Definitionen stammen von der Arbeitsstelle Kleine Fächer der Universität Mainz, die damit derzeit 119 kleine Fächer an Deutschlands Universitäten zählt.

Internationalisierung kleiner Fächer

Internationalisierung kleiner Fächer: Die neuesten Erkenntnisse

  • Studie Mitarbeiter der Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer haben für das Bundesforschungsministerium die „Chancen der Kleinen Fächer aus der Internationalisierung“ untersucht. Der Bericht soll bis Ende Juli veröffentlicht sein.
  • Stellenwert Kleine Fächer messen internationalen Kooperationen und der Teilnahme an internationalen Forschungsprojekten einen hohen Stellenwert bei – unabhängig von den jeweiligen Fächern, Fachkulturen und den beteiligten Universitäten. Die Mehrheit der Befragten spricht sich dafür aus, mehr ausländische Wissenschaftler an deutsche Universitäten zu locken.
  • Kooperation Internationale Kooperation bezieht sich vor allem auf Forschung. Dagegen spielt die Internationalisierung der Lehre und der Verwaltung eine deutlich geringere Rolle.  
  • Fachgegenstand Internationale Forschungsaktivitäten werden besonders relevant, wenn sich der Fachgegenstand im Ausland befindet.
  • Drittmittel Beliebtester Drittmittelgeber für Kleine Fächer ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Dahinter folgen DAAD, private Stiftungen, Akademien, der Bund und die EU. Weniger bedeutend sind die Bundesländer.
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