In weiter Ferne
Die Hochschule Jena will ihre Zusammenarbeit mit brasilianischen Universitäten und Forschungseinrichtungen ausbauen. Sie hofft, ihre Studenten für einen Aufenthalt in Übersee zu begeistern – kann sie aber kaum finanziell unterstützen.
„Und in Jene lebt sich’s bene / Und in Jena lebt sich’s gut“, heißt es in einem beschwingten Studentenlied aus dem 19. Jahrhundert. Es geht darin zugegebenermaßen weniger um hochschulpolitische Fragen als ums Feiern und die Qualität des Weines, der auf den Hügeln rings um Jena angebaut wird.
Gäste des Jenaer Studentenklubs Rosenkeller können sich davon überzeugen, dass sich, was die Fröhlichkeit des Studentenlebens angeht, seit damals gar nicht so viel geändert hat. Der 24jährige Taruãn Siqueira hat mit seinen Kommilitonen in den vergangenen Monaten so manchen Abend in den Kellergewölben des Klubs verbracht. Jetzt aber heißt es Koffer packen: Seine Zeit als Bachelorstudent der Elektro und Informationstechnik an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena geht zu Ende, der Brasilianer kehrt an seine Heimatuniversität Federal Fluminense in Niterói im Bundesstaat Rio de Janeiro zurück.
In seinem Jahr in Jena hat er nicht nur sein Deutsch verbessert, sondern auch die Atmosphäre der Stadt schätzen gelernt: Ein Viertel der rund 100 000 Einwohner sind Studenten. Taruãn Siqueira war einer von vielen internationalen Gästen an der EAH. Im Wintersemester 2015/16 kamen 13 Prozent der Studierenden aus dem Ausland. Noch fünf Jahre zuvor waren es nur fünf Prozent. Die EAH ist mit ihrem hohen Anteil internationaler Studenten in Thüringen ein Sonderfall. Im Schnitt wiesen die Fachhochschulen in dem Bundesland im Wintersemester 2014/15 laut Berechnungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung nur einen Ausländeranteil von etwas mehr als zwei Prozent auf.
Im Januar hat sich die EAH die Internationalisierung explizit auf die Fahnen geschrieben: In ihren Ziel und Leistungsvereinbarungen verpflichtet sie sich, bis 2019 die Quote studentischer Bildungsausländer weiterhin bei über zehn Prozent zu halten.
Der Standort der Hochschule dürfte sich dabei als hilfreich erweisen: In Jena sind Wissenschaft und Wirtschaft seit jeher eng verknüpft. Forschungsinstitute wie das Max-Planck- und das Leibniz-Institut, Firmen wie Zeiss, aber auch immer mehr junge Unternehmen ziehen internationale Studenten, Forscher und Geschäftsleute an. An der EAH wächst die Zahl der Brasilianer beständig; im Wintersemester 2015/16 waren 21 von ihnen an der Fachhochschule zu Gast. Nach Indern, Indonesiern, Chinesen und Türken stellten die Brasilianer die fünftgrößte Ausländergruppe dar.
Taruãn Siqueiras Aufenthalt in Jena geht nicht zuletzt auf die Beziehungen der Fachhochschule mit Brasilien zurück. Prof. Dr. Alexander Richter ist dafür zuständig, diese Kontakte auszubauen. Der EAH-Prorektor fliegt mindestens einmal im Jahr nach Brasilien, um die Zusammenarbeit mit dortigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken, die bisher vor allem auf den Austausch von Studenten beschränkt war.
Ende letzten Jahres war der Professor für Elektrische Messtechnik und Optoelektronik wieder dort: Im Dezember initiierte er eine Zusammenarbeit mit der Päpstlich Katholischen Universität São Paulo und besuchte Kooperationspartner in Rio de Janeiro und Porto Alegre. Der brasilianischen Weltraumbehörde Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE) konnte er die in Jena angebotene Weltraumelektronik-Ausbildung schmackhaft machen – und hat nun die Hoffnung, dass bald die ersten deutschen Studenten zum Praktikum ans INPE geschickt werden können.
Aber genau hier liegt ein Problem: Nur eine Handvoll deutscher EAH-Studenten bricht bislang nach Brasilien auf. Während brasilianische Studenten über das staatliche Regierungsprogramm „Ciência sem Fronteiras“ („Wissenschaft ohne Grenzen“) Reisekosten erstattet bekommen und ein relativ großzügiges monatliches Stipendium beziehen, sind die Fördermöglichkeiten für deutsche Studenten begrenzt.
„Wir leben unter Sparzwang“, sagt Richter. „Aus Eigenmitteln der Hochschule können wir zwar Hochschullehrer zur Kontaktpflege nach Brasilien schicken, an Messen teilnehmen und beispielsweise mit den Brasilianern eine Summer School organisieren. Was wir aber nicht leisten können, ist, Studierende beim Auslandsaufenthalt finanziell zu unterstützen.“
Das von Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) proklamierte Ziel, jeder zweite Student solle während des Studiums ins Ausland gehen, sei „für die EAH noch in weiter Ferne“, sagt Richter. Vom Wert der Internationalisierung ist er überzeugt. Sie sei gerade für Fachhochschulen bedeutsam, immerhin seien 60 Prozent der EAH-Studenten angehende Ingenieure.
„Die Märkte liegen oft außerhalb Deutschlands“
„Die Firmen hier vor Ort sind international ausgerichtet und haben ihre Märkte sehr oft außerhalb von Deutschland. Da ist es eine logische Konsequenz, dass wir Absolventen für einen Markt ausbilden wollen, der zwar in der Region verwurzelt, aber international ist“, sagt Prorektor Richter.
Generell ist es für einen angehenden Ingenieur keine schlechte Idee, Portugiesisch zu lernen. Immerhin ist Brasilien Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. Es gibt mehr als 1300 deutschbrasilianische Unternehmen in dem Land, São Paulo ist mit etwa 900 deutschbrasilianischen Unternehmen einer der weltweit wichtigsten deutschen Wirtschaftsstandorte.
Damit sich die Studierenden der EAH für ein Auslandsstudium begeistern, setzt die Hochschule auf Gaststudenten. „Man studiert gemeinsam, hilft bei einem Tutorium für Neuankömmlinge und feiert zusammen. So fangen die hiesigen Studenten an, sich für die jeweiligen Länder zu interessieren“, beschreibt Richter die Austausch-Idee.
Was das bedeutet, hat Taruãn Siqueira in Thürigen erlebt. Über seinen Aufenthalt dort ist er ziemlich begeistert: „Jena ist zwar klein, aber eine echte Studentenstadt, die sehr lebhaft ist.“ Und das klingt dann fast schon wie: „Und in Jene lebt sich’s bene.“
Hochschule Jena
Hochschule Jena
Geschichte: Am 1. Oktober 1991 wird die Fachhochschule Jena als erste FH in den neuen Bundesländern gegründet. Seit 2012 ist sie nach dem Physiker, Optiker und Sozialreformer Ernst Abbe benannt.
Struktur: In neun Fachbereichen werden Studiengänge in den Ingenieurwissenschaften, der Betriebswirtschaft und im Sozial- und Gesundheitswesen angeboten. Die Bandbreite reicht von Optotechnologie über E-Commerce bis hin zur Hebammenkunde.
Zahlen: Im Wintersemester 2015/16 studieren 4682 Frauen und Männer an der Ernst-Abbe-Hochschule; 13 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland. Unterrichtet werden sie in 124 Labor- und Übungsräumen, 7 Hörsälen und 52 Seminarräumen.
DUZ Magazin 08/2016 vom 22.07.2016