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Warum der Aufschwung in Osteuropa so schwer fällt

Die Staaten Osteuropas wissenschaftlich auf westeuropäisches Niveau zu bringen, ist eine Mammutaufgabe nicht nur für die EU-Kommission in Brüssel. Gefordert sind auch die jeweiligen Nationalstaaten und Wissenschaftseinrichtungen. Sehen lässt sich das etwa in Bulgarien. Frank Stier, duz-Autor in Sofia, berichtet

Kalinka ist das bulgarische Wort für Marienkäfer. Seit einigen Jahren steht der Begriff im Volksmund aber auch für Hochstapler. Er geht zurück auf Kalina Ilieva, die 2009 geschäftsführende Direktorin des Staatlichen Fonds für Landwirtschaft wurde. Als ein gutes Jahr später bekannt wurde, dass Kalina Ilieva ihr Hochschuldiplom gefälscht hatte, war sie den Posten auch schon wieder los. Seitdem haben viele „Kalinkis“ führende Ämter im Staat bekommen – und ähnlich unrühmlich wieder verloren. Die Wissenschaft macht hier keine Ausnahme. Auch sie hat in den vergangenen Jahren Affären erlebt, die grundlegende Qualitäts- und Strukturprobleme der bulgarischen Hochschul- und Forschungslandschaft offenbaren. Die Skandale reichen von Plagiaten über gefälschte oder gekaufte akademische Titel bis hin zu Misswirtschaft und Machtmissbrauch an der Hochschulspitze.

Der Fall Adamov

Wie in einem Prisma fokussieren sich einige von ihnen in der Affäre um Velichko Adamov, den langjährigen Rektor der Wirtschaftsakademie „Dimitar Tsenov“ in der Donaustadt Swischtov. Als Adamovs zweite und damit letztmögliche Amtszeit als Hochschulrektor im Mai 2015 abgelaufen war, installierte er Professorin Teodora Dimitrova als Nachfolgerin. Ein Teil des Lehrkörpers bezweifelte deren Qualifikation für die Position und focht die Berufung vor Gericht an. Als Bulgariens Bildungs- und Wissenschaftsminister Todor Tanev daraufhin einen kommissarischen Rektor bestellte, verbarrikadierte sich Adamov mit Vertrauten im Gebäude der Wirtschaftsakademie, um dem ministeriell bestellten Rektor den Zutritt und die Amtsübernahme zu verwehren. Tagelang berichteten die Medien über den renitenten Ex-Rektor und seine Nachfolgerin, fasziniert bis fassungslos verfolgte die bulgarische Öffentlichkeit den spektakulären Showdown zwischen akademischer Autonomie und Staatsgewalt.

Die Karriere des Velichko Adamov verrät viel über die mangelnden Selbstreinigungskräfte des bulgarischen Wissenschaftssystems. So lehnte die für Promotionen und Habilitationen zuständige Höhere Attestierungskommission (WAK) Adamovs Doktorarbeit zwar ab, weil sie offensichtlich zu großen Teilen von einem in den 1970er-Jahren erschienenen Werk eines französischen Wissenschaftlers abgeschrieben war. Dennoch konnte Adamov 2007 das Rektorat der Wirtschaftsakademie Swischtov übernehmen, einer der ältesten Hochschulen des Balkanlandes. Die Reform der Habilitationspraxis im Jahre 2011 erlaubte ihm zudem, sich an der eigenen Hochschule mit seiner als Plagiat entlarvten wissenschaftlichen Arbeit zu habilitieren, vor einer von ihm selbst einberufenen Berufungskommission. Velichko Adamov mag ein Extremfall sein, ein Einzelfall ist er nicht. Im Dezember 2014 hat das US-amerikanische Wissenschaftsmagazin Science Bulgarien als das europäische Land mit den meisten Plagiaten identifiziert.

„Es fehlt der Wille, die Probleme anzugehen“

„Wir waren wohl die ersten in Bulgarien, die das Problem des Plagiats in der Wissenschaft ernsthaft zur Diskussion gestellt haben“, sagt der in Swischtov geborene Jurist Kalin Kostov. Nach seinem Studium an der Universität Veliko Tarnovo war er wissenschaftlicher Assistent an der Swischtover Akademie, bis er 2007 von Rektor Adamov entlassen wurde. Zwei Jahre später gründete Kostov mit Gleichgesinnten die „Assoziation für europäische Qualität in der universitären Ausbildung“. Sie will dafür sorgen, dass in Bulgarien rechtliche Grundlagen geschaffen werden, um verbreitete Missstände juristisch sanktionieren zu können.

„Es fehlt bisher aber der Wille der akademischen Führungskräfte, diese gravierenden Probleme anzugehen“, bedauert Kalin Kostov und fügt hinzu: „Unser Wissenschaftssystem hat heute noch dieselbe Struktur wie zu den Zeiten des autoritären Sozialismus vor 1989. Und es wird von Personen im Pensionsalter geführt, die ihre akademische Sozialisation damals erfahren haben.“ Ein falsches Verständnis von akademischer Autonomie verhindere zudem, dass der Staat angemessen auf Machtmissbrauch durch Rektoren staatlicher Universitäten reagiere.

Hinzu kommen massive Finanznöte: Bulgarien gilt als ärmstes Land der Europäischen Union, leistet sich für seine rund sieben Millionen Einwohner aber mehr als fünfzig Universitäten. „Die wenigsten unserer Hochschulen haben akademisches Niveau“, sagt Petjo Hadziev, emeritierter Kybernetikprofessor der Universität Sv. Kliment Ohridski in Sofia. Seiner Ansicht nach geht die Masse an Hochschulen im Land auf Kosten der Klasse von Lehre und Forschung. Zusammen mit dem Professor für Industriedesign der Technischen Universität Sofia Sascho Draganov engagiert sich Professor Hadziev in der Bürgerinitiative „Für die Verteidigung der Bürger und des Staates“ gegen Missstände im Hochschulwesen und in der bulgarischen Gesellschaft überhaupt.

„Wir bulgarischen Professoren sollen Lehre und Forschung auf europäischem Niveau leisten, verdienen aber gerade mal ein Zwanzigstel unserer Kollegen in Europa“, nennt Sascho Draganov das chronische Problem der Unterfinanzierung als Grund für mangelnde Qualität in der bulgarischen Wissenschaft. Dass sich die Verhältnisse bald bessern könnten, beurteilt er skeptisch: „Die Regierungen haben in den vergangenen Jahren häufig gewechselt, die Probleme aber sind dieselben geblieben.“

„Wir werden die Gesetze novellieren“

Das Mantra der Politik

In der Phase politischer Instabilität vom Frühjahr 2013 bis zum Herbst 2014 haben fünf Regierungen Bulgarien regiert, drei reguläre und zwei Übergangsregierungen. Seit Anfang November 2014 sieht sich nun Todor Tanev herausgefordert, als Minister für Bildung und Wissenschaft Ruhe in das nationale Wissenschaftssystem zu bringen und gleichzeitig überfällige Reformen anzugehen. „Wir werden die Gesetze zur Hochschulbildung und zur Entwicklung des akademischen Personals novellieren, um die Qualität in Lehre und Forschung zu erhöhen. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, um unser von der Europäischen Kommission bereits bewilligtes Operatives Programm ´Wissenschaft und Bildung für intelligentes Wachstum 2014 – 2020` realisieren zu können.“ Mit seiner Hilfe, so hofft Tanev, wird Bulgarien die Investitionen in Forschung und Entwicklung bis 2020 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdreifachen und so die Wissenschaft der Volkswirtschaft dienstbarer machen. Das Budget des Programms beläuft sich auf umgerechnet rund 700.000 Euro.

Ja, Bulgarien habe viele Hochschulen, räumt Minister Tanev ein; das liege aber daran, dass sich auch Hochschulen Universität nennen, die es eigentlich nicht seien. „Darum werden wir in unseren Gesetzesentwurf für die Hochschulbildung die Kategorie der forschenden Universität einführen, in Abgrenzung zur rein lehrenden Hochschule. Forschungsleistung wollen wir künftig als Qualitätskriterium stärker gewichten. Heute finanzieren wir die Hochschulen entsprechend der Zahl in ihnen eingeschriebener Studierender. In Zukunft sollen die wissenschaftlichen Einrichtungen mehr Geld bekommen, die dies verdienen“, erklärt Minister Tanev.

Vor vier Jahren wurde das Recht zur Ernennung von Professoren von der Staatlichen Attestierungskommission in die Autonomie der Hochschulen verlagert. Damals begrüßten dies viele als einen Schritt der Demokratisierung. Doch bald stellte sich heraus, dass die Hochschulen damit nicht umgehen können. So verhalfen sie vielen zur Professur, die die Kompetenz dafür nicht besitzen. Ähnlich wie Velichko Adamov wird manch einer jener Professoren seinen Titel eher guten Beziehungen zu Mitgliedern der Berufungskommissionen zu danken haben als seinen wissenschaftlichen Verdiensten.
Dem will Minister Tanev mit der anstehenden Gesetzesnovelle zur Entwicklung des akademischen Personals entgegenwirken. „Den Geist des bestehenden Gesetzes, der ein demokratischer ist, wollen wir weitgehend wahren“, beteuert er, „wir brauchen aber nationale Kriterien und Sanktionsmöglichkeiten, um Missbrauch künftig zu verhindern.“

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