POLITIK & GESELLSCHAFT

FORSCHUNG & INNOVATION

STUDIUM & LEHRE

KOMMUNIKATION & TRANSPARENZ

ARBEIT & PSYCHOLOGIE

WISSENSCHAFT & MANAGEMENT

75 JAHRE DUZ

 Login

Ermittlungen zu schwarzen, weißen und grauen Schafen

Betrug und Pfusch in der Wissenschaft sind nicht nur Thema in den Medien. Sie sind längst auch zu einem Forschungsobjekt geworden. Eines, das reichlich kniffelig ist. Ein Erfahrungsbericht über die Stolpersteine bei der Erkenntnissuche.

Plagiatsskandale, frisierte Daten oder erfundene Experimente: Die Zahl bekannt gewordener Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens scheint zuzunehmen. Den Eindruck erwecken zumindest die Debatten in traditionellen Massenmedien, Wissenschaftsblogs und Fachzeitschriften. Doch stimmt die Einschätzung? Und wie lässt sich das Ausmaß von Betrug und Pfusch in der Wissenschaft überhaupt seriös feststellen? In wissenschaftlichen Fachjournalen gilt die Zahl zurückgezogener Artikel gemeinhin als Indikator für das Ausmaß von Fehlverhalten. Doch sie kann allenfalls ein erster Hinweis sein. Wer es genau wissen will, muss sich mit sehr spezifischen methodologischen Herausforderungen auseinandersetzen.

Die erste große Herausforderung besteht wie bei jedem Verhalten, das im Verborgenen stattfindet, darin, an verlässliche Informationen zu gelangen. Hier lässt sich zwischen dem Hellfeld aller aufgedeckten und dem Dunkelfeld aller unentdeckt bleibenden Fälle unterscheiden. Wie genau Fehlverhalten nachgewiesen und korrigiert wird, dazu läuft am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) aktuell das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Beschämte Wissenschaft“. Ein großer Teil der bisherigen Forschung zu wissenschaftlichem Fehlverhalten wie beispielsweise die Untersuchung zurückgezogener Artikel konzentriert sich auf die Betrachtung des Hellfeldes. Das Ausmaß des Problems ist in der Regel größer als an diesen Fällen erkennbar wird; zudem müssen sie nicht repräsentativ sein. Einige Formen von Fehlverhalten wie Bild- und Datenmanipulationen sowie Plagiate lassen sich beispielsweise mit Hilfe spezialisierter Software leichter entdecken und sind deswegen im Hellfeld überrepräsentiert.

„Sanktionen, Regelungen und Vorgehen sind nicht konsistent“

Ein zweites Problem ist, dass Sanktionen, Prozeduren und Entscheidungsregeln unregelmäßig sind und somit ein Indikator wie zurückgezogene Artikel nicht eindeutig auf eine bestimmte Form oder Schwere von Fehlverhalten hinweist. So führt beispielsweise der Blog RetractionWatch eine Liste mit Euphemismen, mit denen Zeitschriften Plagiate bezeichnen und die von „unacceptable level of text parallels” über „significant originality issue“ bis hin zu „administrative error“ reichen. Diese Bezeichnungen erfordern damit nicht nur aufwendige Entschlüsselungsarbeit, sondern oftmals lassen sie sich auch nicht klar den Kategorien Fehlverhalten oder Irrtum zuordnen.

Zurückgezogene Artikel lassen deshalb, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkte Analysen des tatsächlichen Ausmaßes, der Formen und Ursachen für wissenschaftliches Fehlverhalten zu, da die Mechanismen und Prozesse, durch die diese Daten entstanden sind, zum jetzigen Zeitpunkt weitestgehend unbekannt sind. So berichten beispielsweise Yank und Barnes in ihrer Studie von 2003, dass nur 67 Prozent der befragten Zeitschriftenherausgeber ihr eigenes Vorgehen beim Zurückziehen plagiierter Artikel als konsistent einschätzen.

Hochschulen und Forschungseinrichtungen stellen aufgrund der institutionellen Zuordnung betroffener Publikationen diejenigen Einrichtungen dar, die derzeit maßgeblich an der Aushandlung und Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens beteiligt sind, und auch hier existieren Probleme in deren Analyse. Für den Umgang mit Fehlverhalten gibt es eine Reihe von Empfehlungen und Musterordnungen, die jedoch keinen formal-bindenden Charakter aufweisen. Verfahrensordnungen sind zwar fast flächendeckend vorhanden, empirische Forschung, die systematische inhaltliche Vergleiche der einzelnen Ordnungen anstellt, gibt es allerdings bisher nicht und dementsprechend ist unklar, inwieweit Verfahren an den jeweiligen Einrichtungen formal unterschiedlich gestaltet sind.

Die an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen genutzten und veröffentlichten Verfahrensordnungen geben zwar einen Rahmen für die Umsetzung, jedoch fehlt es an Wissen, wie Deutungsspielräume in der Praxis ausgelegt werden. So wird in der Regel zwar definiert, welche Verhaltensweisen als Fehlverhalten gelten, diese bleiben jedoch zu allgemein, um für konkretes Verhalten die entsprechenden Sanktionen identifizieren zu können. Selbst bei einer klassischen Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens wie dem Plagiat ist nicht ersichtlich, wie dieses von einer ungenauen Zitierweise abgegrenzt wird.

Dadurch stellen sich viele Fragen: Welche Kriterien werden berücksichtigt? Welche Mittel der Beweisführung sind zur Feststellung oder Ausräumung von Vorwürfen zulässig? Wie wird beispielsweise mit Verhaltensweisen umgegangen, die in Graubereichen stattfinden, also zwar nicht den Maßstäben guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen, aber auch nicht eindeutig Fehlverhalten darstellen? Auch hinsichtlich der Organisation von Kontroll- und Sanktionsstellen und deren personeller Ausgestaltung bestehen Unterschiede. Zwar sind weitestgehend Ombudsstellen und Untersuchungskommissionen vorhanden, jedoch besteht ein Defizit an einheitlichen Vorgehensweisen bei Verdachtsfällen und eindeutigen Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereichen. Auch hier fehlt es an Wissen darüber, wie sich diese Unterschiede auf die Aushandlung und Sanktionierung von Fehlverhaltensfällen auswirken.

Personen, die einen Verdacht auf Fehlverhalten gegenüber der Einrichtung kommunizieren wollen, haben unter Umständen Probleme, herauszufinden, an wen sie sich wenden können. Je nachdem, wie öffentlich oder bekannt die verantwortlichen Stellen sind, werden so vielleicht jeweils mehr oder weniger Fälle angezeigt, was sich auf die Anzahl nachgewiesener Fehlverhaltensfälle auswirken könnte. Ein weiteres Problem stellen die unterschiedlichen Formen der Bekanntmachung dar. So wird auf nachgewiesene Fälle oder solche, die sich als unhaltbar erweisen, in einigen Pressemitteilungen namentlich aufmerksam gemacht, in anderen anonym, und einige Hochschulen veröffentlichen gar keine Informationen.

“Fehlverhalten an Uni A muss nicht dasselbe für Uni B sein“

Die genannten Probleme zeigen nicht nur eine Forschungslücke auf, die es schwierig macht, die bekannt gewordenen Fälle als Datengrundlage zu Fehlverhalten zu verwenden, sondern bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass das Problem ebenso eine normative Dimension umfasst. Da aktuell so wenig über die Vorgehensweise von Hochschulen und Forschungseinrichtungen bekannt ist, gibt es ebenfalls keine Sicherheit darüber, inwiefern die Verfahren untereinander vergleichbar, in Übereinstimmung mit den institutionellen Richtlinien und für die Beteiligten durchschaubar ablaufen. Damit ist auch unklar, inwiefern sie grundlegenden Prinzipien der Prozessgerechtigkeit entsprechen. So ist es denkbar, dass das Urteil „Fehlverhalten“ an Universität A schon für deutlich geringere Abweichungen von der guten wissenschaftlichen Praxis verhängt wird als an Universität B. Ebenso gibt es keine Informationen darüber, wie konsistent verschiedene Verfahren innerhalb derselben Uni ablaufen, etwa im Fächervergleich.

Auch wenn hier nicht gleich die Strafprozessordnung herangezogen werden muss, so sollte ein universitäres Verfahren dennoch elementaren normativen Standards genügen. Dazu gehören Transparenz des Verfahrens für die Beteiligten, eine gleiche Behandlung ohne Ansehen der Person, Vergleichbarkeit der Verfahren an verschiedenen Universitäten und die Orientierung an allgemeinen Richtlinien, um Willkür- oder Einzelfallentscheidungen zu verhindern. Es zeigt sich, zusätzliche Forschung ist unerlässlich, um Ursachen für Fehlverhalten aufdecken und effektiver bekämpfen zu können und mögliche Probleme mit bestehenden Verfahren zu erkennen und zu beheben.


Die Autorinnen

    
FELICITAS HEßELMANN (links) und VERENA GRAF sind als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt „Beschämte Wissenschaft – Reintegration versus Stigmatisierung von Fehlverhalten“ am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung in Berlin beschäftigt.

Links

Links

Empfehlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“
Download: www.http://tinyurl.com/pjxhehw

Positionspapier des Wissenschaftsrates „Empfehlungen zu wissenschaftlicher Integrität“
Download: www. http://tinyurl.com/ptlklhs

Publikationen im Zusammenhang des Projekts „Beschämte Wissenschaft“
Download: www.forschungsinfo.de/Publikationen/Download/publications-02-00061-1.pdf

Fachliteratur
Finetti, Marco/Himmelrath, Armin: Der Sündenfall – Betrug und Fälschung in der Wissenschaft (E-Book); Raabe-Verlag Stuttgart; 245 Seiten; 29,99 Euro (Bestelllink)

Diese Cookie-Richtlinie wurde erstellt und aktualisiert von der Firma CookieFirst.com.

Login

Der Beitragsinhalt ist nur für Abonnenten zugänglich.
Bitte loggen Sie sich ein:
 

Logout

Möchten Sie sich abmelden?

Abo nicht ausreichend

Ihr Abonnement berechtigt Sie nur zum Aufrufen der folgenden Produkt-Inhalte: