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Vom Wir-Gefühl beim Lernen

Menschen sind Teamplayer und können durch gemeinsames Lernen kognitive Höchstleistungen erreichen. Will man das sogenannte Social Learning in der Hochschule nutzen, hat dies Folgen für die dazugehörigen Lehr- und Lernprozesse. Welche Voraussetzungen zu erfüllen sind und welche Phasen durchlaufen werden, erfahren Sie hier.

Wenn gemeinsam ein Gegenstand getragen wird, kann ihn keine Person einfach fallen lassen oder weggehen, ohne das gemeinsame Ziel zu gefährden. Menschen sind deshalb solch kooperativem Handeln und sozialer Rationalität gegenüber nicht nur empfänglich, sondern erreichen erst durch die Form einer Wir-Intentionalität kognitive Höchstleistungen. Sie sind in einem fundamentalen Sinn und ursprünglich geborene Teamplayer. Und, dieser Idee folgend, auch in einem ursprünglichen Sinn kollektive Lerner. Will man diese Art des Lernens, sogenanntes Social Learning, im Hochschul- beziehungsweise Lehrkontext nutzen, so hat das sehr weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung der dazugehörigen Lehr- und Lernprozesse.
„Learning is a social process. Knowledge is an emergent property of interactions between networks of learners.“ (siehe Fußnote1)

„Sozial“ bedeutet ursprünglich „in Gruppen lebend“. „Sozial“ rekurriert also darauf, dass Menschen seit ihrer Existenz in Gruppen und kleinen Gemeinschaften zusammen gelebt, gearbeitet und vor allem gelernt haben. (2) Deshalb gibt es (wahrscheinlich) eine neurowissenschaftliche Ausstattung von Menschen im Sinne einer Privilegierung dieser Art von Lernen. (3) Die Vorteile sozialer Interaktionen beim Lernen durch Zusammenarbeit wird nun verstärkt im Hochschulkontext thematisiert. So betont etwa Reis, dass (Hochschul-)Bildung „konstitutiv ein sozialer Prozess ist und der Individualisierung die Bedeutung sozialer Tiefenstrukturen entgegenhält“. (4)
Die Bedeutung von Kooperationen innerhalb der Lehre betonen auch Heuchemer und Szczyrba, wenn sie schreiben, dass eine besondere Bedeutung auf dem Einüben und Verstetigen der Kooperation zwischen Lernenden und Lehrenden untereinander und miteinander liege. (5)

Die Etablierung kollaborativer sozialer Lernpraktiken scheint also sowohl bei Studierenden als auch bei Lehrenden zunehmend nötig zu werden. Methodisch kann dabei auf vielfältige Formen zurückgegriffen werden, die Aktivitäten und Interaktionen der Akteure in den Vordergrund zu rücken. Obwohl sich Social Learning bereits auf der normalen didaktischen Einsatzebene verorten lässt, kann es doch mit den Social Media beziehungsweise digitalen Plattformen am besten umgesetzt werden, weil diese besonders „die Entwicklung von Bekanntschaften und den Aufbau sozialer Gruppen“ unterstützten. (6) Denn nicht jede so definierte Gruppe ist eine soziale Gruppe.

Im Rahmen von Kollaborationen geht es um Gruppen, in denen die Beteiligten zum gegenseitigen Vorteil zusammenarbeiten oder darin einen Sinn sehen, gemeinsam zu lernen. Also Gruppen, in denen in gegenseitiger Verantwortung und vor allem weitgehend autonom organisationale Prozesse gestaltet oder gemeinsame Ziele umgesetzt werden. Um zu ihrer Stärke zu kommen, müssen Lernprozesse zwingend als gemeinsame und gruppenspezifische Lernmöglichkeiten, am besten im Sinne einer ko-operativen Lernpraxis, organisiert werden. Das wiederum bedeutet in einem radikalen Sinn, die Lehr- und Lernprozesse in Hochschulen von der Gruppe her zu denken – und entsprechend aufzubauen.

„Social software is based heavily on participation […] The power of this kind of software is that it includes all in the process of creating group based collections of knowledge, and artefacts that are of specific interest to the learning community.“ (7)

Aktivität der Lernen und Lehrenden

Beim gemeinsamen E-Learning stehen vor allem die Aktivitäten der Lernenden und Lehrenden im Zentrum der didaktischen Gestaltung. Hier bekommen soziale Interaktionen, wie etwa die Erstellung eines eigenen Beitrages, Feedback zum Beitrag anderer oder auch Nachvollziehbarkeit der Erstellung der Beiträge in der Gruppe einen zentralen Stellenwert. Social Learning ist also vor allem durch eine massive Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Kollaboration mit den Lehrenden gekennzeichnet. (8) Auch die Potenziale des E-Learning stecken primär in den Möglichkeiten von Interaktivität, Kooperation und Feedback. Kollaboratives Lernen lässt sich deshalb mit Lernplattformen völlig neu gestalten. (9) Auf einer sozio-technischen Ebene beschrieben sind diese Tools und Plattformen nutzungsoffene Systeme. Ihr zentrales Merkmal ist die „Flexibilität und Offenheit bei der Ermöglichung und Unterstützung einer großen Bandbreite von Nutzungspraktiken“. (10) Die konkrete Verwendung und didaktische Anwendung im Lehr- und Lernprozess beruht dabei zentral auf einer Sinngebung durch die Gruppen. Dazu „ist eine offene Lernsituation zu gestalten, deren Kernelement die Anregung von Austauschprozessen ist“. (11) „Voraussetzung ist, dass sich grundlegendes Vertrauen bildet.“ (12)

Kursräume bilden, um der Gruppe klare Grenzen zu bieten

Voraussetzungen für Gruppen

Üblicherweise werden in den traditionellen Learning-Management-Systemen (LMS) beziehungsweise E-Learning-Plattformen Kursräume abgebildet. Die Idee dahinter ist, Lernenden und Lehrenden als Gruppe klare Grenzen zu bieten und die Umwelt um den einzelnen Kursraum herum deutlich abzuheben. Doch das alleine führt noch nicht zu einer Gruppenkonsolidierung, wie sie das soziale Lernen voraussetzt. Damit die Gruppenmitglieder ihre Erfahrungen, Sichtweisen und auch Kompetenzen bei der Bearbeitung und dem Lernen eines Themas einbringen, sind weitere Schritte notwendig. Der wichtigste davon ist, durch eine entsprechende Aufgabenstellung die Motivation der Lernenden zu erzeugen. Die Aufgabenstellung darf sich deshalb nicht nur auf formale Vorgaben wie etwa das Bearbeiten eines Themas beziehen, das die Studierenden idealerweise selbst wählen können. Eine adäquate Aufgabenstellung liegt erst dann vor, wenn es den Gruppenmitgliedern erlaubt ist, eigenständig über die Perspektive des Inhalts, den Prozess der Erstellung – beispielsweise im Sinne einer Arbeitsteilung – sowie die Wahl der Mittel – beispielsweise das Schreiben in einem Wiki – zu entscheiden. Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist, dass genügend Zeit – sowohl für die Gruppenprozesse, als auch für die Erstellung der Inhalte – gewährt wird.

Identitätsfindung mit der Gruppe

Nicht zuletzt die explizite Förderung der notwendigen Identitätsfindungen in und mit der Gruppe erleichtert es, das notwendige Vertrauen in die Gruppe und ihre Mitglieder aufzubauen. Identitätsbildung und gegenseitiges Kennenlernen sind glücklicherweise keine Eigenschaften, die ausschließlich auf Face-to-Face-Beziehungen begrenzt sind. Das Kennenlernen kann auch über ein entsprechendes digitales Profil, das noch nicht einmal ein Bild aufweisen muss, stattfinden. Eine pseudonyme Identität, die jedoch stabil und wiedererkennbar sein muss, genügt durchaus. Letztlich entwickeln die Teilnehmer einen „Eindruck über eine Person, auch ohne wahre Daten über diese Person zu erfahren. Man entwickelt auch Sympathie oder Antipathie, beispielsweise wenn man Beiträge einer Person liest, oder beobachtet, ob sich eine Person pro¬ oder antisozial gegenüber anderen verhält“. (13)

Fazit

Wenn das soziale Element der Interaktion im Rahmen des gemeinsamen Lernens zum Tragen kommt, dann gelingt Social Learning. Und das sowohl analog als auch digital.
______________

Fußnoten:
1) Siemens, G. & Tittenberger, T. (2009): Handbook of Emerging Technologies for Learning, S. 9. Verfügbar unter: http://elearnspace.org/Articles/HETL.pdf [13.01.2015].
2) Tomasello, M. (2010): Warum wir kooperieren. Berlin: Suhrkamp. So gesehen war das kollektive bzw. kooperative Element im Sinne einer gemeinsamen Zusammenarbeit und eines gemeinsamen Lernens eine Grundbedingung der Menschwerdung.
3) „Privilegiertes Lernen liegt dann vor, wenn durch biologische Entwicklungsprogramme festgelegt ist, durch welche Umweltbedingungen bestimmte Lernprozesse ausgelöst werden und auf welche Weise diese Lernprozesse anschließend ablaufen.“ Es steht zu vermuten, dass das Lernen von und in Gruppen ein solches privilegiertes Lernen darstellt, was jedoch nur den Prozess, nicht die jeweiligen Inhalte betrifft.“ Vgl. dazu http://www.educ.ethz.ch/ll/nw/gr/einsichten [14.01.2015].
4) Reis, O. (2013): Hochschuldidaktische Herausforderungen an die Rechtswissenschaft, S. 39. In: ZDRW (Zeitschrift für Didaktik der Rechtwissenschaft) Heft 2013, S. 21-43.
5) Heuchemer, S., Szczyrba, B. (2011): Studierendenzentrierte Lehre – Von der lehrenden zur lernenden Hochschule. In: Benz, W.; Kohler, J. & Landfried, K. (Hrsg.): Handbuch Qualität in Studium und Lehre. Berlin: Raabe-Verlag. Griffmarke E 2.6.
6) Kerres, M.; Hölterhof, T. & Nattland, A. (2011): Zur didaktischen Konzeption von „Sozialen Lernplattformen“ für das Lernen in Gemeinschaften, S. 1. In: Medienpädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung.
7) Wheeler, S. (2008): All Changing: The Social Web and the Future of Higher Education, S. 5. URL: http://de.slideshare.net/timbuckteeth/all-changing-the-social-web-and-the-future-of-higher-education-presentation [04.12.2014].
8)  In einer Strukturanalogie sind sie auf der Ebene des gemeinsamen Arbeitens (und Lernens) in Gruppen mit betrieblichen Social-Collaboration-Plattformen vergleichbar. Siehe hierzu: Klier, A. & Lautenbacher, S. (2013). „Power to the people“ durch Personalentwicklung 2.0. Handbuch PersonalEntwickeln, 173. Ergänzungsliefe-rung. https://www.alexander-klier.net/wp-content/uploads/Artikel-Handbuch-Social-Business-Collaboration.pdf [01.11.2014].
9) Vgl. hierzu: Klier, A. (2014): Social eLearning. Über das Lernen in Gruppen entlang von Social Collaboration-Plattformen. Siepmann, F. (Hrsg.), Lerntrends 2015. Jahrbuch eLearning & Wissensmanagement 2015, S. 22 - 27; https://www.alexander-klier.net/wp-content/uploads/Artikel-Social-eLearning.pdf, [05.12.2014].
10) Richter, A. & Riemer, K. (2013): The contextual nature of enterprise social networking: a multi case study comparison, S. 2. In: Proceedings of the 21st European Conference on Information Systems (ECIS), Utrecht.
11) Szczyrba, B., van Treeck, T., Heuchemer, S. (2012): Qualitätsmanagement in Studium und Lehre mit der Academic Balanced Scorecard, S. 13. In: Benz, W.; Kohler, J. & Landfried, K. (Hrsg.): Handbuch Qualität in Studium und Lehre. Berlin: Benz, Griffmarke E 2.7.
12) Kerres, Hölterhof, & Nattland, a.a.O., S. 10.
13) A.a.O., S. 11.

Typische digitale Gruppeninstrumente

Typische digitale Gruppeninstrumente

  • Wiki (gemeinsame Textarbeit)
  • Chat (synchrone Diskussion eines Themas in kleinen Gruppen)
  • Forum (asynchrone Diskussion zu einer Fragestellung)
  • Gruppenabstimmung (beispielsweise in Moodle)
  • Feedback Module / Kommentarfunktionen
  • Social Tagging & Social Bookmarking (Kollektive Bewertung von Materialien)
  • Social Media (Teilen von Inhalten)
  • elektronische Umfragetools zur Forschung
  • Abstimmungs- und Planungstools wie etwa Doodle oder integrierte Terminkalender

Voraussetzungen für die Gestaltung von Social Learning-Gruppen

Voraussetzungen für die Gestaltung von Social Learning-Gruppen

Partizipation und Mitbestimmung bei Thema und Weg

Ausreichend Zeit für
a) die Gestaltung der Gruppenprozesse und Gruppenfindung
b) die Erarbeitung des Themas
c) die Reflexion des gemeinsamen Prozesses

(Vollständige) Verantwortungsübergabe an die Gruppe für den Arbeitsauftrag

Phasen im Gruppenprozess

Phasen im Gruppenprozess

  • Kennenlernen und Identitätsbildung der Gruppe
  • Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Themen
  • Methodische Hinweise zur Gruppenkonsolidierung, vor allem die Frage nach einer (gewünschten?) Moderation
  • Adäquater Arbeitsauftrag an die Gruppen sowie Bereitstellung der entsprechenden Tools
  • Gelegenheit zur Präsentation und Darstellung der Gruppenergebnisse
  • Reflexion über den Gruppenprozess, sowohl inhaltlich als auch prozessual
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