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Ein Navi für den Hörsaal

Wenn Dozenten etwas aus ihnen lernen können, dann sind Lehrevaluationen hilfreich. Anschließende Beratungsgespräche wären sinnvoll, findet ein Professor der Universität Gießen. Und stellt Handlungsempfehlungen ins Intranet.

Ich bin davon sehr angetan“, sagt der Gießener Sportwissenschaftler Dr. Christian Pilat über das bundesweit einzigartige Angebot. Dem 33­Jährigen geht es so wie vielen Dozenten aus dem Mittelbau. Er hatte bislang nie Zeit, sich hochschuldidaktisch weiterzubilden. Die Mitarbeit in Projekten, die Promotion und die Arbeit am Fachbereich gingen vor. „Jeder ist so stark ausgelastet, dass man diesem Bereich recht wenig Aufmerksamkeit schenkt“, räumt der Nachwuchswissenschaftler ein.

Seit 2014 ist er nun Lehrkraft für besondere Aufgaben mit 16 Semesterwochenstunden an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dass er seit wenigen Monaten zu den 100 Lehrenden zählt, die per Zufallsstichprobe ausgewählt wurden, um das Lehrveranstaltungsevaluations-Navi zu prüfen, kommt ihm gerade recht. Darüber kann er sich nämlich, orientiert an den eigenen Schwächen und Interessen, informieren, wie er seine Lehre verbessern könnte. Seine Werte bei der Veranstaltungsevaluation seien zwar sehr gut gewesen, berichtet der Sportwissenschaftler, aber er wolle den Studierenden besseres Feedback geben, und so sammelte er Ideen des Lehr­Navis, das er für praktisch, umfangreich und vielseitig hält. Auch gefällt es ihm, dass wissenschaftlich erläutert wird, welche Rolle die verschiedenen Aspekte im Lernprozess spielen.

Nicht nur evaluieren, Lehre auch verbessern

Erfinder des Lehrveranstaltungsevaluations-Navis, kurz LVE-Navi, ist Dr. Jan Ulrich Hense, der an der Uni Gießen die Professur für Hochschuldidaktik und Lehr­evaluation innehat. Für mehr als 20 Evaluationsprojekte zeichnet der Psychologe verantwortlich. 2014 hat ihn der Qualitätspakt Lehre des Bundesforschungsministeriums von München nach Gießen verschlagen, wo seine Professur am Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft der Universität Gießen eingerichtet wurde. Die Hochschuldidaktik mit der Lehrevaluation zu verknüpfen, sei wichtig, betont Hense. Denn die meisten Universitäten seien zwar sehr gut darin, die Qualität ihrer Lehre zu prüfen. „Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen Evaluation und den Konsequenzen.“ So führe die bloße Rückmeldung von Evaluationsergebnissen nämlich nicht zu einer Verbesserung der Lehre: „Im Einzelfall passiert das, aber in der Breite zu wenig“, konstatiert Hense, der selbst meist in Projektseminaren lehrt.

An dieser Stelle setze das Navi für Gießener Lehrkräfte an, und das, ohne dass Druck aufgebaut werde. Schließlich gebe es auch viele Dozenten, die durchaus wüssten, wo sie Defizite haben, berichtet der Psychologe. „Aber sie wissen oft nicht, welche Konsequenzen sie daraus ziehen müssen, um besser zu werden“, fährt er fort. Entwickelt hat Hense das Navi für die Lehre gemeinsam mit der wissenschaftlichen Hilfskraft am Fachbereich, Nastasia Sluzalek. Als Vorbild diente ihnen der australische Psychologe Professor Dr. Herbert Marsh, der zeigen konnte, dass sich die pädagogischen Fähigkeiten von Professoren tatsächlich verbessern, wenn es nach der Evaluation ein Beratungsgespräch gibt. Jeden Dozierenden zu beraten, dazu reichen die Ressourcen an deutschen Massenuniversitäten aber nicht aus. Deswegen bieten die Mittelhessen eine digitale Beratung im Intranet an. „Wir hoffen, dass wir damit ähnliche Ergebnisse erzielen“, sagt Hense.

Und so funktioniert das Navi: Nach der Veranstaltungsevaluation erhalten die beteiligten Lehrkräfte – etwa 1000 pro Semester – einen Bericht über ihre Ergebnisse. Nach 25 Unterpunkten gegliedert bewerten die Studierenden darin, wie gut sie Konzept, Lehrmaterialien, Zeitmanagement, Vorbereitung, Aufbereitung, Rückmeldungen und menschlichen Umgang des Dozierenden fanden.

Zudem erhalten die Lehrkräfte eine Einladung zum LVE-Navi, das zu jedem einzelnen Punkt konkrete Verbesserungsvorschläge macht. Empfohlen wird, sich möglichst nur drei, höchstens fünf Bereiche vorzunehmen. Die Wahl kann die Lehrkraft selbst treffen. „Man muss auch nicht überall einen hohen Wert haben“, erläutert Hense: „Schwächen können mit Stärken ausgeglichen werden.“ Es solle nur nicht zu große Ausreißer nach unten geben.

Ein Beispiel: Ein Professor möchte seine Veranstaltungen interessanter und anregender gestalten. Zu den praktischen Tipps gehört der Rat, vor allem auf den Anfang und das Ende einer Veranstaltung zu achten („besonders erfolgskritisch“). Geeignet sei der Start mit aktuellen oder kontroversen Themen. Visuelle Elemente wie Grafiken und Anschauungsobjekte, eventuell zunächst unter einem Tuch versteckt, sorgten für Aufmerksamkeit. Überlegenswert sei, Gastredner einzuladen, Gruppendiskussionen zu fördern, Interessen zu erfragen. Denkbar sei, über umstrittene Statements abstimmen zu lassen, um Kontroversen sichtbarer zu machen. Weitere Informationen, die dieser Professor erhält, sind lehr­lern­theoretische Erläuterungen sowie Aussagen von Lehrenden und Studierenden.

Nastasia Sluzalek hat dafür Interviews mit Hochschülern sowie mit erfahrenen Professoren der Universität geführt. Einer der Lehrenden rät: „Für eine interessante Gestaltung ist es sinnvoll, möglichst viele Methoden auszuprobieren. Es kann sein, dass etwas schiefgeht, aber daraus lernt man ja auch.“ Und die Studenten schildern, dass sie auch gern persönliche Geschichten der Dozenten erfahren, etwa Berichte über deren Forschungsreisen. Abschließend wird dieser Professor über die thematisch zu seinem Anliegen passenden hochschuldidaktischen Angebote informiert. Ähnliche Verbesserungsvorschläge gibt es für mehr als 20 weitere Themen, die sich unter anderem dem Einsatz von Medien widmen, dem generellen Umgang mit Teilnehmern und dem Formulieren von Rückmeldungen an die Beitragenden, aber auch dem Umgang mit Störern.

Die ersten Reaktionen aus der Hochschule sind positiv: „Glückwunsch zum LVE­Navi!“, schreibt ein Dozent. „Ein echter Fortschritt“, lobt ein anderer.
Zum Ende des Sommersemesters soll das Projekt allen Lehrenden der Universität Gießen zur Verfügung stehen. Bereits jetzt gibt es großes Interesse anderer Hochschulen.
Die Tipps, Tricks und Strategien seien natürlich „keine Sensationen“, sagt Professor Dr. Jan Ulrich Hense. Sie passten auch nicht auf jeden Fachbereich und jede Veranstaltung in gleicher Weise. Aber es handele sich um ein niederschwelliges anonymes Angebot, „um die nächsten zehn Prozent der Lehrenden abzuholen“.

Das Projekt

Das Projekt

Idee und Konzept: Bei dem Lehrveranstaltungsevaluations-Navi handelt es sich um ein online-gestütztes Selbstlernsystem, das als Brücke zwischen Lehrveranstaltungs­evaluation und Hochschuldidaktik fungiert. Die Idee stammt von dem Gießener Professor Dr. Jan Ulrich Hense.

Budget: Über eine halbe wissenschaftliche Hilfskraftstelle wird die Navi-Entwicklung ein Jahr lang durch Landesmittel zur Qualitätssicherung von Studium und Lehre finanziert. Daran beteiligt sind neben Professor Dr. Jan Ulrich Hense auch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ansprechpartner: Professor Dr. Jan Ulrich Hense, Tel. 0641-9926400, jan.hense@psychol.uni-giessen.de, Nastasia Sluzalek, Tel. 0641-9926408, nastasia.sluzalek@psychol.uni-giessen.de

Internet: http://tinyurl.com/zbjobse

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