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Im Osten viel Neues

Während bundesweit über bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gerungen wird, zeigt die Europa-Universität Viadrina schon Flagge: Hochschulen müssen nicht auf Bund und Länder warten, um den Nachwuchs aus dem Prekariat zu holen.

Wer einer Diskussion über das wissenschaftliche Prekariat folgt, kann sich auf den Austausch sattsam bekannter Argumente einstellen. Universitäres sei Ländersache, sagt der Bund, das gelte für die finanzielle Ausstattung ebenso wie für die einschlägigen Hochschulrahmengesetze. Der Bund mische von der Exzellenzinitiative bis zum Hochschulpakt kräftig mit, entgegnen die Länder; auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das nun reformiert werden soll (siehe Seite 44ff.), sei in Berlin verbockt worden. Und die Unterzeichner all jener Arbeitsverträge des wissenschaftlichen Nachwuchses, die häufig nicht einmal bis zum Ende desselben Jahres laufen, die Hochschulen also, die klagen, meist weitgehend unwidersprochen, angesichts all ihrer befristeten Haushaltsmittel seien ihnen die Hände gebunden. Und so bleibt die Lage, wie sie ist: Neun von zehn jungen Wissenschaftlern bundesweit haben keine Dauerstelle, jeder zweite befristete Erstvertrag läuft weniger als ein Jahr.

Es geht anders, das zeigt seit mehr als einem Jahr die östlichste Universität Deutschlands. An der Europa-Universität Viadrina schreibt seit August 2014 eine Dienstvereinbarung eine Menge des angeblich Unmöglichen fest. So werden Promovierende in Frankfurt an der Oder seither mindestens drei Jahre, Postdoktoranden mindestens vier Jahre beschäftigt. 40 Prozent ihrer Arbeitszeit sollen jeweils zur eigenen Qualifizierung zur Verfügung stehen. Zudem wurde eine „familienpolitische Komponente“ vereinbart: Wer Kinder zu betreuen hat – und das müssen keine leiblichen sein –, kann seinen Vertrag um mindestens zwei Jahre verlängern.

Den Mini-Teilzeitstellen bereitet die Dienstvereinbarung ebenfalls ein Ende: Statt Zehn-, Zwanzig- oder Dreißig-Prozent-Stellen sollen Doktoranden in der Regel mindestens halbe Stellen, Postdoktoranden ganze Stellen bekommen. Ausgenommen von diesen Regelungen sind drittmittelfinanzierte Projekte, deren Arbeitsverträge allerdings so lange gelten sollen, wie Drittmittel fließen. Weitere Ausnahmen gelten, wenn die Amtszeit des Professors absehbar – also mit der Emeritierung – endet. Auch Ausnahmen darüber hinaus sind nach Absprache mit dem Personalrat möglich. Das lässt Spielräume, hält aber mehr Verlässlichkeit für den Mittelbau bereit als an anderen Hochschulen.

Erreicht werden soll mit der Grundlage, die als „Dienstvereinbarung zur Gestaltung von Arbeitsverträgen akademischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ übertitelt ist, dreierlei: Die „Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren“ soll erhöht, „transparente Mindeststandards“ sollen geschaffen und „gleichstellungs- und familienfreundlichere“ Bedingungen festgeschrieben werden. So steht es in der Präambel, unterzeichnet vom Personalrat und von Präsident Dr. Gunter Pleuger.

Interessant daran ist, dass Pleuger ehemaliger Staatssekretär von Minister Joschka Fischer war und während seiner facettenreichen Laufbahn im Auswärtigen Amt dort auch eine Zeit lang Personalratsvorsitzender war. Zudem stand er kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft in Frankfurt an der Oder, als er diese Dienstvereinbarung unterzeichnet hat. Nur wenige Monate später löste ihn Professor Dr. Alexander Wöll ab. Doch auch die aktuelle Hochschulleitung gibt sich 15 Monate nach Inkrafttreten der Vereinbarung zufrieden.

„Universitäten sind auf wissenschaftlichen Nachwuchs angewiesen. Also müssen wir vernünftige Perspektiven bieten“, erklärt Janine Nuyken, Vizepräsidentin für Organisationsentwicklung, Studierende und Lehre. Dies sei auch möglich, da der Haushalt der Europa-Universität, wie der anderer Hochschulen auch, nicht komplett, sondern zu einem Viertel bis Drittel durch befristet verfügbare Gelder bestimmt werde: „Die These, dass eine Hochschulleitung aus finanziellen Gründen gezwungen ist, auf Kosten vor allem oder gar ausschließlich ihrer wissenschaftlichen Mitarbeitenden Flexibilität zu erhalten, teile ich so nicht.“

Nuyken spricht aber auch von einem „Spannungsverhältnis“ zwischen dem inhaltlich Erreichten und haushaltstechnischen Herausforderungen. Das gelte insbesondere, weil längst nicht alle vorübergehend fließenden Gelder offiziell „Drittmittel“ heißen: „Unsere Hochschulpaktmittel zum Beispiel laufen in verlässlicher Höhe nur bis 2018. Wenn wir 2016 einen Vierjahresvertrag mit einem Postdoktoranden abschließen, müssen wir sehr vorausschauend, langfristig und Finanztöpfe-übergreifend planen.“

In Gang gesetzt hat die Reform der Personalrat – ein Gremium mit neun Mitgliedern, von denen sieben selbst auf befristeten Stellen sitzen. Am Anfang stand vor einigen Jahren eine Uni-Umfrage zur Prekarität der Lage. Das Ergebnis machte wenig Mut. „Auf einen unbefristeten Mitarbeiter kamen 12,5 befristete“, erklärt die Personalratsvorsitzende Stefani Sonntag, „damit standen wir noch schlechter da als der Bundesdurchschnitt.“ Auf Personalversammlungen wurde der Wille zu Veränderung geschürt. Es startete eine Recherche nach – kaum existierenden – Vorbildvereinbarungen und die Lektüre einschlägiger Gesetze.

Dr. Stefan Seiterle, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und Mitglied im Personalrat bilanziert: „Eine Universität muss keine prekären Verträge schließen, schon gar nicht so prekäre, wie es bisher gang und gäbe war.“ Sein Kollege Dr. Pablo Valdivia Orozco, in gleicher Funktion an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät, ergänzt: „Der Schlüssel ist simpel: Der Mitarbeiter muss im Zentrum stehen, nicht das Projekt. Das zu erreichen ist uns geglückt.“

Damit dies auch weiterhin glückt, ist eine Arbeitsgruppe aus Vizepräsidentin Nuyken sowie Vertretern von Fakultäten und Personalrat mit der Erstellung eines Personalentwicklungskonzepts befasst. Ziel von Stefani Sonntag und ihren Kollegen sind Vertragsgestaltungen nicht nur über längere Laufzeiten, sondern über Dauerstellen. 30 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter sollen nach Wunsch des Personalrats künftig unbefristet beschäftigt werden. Zudem soll bei jeder frei werdenden Professur geprüft werden, ob diese ersetzt werden kann durch eine Juniorprofessur mit Tenure Track, womit die Bewährungschance auf eine Lebenszeitprofessur eröffnet wird.

Das Erreichte ist nicht in Stein gemeißelt

„In Sachen Tenure Track wird sich etwas tun“, sichert Vizepräsidentin Janine Nuyken bereits heute zu. Auch das, so Nuyken, erfordere allerdings „sorgfältige und langfristige Planung“. So stoße ein Tenure-Track-Modell an Grenzen: „Wenn aus Juniorprofessuren W2- oder W3-Professuren werden, müssen auch irgendwann wieder W2- oder W3-Professuren zu Juniorprofessuren werden – sonst gibt es ja keine Juniorprofessuren mehr.“ Auf zusätzliches Geld für neue Juniorprofessuren, so Nuyken weiter, „kann und soll man natürlich immer hoffen. Rechnen aber sollte man damit besser nicht.“

Wann das Struktur- und Entwicklungskonzept steht, ist noch offen – binnen der zwölf Monate, die in der Dienstvereinbarung dafür vereinbart wurden, hat es jedenfalls nicht geklappt. Und auch das bisher Erreichte ist übrigens keineswegs in Stein gemeißelt: Die Laufzeit der Vereinbarung beträgt zwei Jahre. Ob und wenn ja, wie sie sich bewährt hat, wird dann erst einmal evaluiert, um über eine Fortschreibung entscheiden zu können.

Viadrina in Zahlen

Viadrina in Zahlen

Personal Im Februar verzeichnete die Europa-Universität Viadrina 612 Mitarbeiter, davon 76 Professoren. An ihren Fakultäten Jura, Wirtschaftswissenschaften und Kulturwissenschaften lernten im Studienjahr 2014/15 insgesamt 6492 Studierende. Der Anteil ausländischer Studierender belief sich auf 25,4 Prozent.

Download:Dienstvereinbarung zur Gestaltung von Arbeitsverträgen akademischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“

Internet: https://www.europa-uni.de/de/index.html

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