Ein kleines Fach? Ach, wie reizend!
Geisteswissenschaften kommen nicht nur im europäischen Förderprogramm Horizont 2020 kaum zum Zug. Eine gleichberechtigte Teilhabe am Wettbewerb um Forschungsmittel vermisst der Präsident der Universität Jena auch in Deutschland.
Im Wettbewerb um wissenschaftliche Exzellenz erwarten wir zu Recht, dass die Besten gewinnen. Bisher waren das oft die Größten. Aber führt Masse naturgemäß zu Klasse? Und was ist mit den kleinen Fächern und den Geisteswissenschaften: Können sie im Wettbewerb mit den großen Fächern und den Naturwissenschaften bestehen? Gerade die kleinen Fächer zeichnen sich durch ihre geringe Masse und ihre Vielfalt aus – bundesweit gibt es 119 davon. Einige kleine Fächer sind nur mit ein oder zwei Lehrstühlen in Deutschland vertreten.
Die ersten beiden Runden der Exzellenzinitiative habe ich vorrangig aus dem Ballungszentrum Berlin miterlebt: als Wissenschaftler, als Direktor eines LeibnizInstituts und als Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand eines HelmholtzZentrums. Bei der Bewertung der Anträge spielte, so meine Beobachtung, die Größe eines Standortes und eines Faches eine entscheidende Rolle. Die kleinen Fächer schienen wenig passfähig für eine auf Masse setzende Exzellenzinitiative. Entsprechend waren sie im bisherigen Verlauf wenig sichtbar.
Unsere Universitäten brauchen ein Konzert der kleinen und großen Fächer, der kleineren und größeren Universitäten, um innovativ und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Darin stimme ich meinem Vorgänger in Jena, Professor Dr. Klaus Dicke, zu: „Kleine Fächer machen zu einem ganz wesentlichen Teil Universität aus, und sie machen zu einem wesentlichen Teil auch das aus, was im Ausland an deutscher Universität wahrgenommen und geschätzt wird.” Ich begrüße deshalb die von der ImbodenKommission vorgeschlagene Öffnung der Exzellenzcluster, wenn kleine Fächer und die Geisteswissenschaften tatsächlich davon profitieren können. Dies könnte aber nur ein erster Schritt sein. Wir müssen darüber hinaus, so meine ich, dringend über die Kriterien nachdenken, mit denen wir die Qualität der kleinen Fächer und Geisteswissenschaften messen. Bei der Evaluierung von Anträgen, der „Vermessung von Exzellenz“, gehen wir vornehmlich von numerischen Indikatoren – wie viele Publikationen? – oder dem praktischen Nutzen eines Faches aus. Dies ist zum Nachteil der kleinen Fächer und Geisteswissenschaften.
Denn warum sind die Keltologie, Ukrainistik, Indische Kunstgeschichte oder Papyrologie überhaupt klein? Warum gibt es bundesweit nur so wenige Lehrstühle für manche dieser kleinen Fächer, obwohl sie zweifellos von gesellschaftlicher Bedeutung sind? Zu einem großen Teil liegt dies an ihrem scheinbar fehlenden praktischen Nutzen. Ihr Wert tritt für die breite Öffentlichkeit oft nur bei bestimmten Anlässen hervor. Ein aktuelles Beispiel sind die Konflikte in Syrien oder in der Ukraine, bei denen das Spezialwissen kleiner Fächer, die sich mit diesen Regionen befassen, für alle sichtbar und nützlich wird. Nur lässt sich eine praktische Anwendung in der Regel nicht unmittelbar aus einem Forschungsergebnis ableiten.
Dieser Umstand dürfte auch dafür gesorgt haben, dass die Förderung der Geisteswissenschaften und damit der kleinen Fächer in den USA sehr gering ausfällt. Die Marginalisierung der Geisteswissenschaften zeigt sich auch in Asien. In Japan hat jüngst fast die Hälfte der staatlichen Universitäten die Geistes und Sozialwissenschaften drastisch reduziert; dies geschah auf Druck des zuständigen Ministeriums. Nicht anders sieht es in Europa aus: Nach einer Studie der Brüsseler EUKommission gingen im Jahr 2014 gerade einmal sechs Prozent der im Forschungsprogramm Horizont 2020 bewilligten Zuschüsse an Geistes und Sozialwissenschaftler. Auch bei uns führen die Sparzwänge an den Universitäten dazu, dass bevorzugt über den Abbau geisteswissenschaftlicher und insbesondere kleiner Fächer nachgedacht wird.
„Kleine Fächer können Großes leisten“
Dabei steht außer Frage, dass kleine Fächer Großes leisten können. Wie der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Hans Ulrich Gumbrecht zu Recht betont, werfen sie Fragen auf und machen unseren Blick auf die Welt komplizierter und komplexer. Doch wie können wir ihrer Originalität und ihrem wichtigen Beitrag in einem Wettbewerb um begrenzte Mittel Rechnung tragen? Wie können wir in einer Förderwelt, die nach Nützlichkeit fragt, das kleine exzellente Fach fördern, das Fragen riskiert, herausfordert, vor den Kopf stößt, oder aber – auch keine kulturelle Selbstverständlichkeit mehr – Konzentration und Kontemplation mit sich bringt?
Vor diesem Hintergrund habe ich Bedenken, ob die von der ImbodenKommission vorgeschlagene Öffnung der Exzellenzcluster zur adäquaten Förderung kleiner Fächer und einer Anerkennung ihrer Exzellenz ausreichen wird. Wie kann über die Qualität eines Clusterantrags von vornehmlich kleinen Fächern – wenige Publikationen, geringer Anwendungsgrad – entschieden werden, wenn die Konkurrenten in derselben Förderlinie Cluster der großen Fächer sein werden, die typischerweise viele Publikationen, Patente und Anwendungsmöglichkeiten vorweisen? Wie messen wir gar den Exzellenzbeitrag der kleinen Fächer in gemischten Clustern? Wie lassen sich Originalität, disruptive Kraft und kulturelle Prägung überhaupt messen?
Von nichts anderem redet übrigens auch der Deutsche Historikerverband, wenn er den vom Wissenschaftsrat beschlossenen „Kerndatensatz Forschung“ als Grundlage eines Forschungsratings kritisiert, das sich auf Zahlen konzentriert, statt sich mit Köpfen zu befassen.
Benötigen wir also unterschiedliche Evaluierungskriterien für Cluster der kleinen und der großen Fächer? Ich wünsche mir auf jeden Fall Verbünde, in denen die kleinen Fächer ihren Beitrag leisten können, ohne dass sie der Gefahr ausgesetzt sind, in der Größe des Verbundes unterzugehen.
„Eine Exzellenzinitiative der kleinen Fächer“
Um das Überleben der kleinen Fächer nachhaltig zu sichern, plädiere ich mit Nachdruck darüber hinaus für eine zusätzliche „Exzellenzinitiative der kleinen Fächer“, die nationale Verbünde oder regionale Zusammenschlüsse langfristig fördert – vorausgesetzt die Klasse stimmt. Wir brauchen einen nationalen Wettbewerb, der Netzwerke und Zusammenschlüsse fördert, in denen die Partner ihre Identität und Tradition bewahren, sich auf Augenhöhe begegnen und ihre dichten Verbindungen ausschöpfen können. Ein Wettbewerb, der kleine Fächer und deren Leistung angemessen erkennen und fördern will, muss andere Ziele und Vergleichswerte als für die großen Fächer formulieren.
Zu fragen ist deshalb, ob wir innerhalb der vorgeschlagenen Rahmenbedingungen Möglichkeiten finden, kleine Fächer und Geisteswissenschaften, die sich häufig der Quantifizierbarkeit des Outputs entziehen, zu bewerten. Die Antwort liegt auf der Hand: Besinnen wir uns auf alte Tugenden und bitten Fachleute, die Originalität der wissenschaftliche Beiträge, ihre Solidität und ihre nationale und internationale Rezeption inhaltlich zu bewerten. Fehleinschätzungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Es wird Kritik geben, man macht sich angreifbar. Aber es wäre eine Abkehr von einer in der Öffentlichkeit leicht zu vermittelnden Scheinobjektivität.
Eine solche Rückbesinnung käme übrigens allen Disziplinen zugute, bei denen die Bewertung häufig zwar gestützt auf Zahlen, aber viel zu wenig auf der Basis qualitativer inhaltlicher Betrachtung erfolgt. Sie würde auch einem Wesensmerkmal von Wissenschaft, das kein Indikator anzuzeigen vermag, wieder zu mehr Geltung verhelfen: infrage stellen, kritische Fragen stellen und sich außerhalb des Mainstreams bewegen. Das ist es doch, was die exzellent vertretenen kleinen Fächer und Geisteswissenschaften heute schon auszeichnet. Und das ist es wert, über eine eigenständige Exzellenzinitiative sichtbar gemacht zu werden.
Linktipps
Linktipps
Studie der Europäischen Kommission zu den Geistes- und Sozialwissenschaften in Europa
Landesinitiative Kleine Fächer in Baden-Württemberg
Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Universität Mainz
DUZ Magazin 03/2016 vom 26.02.2016