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Strukturhilfe zur Digitalisierung an Hochschulen

Big Data hat längst auch die Wissenschaft erreicht. Doch wie wirkt sich das Sammeln von Daten eigentlich intern auf die Hochschulen aus? Welche ungeahnten Herausforderungen hinter neuen Datenprojekten stecken können und wie wichtig dabei der Aufbau transparenter Strukturen ist, zeigt ein Beispiel aus der Technischen Universität Darmstadt. Von Waltraud Sennebogen

Die Technische Universität (TU) Darmstadt will seit zehn Jahren als gelungenes Beispiel für die Umsetzung von Hochschulautonomie in gelebte Praxis verstanden werden. Sie musste und muss sich deswegen besonders intensiv mit den Folgen der Digitalisierung für die Steuerung von Hochschulen auseinandersetzen. Entscheidungen fallen auch in Darmstadt nicht einfach vom Himmel, sie werden gefällt. Und sie müssen verantwortet werden, nach innen und nach außen. Womit aber lassen sich Entscheidungen vorbereiten, argumentativ begründen und gegebenenfalls hinterfragen – wenn nicht auf einer sachlichen Ebene und auf der Basis von Daten und Fakten? All diese Daten und Informationen stammen aus dem fast schon überreichen Angebot an statistischem Material, das im Zuge der Digitalisierung an Hochschulen und Universitäten zur Verfügung steht.

Ob Ratings, Rankings oder Statistiken: Die Uni muss permanent Daten liefern

Wie an vielen anderen Hochschulen auch begleitet an der TU Darmstadt ein Campus-Managementsystem den gesamten studentischen Lebenszyklus von der Einschreibung bis zum Studienabschluss. Auch Personal-, Finanz- und Drittmittelverwaltung sind ohne IT-Unterstützung schon lange nicht mehr denkbar. Die Universität unterliegt permanent der Pflicht, Berichte zu verfassen: Sie beliefert diverse Ratings und Rankings und sowie statistische Ämter, sie erstellt Jahresabschlüsse, Rechenschafts- und Fortschrittsberichte.

An Daten herrscht auch in Darmstadt also kein Mangel – an Speicherplatz auch nicht. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, für den jeweiligen Zweck die richtigen Daten zu finden und alles klar strukturiert und verständlich aufzubereiten. Seit einigen Jahren läuft dies in Darmstadt zunehmend zentralisiert: Ein Strategisches Controlling im unmittelbaren Umfeld des Präsidenten leistet einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau eines transparenten Berichtswesens der Universität. Die Hauptaufgabe der derzeit vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Controlling-Teams besteht im Liefern von Kennzahlen und Daten zur Steuerung der Universität; wichtige interne Zielgruppen dabei sind Präsidium, Zentralverwaltung, Fachbereiche. Schwerpunkte der Arbeit des Strategischen Controllings sind beispielsweise Budgetierung, Daten für institutionelle Evaluationen von Fachbereichen oder auch das Erledigen fallbezogener Anfragen.

Während es für die meisten Datenlieferungen einigermaßen klar definierte Prozesse gibt, sind die fallbezogenen Anfragen eine besondere Herausforderung. Sie drehen sich immer wieder um sehr ähnliche Themen: die Entwicklung von Studierenden- und Absolventenzahlen etwa, Forschungskerndaten oder auch Personal und Finanzen, meist noch mit Blick auf Nachbaruniversitäten, das Land oder den Bund.

Zunächst einmal gilt es bei Anfragen herauszufinden, wofür die Daten bestimmt sind. Ein guter strategischer Controller hakt gerne mal nach: „Welche Daten möchten Sie genau? Wofür brauchen Sie das?“ Das unterscheidet ihn vom reinen Statistiker. Beispielsweise kann die scheinbar einfache Frage „Wie viele Studierende haben wir?“ so gleich mehrere Nachfragen erzeugen: „In Ihrem Fachbereich oder an der Universität? Mit oder ohne Beurlaubte? Mit oder ohne Promotionsstudierende?“ Dieses Nachhaken kann anstrengend für beide Seiten sein; es ist aber nötig, um sicherzustellen, dass eine aussagekräftige und verwendbare Zahl geliefert wird.

Sehr häufig werden auf scheinbar ein und dieselbe Frage unterschiedliche Antworten gegeben – je nachdem, wer an der Universität gefragt wird. Deshalb wird an der TU Darmstadt seit einigen Jahren aktiv am Aufbau einer einheitlichen Datenbasis gearbeitet. Dieser sogenannte „single point of truth“ wird im Zuge eines Data Warehouse Projekts realisiert. Das Projekt berücksichtigt die strategischen Bedarfe von Hochschulleitung, Dezernaten, zentralen Einrichtungen und Fachbereichen sowie den erhöhten Datenbedarf externer Empfänger. Nicht alle Informationen, die zum Beispiel im Campus-Management gespeichert sind, finden sich auch im Data Warehouse. Ins Data Warehouse kommen nur qualitätsgesicherte Daten, die zu bestimmten Stichtagen gezogen und eingespielt werden.

Einbindung aller Akteure

Um die Akzeptanz und breite Verankerung in der Universität frühzeitig sicherzustellen, mussten beim Aufsetzen der Data-Warehouse-Projektstruktur die Interessen zahlreicher Akteure berücksichtigt werden. Teil des Projektteams waren daher neben dem fachlich federführenden Controlling-Team und dem jeweils betroffenen Dezernat auch Mitarbeiter des Hochschulrechenzentrums, Vertreter der Fachbereiche aus dem Kreis der Geschäftsführer sowie ein externes Beratungsunternehmen. Auch Personalrat, Datenschutz­ und Frauenbeauftragte wurden mit eingebunden. Informationen zum Projekt wurden in verschiedenen Gremien der Universität und auf der Webseite des Strategischen Controllings veröffentlicht. Den notwendigen Rückhalt auf der Führungsebene der Universität garantierte ein Kreis unter dem Vorsitz des Kanzlers mit dem Leiter des Hochschulrechenzentrums, dem zuständigen Vizepräsidenten sowie einem Dezernenten.

Neue Strukturen, neue Möglichkeiten

In der ersten Projektphase des Darmstädter Data Warehouse wurden die Daten aus den Bereichen Studierende und Absolventen integriert. Das Data Warehouse ersetzt weder das bereits bestehende Campus-Managementsystem, noch doppelt es dieses: Es nutzt vielmehr die daraus gewonnenen Daten für andere Zwecke, interpretiert sie in anderen Kontexten und bringt sie mit weiteren Daten in Verbindung – insbesondere mit den Referenzdaten des Statistischen Bundesamtes. Ins Data Warehouse wurden stichtagsbezogene Studierendendaten eingespielt, mit denen sich strategisch interessante Fragen beantworten lassen: Wie haben sich etwa die Studierendenzahlen in den vergangenen zehn Jahren in Hessen enwickelt? Wie hoch ist der Frauenanteil in bestimmten Studienfächern im Bundesvergleich?

Entscheidungen auf Leitungsebene

Um die Funktionalität des Data Warehouse zu gewährleisten, waren Schritte wie die technische Umsetzung oder die Integration des Systems in die bestehende IT-Landschaft unerlässlich. Als weiterer Kern der Projektarbeit kristallisierte sich rasch ein ganz anderer Aspekt heraus, der auf den ersten Blick wenig mit Digitalisierung zu tun hat: der Beitrag des Data-Warehouse-Projekts zur Organisationsentwicklung und zur Steuerung der TU Darmstadt. Die Darmstädter Hochschulleitung wünschte sich nämlich sinnvoll aufbereitete Daten zur Unterstützung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, strukturellen Entscheidungsprozessen und für die strategische Positionierung der Universität im hochschulpolitischen Wettbewerb.

Hinter diesem Wunsch steckt das Ziel, transparente und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. Zahlen und Daten können Hintergrundinformationen liefern und einen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten, aber sie können Sachargumente und intensive Diskussionen nur begleiten. Und ebenso wie Argumente sind Zahlen kritisch zu prüfen und zu hinterfragen; ihre Bedeutung will verhandelt sein. Monokausale Erklärungen und hastig zusammengeschusterte Totschlagargumente werden davon nicht besser, dass sie aus Zahlen und nicht aus Buchstaben bestehen.

Zahlen können allenfalls ein Hinweis sein, dass Handlungsbedarf besteht

Zahlen richtig interpretieren

Schafft man einen Masterstudiengang einfach ab, weil sich in den letzten fünf Jahren immer nur zehn oder zwanzig Studierende dafür interessiert haben – obwohl damit gerechnet wurde, dass das neue und innovative Angebot ein „Renner“ sein wird? Oder denkt man lieber gemeinsam mit den Verantwortlichen im Fachbereich darüber nach, woran das liegen könnte? Vielleicht ist der Studiengang noch zu wenig bekannt, vielleicht ist er zu spezialisiert – vielleicht ist unklar, wo er einen beruflich hinführt? Vielleicht gibt es Probleme mit einzelnen Lehrenden oder mit der Studierbarkeit generell? Das alles ist einer Zahl nicht anzusehen, die allenfalls ein Hinweis – mit mehreren anderen Zahlen kombiniert durchaus ein sehr starker Hinweis – darauf sein kann, dass etwas nicht stimmt und dass Handlungsbedarf besteht.

Grundlegend für die Akzeptanz des Strategischen Controllings ist das Vertrauen in die Daten, die es liefert. Im Laufe des Data-Warehouse-Projekts wurde das Team mit so manch lieb gewonnener Schattenbuchführung konfrontiert. Die dezentral gepflegte Excel-Tabelle erschien vertrauenswürdiger als Zahlen, die wahlweise „von oben“ kamen oder aus einem Campus-Managementsystem, in dem alles Eingegebene im Zweifelsfall sowieso nur auf Nimmerwiedersehen verschwand. Letzteres lag zwar gerne einmal daran, dass die Dateneingabe nicht oder nur fehlerhaft erfolgt war – aber der grundlegenden Skepsis gegenüber dem neuen System tat dies keinen Abbruch.

Diese Voreingenommenheit erzeugte gelegentlich folgende Reaktion bei einigen Hochschul-Angestellten: Sie kramten die liebevoll gehegte Excel-Tabelle Marke Eigenbau wieder heraus oder versandten Gegendarstellungen mit „echten“ eigenen Zahlen, die mühevoll recherchiert worden waren – natürlich immer direkt an den jeweiligen Präsidenten oder Vizepräsidenten. Dieser wiederum legte meist postwendend diese Zahlen vertrauensvoll und mit der Bitte um Prüfung zurück in die Hände der Strategischen Controller.

Hier kommt der Knackpunkt: Wenn nun wiederum der Controller diese Daten falsifizieren und „korrekte“ andere Daten liefern würde, dann träfe zwar die Hochschulleitung weiterhin ihre Entscheidungen auf einer für sie sachlichen und fundierten Basis. Die Akzeptanz dieser Entscheidungen in der Universität aber wäre gefährdet, da die „eigenen“ Zahlen – und damit auch die dahinterstehenden Argumente der anderen Seite – nicht anerkannt worden wären.

Datenzugriff auf mehreren Ebenen

Deshalb ist es so wichtig, dass auch dezentrale Nutzer Zugriff auf das Data Warehouse haben. Ein strategisches Informationsmanagement kann einen wichtigen Beitrag zur Organisationsentwicklung und zur Diskussionskultur einer Universität leisten. Und zwar selbst dann, wenn nicht jeder der aktuell rund 100 Nutzer, die täglich das Data Warehouse aufrufen, weiß, dass er es könnte – und dass darin die Daten enthalten sind, die dem Präsidium vom Strategischen Controlling vorgelegt werden, wenn es sich Gedanken über Entwicklungen im Bereich Studium und Lehre macht und Entscheidungen darüber trifft.

Dass es wohl noch dauern wird, bis das Data-Warehouse-Projekt von allen Akteuren an der Hochschule vollends akzeptiert ist, aber der Stein schon ins Rollen gebracht wurde, veranschaulicht folgende Anekdote: Vor einiger Zeit erhielt eine Mitarbeiterin des Strategischen Controllings einen Anruf aus einer dezentralen Einheit. Man habe von mehreren Seiten unterschiedliche Daten auf dieselbe Anfrage bekommen. Jetzt wende man sich an uns; wir wüssten doch sicherlich, welche Daten denn nun die richtigen seien.

Literatur

Literatur

  • Pia Bungarten / Marei John-Ohnesorg (Hrsg.): Hochschulgovernance in Deutschland; Schriftenreihe Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung; Bd. 10. Bonn 2015
  • Edgar Grande / Dorothea Jansen / Otfried Jarren / Arie Rip / Uwe Schimank / Peter Weingart (Hrsg.): Neue Governance der Wissenschaft. Reorganisation, externe Anforderungen, Medialisierung. Bielefeld 2013
  • Otto Hüther / Anna Katharina Jacob / Hanns H. Seidler / Karsten Wilke: Hochschulautonomie in Gesetz und Praxis. Eine Analyse von Rahmenbedingungen und Modellprojekten. Speyer 2011
  • Ulrich Lang / Martin Wimmer (Hrsg.): CIOs und IT-Governance an deutschen Hochschulen. Heilbronn 2014
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