Duo an der Spitze
Geteilte Arbeit, doppeltes Engagement: Jobsharing bringt viele Vorzüge, ist aber in Führungsetagen der deutschen Wissenschaft kaum zu finden. Vorherrschend scheint, allein Einzelleistungen zu zählen. Dabei gibt es vor allem unter jüngeren Forschern starkes Interesse an dem Modell.
Wer im Department Chemie der Universität zu Köln die Leitung der Abteilung Nuclear-Magnetic-Resonance (NMR) sprechen möchte, hat die Wahl zwischen Dr. Nils Schlörer und Dr. Dolores Díaz Hernández: Nils Schlörer erreicht man von Montagmorgen bis Mittwochmittag, Dolores Díaz Hernández von Mittwochmittag bis Freitagnachmittag. Gemeinsam managen die Chemiker die Abteilung für Strukturanalyse von Molekülen – sie arbeiten zu je 50 Prozent. Beide sind auf die Charakterisierung von Molekülen spezialisiert und ergänzen sich seit August 2014 im Büro und in den Lehrveranstaltungen fachlich perfekt als Jobsharing-Paar. Obendrein sind die beiden ein Ehepaar.
Exotenstatus in der Arbeitswelt
Im Grunde sind der Deutsche Schlörer und die Spanierin Díaz Hernández ein Wissenschaftlerpaar wie viele andere in Europa – und dennoch Exoten: So gut wie niemand macht als Führungskraft in der Wissenschaft Jobsharing. Nach etlichen Lehr und Wanderjahren als Doktoranden und Postdocs in Deutschland, den USA und Spanien, nach Pendlerjahren zwischen Köln und Madrid als Ehepaar und Eltern zweier kleiner Kinder bot die Uni zu Köln ihnen diese Lösung an.
Damit betrat die Hochschule Neuland: Im Rahmen ihres Exzellenzkonzepts entwickelte sie das Modellprojekt Jobsharing für Führungskräfte aus Verwaltung, Wissenschaft und Technik. Das Ehepaar war das erste Paar, das es nutzen konnte, als die Uni damit an ihre Mitarbeiter herantrat. „Exzellenz bemisst sich nicht nur an Kernprofilbereichen und Kompetenzfeldern“, sagt die Kölner Prorektorin Prof. Dr. Manuela Günter, „sondern auch daran, inwieweit eine Hochschule in der Lage ist, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die notwendigen Rahmenbedingungen für exzellente Forschung und Lehre bereitzustellen.“ Das Hauptaugenmerk gilt dabei der besseren Vereinbarkeit von Job und Familie. Noch immer leisten Frauen das Gros der Familienarbeit, sei es Kinderbetreuung oder Angehörigenpflege. Das Jobsharing-Angebot der Uni Köln dient deshalb auch als Instrument der Gleichstellung.
Generation mit neuen Präferenzen
Laut aktuellem Führungskräfte-Monitor vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und einer Meinungsumfrage der auf Jobsharing spezialisierten Vermittlungsagentur Tandemploy sind immer mehr Führungskräfte offen für Teilzeit und Jobsharing oder wünschen sich dies sogar. Hier macht sich möglicherweise bemerkbar, dass die nachrückende Generation Y deutlich mehr Wert auf eine stimmige Work-Life-Balance legt und weniger Interesse an einer Turbo-Karriere hat als vorangehende Generationen.
Das ist in der Wissenschaft nicht anders: Der Blog „Wissenschaft und Familie“ der Jungen Akademie legt deutlich Zeugnis ab von der Frustration, die unter jungen Wissenschaftlern – Männern wie Frauen – herrscht: Vor allem die von Konkurrenz bestimmte Qualifizierungsphase und mangelndes Verständnis von Vorgesetzten machen Teilzeit nahezu unmöglich, berichten die Blogger. Es verwundert also nicht, dass im Wissenschaftsbereich Jobsharing unter Führungskräften noch eine Einzelerscheinung ist.
Mehr Zeit für die Forschung
Nils Schlörer von der Uni zu Köln ist erleichtert, dass Jobsharing möglich ist: „Ich wünschte, das hätte es schon vor Jahren gegeben – uns wären viel Organisationsstress und viele tausend Flugkilometer erspart geblieben. Das Arbeitsmodell ermöglicht uns endlich ein entspanntes, nicht komplett durchgetaktetes Familienleben.“ Zwar verfügt die Familie nun insgesamt über weniger Einkommen, spart aber durch den gemeinsamen Haushalt. „Und seien wir ehrlich: Wer engagiert in der Wissenschaft arbeitet, für den spielt der finanzielle Aspekt eher eine untergeordnete Rolle“, sagt Schlörer, der zuvor die Abteilungsleitung allein innehatte.
Neben der Kinderbetreuung nutzt er die übrige freie Zeit nun für seine Forschung, die beim Vollzeit-Job zu kurz kam. Für seine Frau Dolores Díaz Hernández ist das Jobsharing ebenfalls ein Gewinn, wenn auch bislang hauptsächlich aus privaten Gründen. Sie gab dafür eine unbefristete Vollzeitstelle an einem Forschungsinstitut in Madrid auf und tauschte diese gegen eine Stelle ein, in der sie sich hauptsächlich mit administrativen Aufgaben beschäftigt: „Als Forscherin ist das für mich zunächst ein Schritt zurück. Denn in Madrid habe ich in einem Umfeld gearbeitet, in dem ich mich auf meine eigenen Forschungsvorhaben konzentrieren konnte.“ Auch habe sie große Bedenken gehabt, als „Eindringling“ betrachtet zu werden, sagt sie: „Ich glaube, einigen Kollegen war am Anfang nicht klar, dass der Schritt, die Führungsposition zu teilen, von mir und meinem Mann beidseitig gewünscht und somit freiwillig war.“
Positive Resonanz
Seit 2014, dem offiziellen Start des Projekts für Führungskräfte-Jobsharing, das sich nicht nur an Paare, sondern an alle Arten von Jobsharing-Tandems richtet, hat es an der Uni zu Köln Anfragen von rund einem Dutzend Interessenten-Tandems gegeben. Bislang wurde jedoch erst eines umgesetzt – obwohl das Konzept offenbar gut ankommt. „Die meisten Kollegen nehmen unser Jobsharing mittlerweile positiv wahr“, sagt Nils Schlörer, „es gab schon etliche interessierte Nachfragen.“
Auch eine Bewerbung von Professoren sei ausdrücklich erwünscht, sagt Anja Depner, Leiterin des Modellprojekts und Gender & Diversity-Beraterin der Hochschule. Wollen sich zwei Wissenschaftler eine Professorenstelle teilen, sind jedoch noch viele weitere Bedingungen zu beachten. „Nur einer der beiden Wissenschaftler kann im Rahmen der geteilten Professur verbeamtet werden. Der andere wäre dann ein Angestellter“, erläutert Depner. Hier gelte es, Regelungen zu finden, die den nicht verbeamteten Jobsharer hinsichtlich der Belastung durch Sozialabgaben und spätere Altersversorgung nicht deutlich ungünstiger stellen als den verbeamteten Sharingpartner.
Auch Dr. Veronika Lipphardt, seit Herbst 2015 Professorin für Wissenschafts- und Technikgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und davor Nachwuchsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, hätte vor ein paar Jahren gerne eine Professur geteilt. „Ich habe eine Kollegin, die zu einem ganz ähnlichen Thema forscht wie ich und mit der ich mich auch sonst hervorragend verstehe“, sagt Lipphardt, die auch den inzwischen beendeten Wissenschaft-und-Familie-Blog der Jungen Akademie koordiniert hat, „da wir beide recht exotische Themen vertreten, wäre das eine tolle Chance gewesen, gemeinsam als Postdocs einen neuen Bereich in den Geschichtswissenschaften zu besetzen und sich vielleicht als Professorinnen zu etablieren.“ Am Ende entschied sich die Kollegin jedoch für einen anderen Berufsweg.
Heute, mit Blick auf ihre Erfahrungen der vergangenen Jahre, sagt die Historikerin Lipphardt: „Es gilt allgemein als schwierig bis unmöglich, als Nachwuchsgruppenleiterin oder Juniorprofessorin in Teilzeit oder Jobsharing zu arbeiten. Denn es geht in dieser Zeit darum, sich einen Namen zu machen – möglichst durch Einzelleistungen, nicht im Doppelpack.“ Sie befürchtet, dass sich dies im deutschen Wissenschaftssystem nicht so bald ändern werde; die Konkurrenz um Professuren oder andere attraktive Leitungspositionen sei einfach zu groß. Als Mutter von zwei kleinen Kindern hätte sie ihre Arbeitszeit zumindest temporär gerne reduziert. Teilzeit werde meistens mit „nicht ambitioniert“ gleichgesetzt, sagt Lipphardt: „Es gilt die Devise ‚ganz oder gar nicht‘ – und das bekommt man von den Kollegen auch deutlich zu spüren.“
Stabwechsel
Dabei gibt es auch für die Wissenschaft interessante Optionen in Sachen Jobsharing. Eine davon wird auch in der Wirtschaft praktiziert: Ein Professor, dessen Emeritierung absehbar ist, arbeitet in Altersteilzeit. Ein junger, fachlich passender Kollege übernimmt 50 Prozent der Professur, arbeitet die übrige Zeit möglicherweise noch anderenorts und wächst in die Professur hinein, um sie am Ende komplett zu übernehmen. Dr. Hubert Detmer, Justiziar beim Deutschen Hochschulverband, kann dieser Idee einiges abgewinnen – auch als Mittel der Nachwuchsförderung.
„Durch Jobsharing einen Stabwechsel vorzubereiten, wäre außerdem eine kluge und sicherlich effektive Form des Wissensmanagements an Hochschulen“, sagt er. Und: „Dass es in Deutschland nur wenige Einzelfälle geteilter Professuren gibt, heißt nicht, dass es keinen Bedarf gäbe.“ Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Konzepts sieht er allerdings auch: „Es könnte in einigen Bereichen der Wissenschaft schwierig werden, passgenaue Jobsharing-Paare zu finden.“
Bislang scheint es noch keine Nachahmer des Kölner Modells zu geben. Als Anja Depner vor einiger Zeit an einer internationalen Tagung zum Thema Jobsharing in der Wissenschaft teilnahm, war sie die einzige Vertreterin einer deutschen Hochschule. Doch Meinungsumfragen an der Uni zu Köln bestärken die Hochschule in ihren Plänen: „Wir suchen einen Weg der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der uns nicht stigmatisiert“, heißt es da. Das klingt nach einer klaren Ansage.
Jobsharing
Jobsharing
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Laut Führungskräfte-Monitor des Deutschen Instituts für Wirtschaft würden die meisten Führungskräfte, die Vollzeit arbeiten, ihre Arbeitszeit gerne verkürzen um sieben bis acht Stunden pro Woche.
Internet: http://tiny.cc/fzd88x -
Die Jobsharing-Agentur Tandemploy hat 2013 eine nicht repräsentative Erhebung unter Unternehmern und Arbeitnehmern durchgeführt: Bei 20,4 Prozent der Unternehmen in Deutschland ist das Teilen einer Stelle schon Praxis.
Internet: http://tiny.cc/l6d88x
Literatur: Susanne Broel: Chefposten für zwei? JobSharing für Führungskräfte. Diplomica Verlag, Hamburg 2013, 132 Seiten, 44,99 Euro.
Prof. Dr. Thomas Ellwart
„Mehr Mut, Angebote zu schaffen“
Über Chancen und Zukunft von Jobsharing spricht Prof. Dr. Thomas Ellwart, Leiter der Abteilung Wirtschaftspsychologie an der Universität Trier:
duz: Wird Jobsharing in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen?
Ellwart: Ja. Zum einen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber auch der Aspekt „Altersübergang“ ist wichtig: Ich halte es für ein starkes Modell, wenn Erfahrungen und Kompetenzen im Rahmen eines Jobsharings von älteren Mitarbeitern, die sich peu à peu in den Ruhestand zurückziehen wollen, auf nachrückende jüngere Führungskräfte übergehen. Das ist praktiziertes Wissensmanagement. Hilfreich sein könnte das Konzept außerdem in der Personal und Organisationsentwicklung: Wenn beispielsweise neue Bereiche in einem Unternehmen etabliert werden und zwei Mitarbeiter in die Leitung dieses Bereichs hineinwachsen sollen.
duz: Bedeutet Jobsharing automatisch „Arbeiten in Teilzeit“?
Ellwart: Nein, es gibt verschiedene Modelle. Gerade im letztgenannten Fall ist es so, dass die beiden Mitarbeiter oft noch in einer anderen Position im Unternehmen arbeiten. Allen gemeinsam ist, dass es sich meistens um zeitlich begrenzte Lösungen handelt.
duz: An deutschen Hochschulen ist Jobsharing in Führungspositionen unüblich. Lässt sich eine Professur tatsächlich nicht teilen?
Ellwart: Inhaltlich ließe sich das realisieren – vorausgesetzt, die fachlichen Profile passen zueinander. Außerdem verbringt man als Führungskraft nur einen gewissen Teil seiner Arbeitszeit mit klassischen Führungsaufgaben wie Mitarbeitergesprächen, Gremien und Teamsitzungen. Jobsharing wäre also auch unter diesem Aspekt machbar. Die Schwierigkeit sehe ich in verwaltungstechnischen und juristischen Rahmenbedingungen einer Professur. Wir haben in Deutschland – anders als in Ländern, wo Professoren keine Beamten sind – sehr starre Vorgaben. Deshalb könnte es personalrechtlich sehr kompliziert werden. Auch bei Akademischen Räten stelle ich es mir schwierig vor: So viele verschiedene Gremien müssten dazu angehört werden, dass Jobsharing wohl aufgrund des langen Weges durch die Instanzen in den meisten Fällen nicht umgesetzt werden würde.
duz: Gibt es dennoch Bereiche, wo sich Jobsharing in der Wissenschaft anbieten würde?
Ellwart: Für Funktionsstellen wie etwa die eines Dekans wäre Jobsharing sicherlich gut geeignet: Zwei Professoren-Kollegen, die innerhalb der Fakultät gut miteinander harmonieren, könnten sich die Position teilen. Auf diese Weise könnten in der Verwaltung effizient arbeitende Teams entstehen, die sich die oft zeitraubenden bürokratischen Aufgaben teilen.
duz: Wie sieht es bei Führungskräften im sogenannten Mittelbau aus?
Ellwart: Bei den nach dem Tarifrecht bezahlten TVL-Stellen wäre Jobsharing wahrscheinlich unkomplizierter machbar, weil die Stellenprozente leicht teilbar sind. Schon jetzt arbeiten im Mittelbau viele Teilzeitkräfte. Ich wünsche mir von den Verantwortlichen mehr Mut, dort Jobsharing-Angebote zu schaffen. Und ich glaube, dass das in diesem Bereich der Wissenschaft tatsächlich gut angenommen würde.
Die Fragen stellte Mareike Knoke.
DUZ Magazin 06/2016 vom 27.05.2016