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„Wir erhoffen uns Effizienzgewinne“

Zählen, messen, registrieren: Wenn mit dem sogenannten Kerndatensatz Forschung einheitliche Standards für das Sammeln und Aufbereiten von Daten gelten, hat das Folgen auch für Hochschulen und außeruniversitäre Institute. Ein duz-Gespräch mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr. Martin Stratmann über notwendige Leistungskontrolle und Evaluitis.

duz: Herr Stratmann, Wissenschaftler geraten ins Datenkreuz der Bürokraten und sollen auf Empfehlung des Wissenschaftsrates sogenannte Kerndaten auflisten. Bedeutet dies nicht einen enormen Mehraufwand an Bürokratie für die Forscher?

Stratmann: Ja und nein. Es wird zunächst Mehraufwand sein, um ein einheitliches Forschungsinformationssystem einzurichten. Doch dann erhoffen wir uns Effizienzgewinne. Denn Daten sammeln wir jetzt auch schon in ganz verschiedener Form. Doch wir wollen die Datenflut eindampfen.

duz: Was heißt das konkret?

Stratmann: Wir haben uns nach der Pilotphase auf einen reduzierten Kerndatensatz mit dem Wissenschaftsrat geeinigt. Das heißt, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen wollen nicht einen überbordenden Datensatz haben, der uns am Ende unheimlich viel Arbeit macht. Wir wollen einen Minimal-Datensatz, der das umfasst, was wir jetzt auch schon berichten, das aber mittels des Kerndatensatzes in eine verlässliche Form gegossen wird, die die Finanzierungsgeber auch akzeptieren. In dem Sinne finden wir es gut, dass es einen Standardsatz an Daten geben soll.

duz: Befürchten Sie, dass das der Anfang ist, Einrichtungen zu vergleichen und schließlich Forschungsleistung zu bewerten?

Stratmann: Befürchten kann man viel. Aber der Datensatz Forschung ist, glaube ich, nicht gut genug, um wirklich Leistung zu bewerten. Für eine Leistungsbewertung bedarf es wesentlich mehr. Das hatte auch das Pilotvorhaben des Wissenschaftsrates bezüglich eines geplanten Ratings gezeigt: Es war ein irrer Aufwand. Und diesen müsste man ja über alle Fachdisziplinen hinweg alle paar Jahre leisten – wozu man Stäbe von Menschen benötigen würde, um die Forschungslandschaft flächendeckend zu evaluieren.

duz: Sie lehnen also ein Rating ab. Wie wollen Sie Vergleiche ziehen?

Stratmann: Man muss die prinzipielle Frage stellen, wie evaluiert man Ungleiches? Die Fraunhofer-Gesellschaft beispielsweise und die Max-Planck-Gesellschaft sind beides exzellente Forschungseinrichtungen, aber völlig verschieden in ihrem Portfolio, völlig verschieden in ihrem Anspruch – die kann man gar nicht gemeinschaftlich bewerten. Die formalen Kriterien sind ganz andere. Es macht also gar keinen Sinn, über alles hinweg zu evaluieren. Zudem ist man oft versucht, universitäre Maßstäbe anzulegen, Maßstäbe, die disziplinär sind. Aber die Wissenschaft ist heute nicht mehr so disziplinär, sie ist in vielen Fällen inter- und transdisziplinär. Somit war die Idee eines Forschungsratings von uns keine akzeptierte, wenn man die Einheiten nicht so nimmt, wie sie sind, sondern auf Basis disziplinärer universitärer Strukturen analysiert.

duz: Doch Leistungsbewertung ist wichtig und die Max-Planck-Gesellschaft legt enormen Wert darauf. Wie funktioniert sie bei Ihnen konkret? 

Stratmann: Leistungsbewertung ist immer wieder ein zentrales Thema. Die Max-Planck-Gesellschaft hat drei Kriterien, nach denen sie qualitative Auswahl betreibt. Das Wichtigste und Entscheidende – das wird häufig nicht so gesehen von außen – ist eine qualitative Auswahl am Beginn. Das Auswahlverfahren ist der Königsweg innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft: Wenn man diese extrem scharfe Eingangskontrolle einmal passiert hat, herrscht anschließend ein System, das auf Vertrauen basiert. Da werden einem Forscher dann durchaus für lange Zeit vertrauensbasiert Mittel zur Verfügung gestellt, ohne ständig nachzufragen, was er damit macht.

duz: Und welches ist das zweite Kriterium?

Stratmann: In der Max-Planck-Gesellschaft erfolgt alle zwei bis drei Jahre eine Evaluation. Wir haben ein Fachbeiratssystem, das vom Präsidenten eingesetzt wird. Die Kommission pro Institut besteht aus etwa zehn hochrangigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von renommierten Universitäten weltweit. Sie bewerten das jeweilige Institut und die einzelnen Personen und berichten dem Präsidenten. Die Begutachtung dauert meistens zwei bis drei Tage. Der Vizepräsident ist dabei und prüft begleitend das Bewertungsverfahren der Kommission.

duz: Und wie sieht der dritte Teil der internen Leistungsbewertung aus?

Stratmann: Alle sechs Jahre gibt es eine vergleichende Evaluation. Dann werden Institute vergleichbarer Art in sogenannte Forschungsfelder gruppiert. Zwei Berichterstatter begutachten alle Fachbeiratssitzungen eines solchen Forschungsfeldes. Sie berichten anschließend dem Präsidenten und Vizepräsidenten, wie die Evaluation funktioniert, ob die Fachbeiräte wirklich kritisch sind, ob sie unabhängig sind vom Institut und ob man den Bewertungen des Fachbeirats wirklich trauen kann. Sie machen keine zusätzliche inhaltliche Bewertung. Aber sie geben uns Hinweise, wo es strukturell in der Max-Planck-Gesellschaft gut funktioniert und wo es Defizite gibt. Wir haben insgesamt ein sehr umfangreiches System etabliert, das der Führung der Max-Planck-Gesellschaft einen ziemlich guten Überblick über die Forschungsleistung gibt. Etwas, was meines Erachtens in den Universitäten so nicht existiert. Deshalb würde ein zusätzliches Rating des Wissenschaftsrates, wie es einmal angedacht war und von dem jetzt noch der Kerndatensatz Forschung als Voraussetzung erst einmal geschaffen werden muss, für uns keinen weiteren Mehrwert der Erkenntnis bringen.

duz: Was bringt dann der Kerndatensatz Forschung außer Standards und ein paar Vereinfachungen in der Berichterstattung?

Stratmann: Wenn wir ein vereinfachtes Berichtswesen hätten, wäre das für uns schon etwas wert. Denn dann würden wir Effizienz gewinnen. Das gilt auch für die Universitäten – allerdings bezweifle ich, dass die Universitäten so umfangreiche Daten bereits haben wie die Max-Planck-Gesellschaft. Es fehlen eine Menge Daten, die wichtig sind, um Schlussfolgerungen zu treffen. In der momentanen Diskussion über Karrierepfade an Universitäten wird beispielsweise oft die Aussage getroffen, die Postdocs haben nur Verträge von einem halben Jahr. Jetzt weiß man aber nicht: Ist die mittlere Verweildauer nicht viel länger? Ist es nicht so, dass die Postdocs mehrere Verträge hintereinander bekommen? Ein weiterer Mehrwert des Kerndatensatzes Forschung neben dem Effizienzgewinn wäre somit, dass er die Basis für politische Entscheidungen schafft.

duz: Die Max-Planck-Gesellschaft geht bezüglich der Karriereplanung für Nachwuchswissenschaftler neue Wege: Seit 1. Juli bietet sie Doktoranden-Verträge statt Stipendien an. Dafür nehmen Sie in den kommenden Jahren rund 50 Millionen Euro in die Hand. Erwarten Sie sich davon steigende Forschungsleistungen?

Stratmann: Wir sind ja nicht ganz von den Stipendien weg. Und Stipendien sind nichts Ehrenrühriges. Ich hatte selbst ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Und ich glaube, jeder, der ein Promotionsstipendium der Studienstiftung hat, ist stolz darauf. Und er hat damit zugleich einen großen Forschungsfreiraum in seiner Promotionszeit. Deswegen ist zunächst einmal die Idee eines Stipendiums nicht schlecht. Für Gastwissenschaftler wird es weiterhin Stipendien bei uns geben.

duz: Wieso stellen Sie dann auf Verträge um?

Stratmann: Wir haben festgestellt, dass sich junge Forscherinnen und Forscher, die aus dem Ausland zu uns kommen und häufig ein Stipendium erhalten, gegenüber ihren Kollegen aus Deutschland, die einen Vertrag bekommen haben, diskriminiert fühlen. Deshalb habe ich eine Kommission eingesetzt, zunächst nicht mit dem Ziel, Stipendien abzuschaffen, sondern um die Frage zu beantworten, wie wir zu einem System kommen, das sicherstellt, dass die Max-Planck-Gesellschaft die jungen Forscher unabhängig vom Herkunftsland gleich behandelt. Wichtig ist außerdem, dass die Verträge die wissenschaftliche Freiheit nicht beschränken, die das Stipendium bietet.

duz: Aber Sie geben doch nicht rund 50 Millionen Euro aus, nur um weniger Diskriminierung und mehr Gleichstellung der ausländischen Nachwuchswissenschaftler zu erreichen?

Stratmann: Doch, das ist schon ein wichtiger Punkt. Das würde ich nicht unterschätzen – auch angesichts der Tatsache, dass mehr als die Hälfte unserer Doktoranden aus dem Ausland kommt. Es ist ein Ergebnis der Evaluation der Fachbeiräte, dass die ausländischen Nachwuchswissenschaftler gleich behandelt werden wollen. Deshalb war klar, dass hier Handlungsbedarf besteht. Das kann ich nicht negieren. Jetzt haben wir ein sehr attraktives Paket: Einerseits bietet es die soziale Sicherheit, die man ja auch als junger Mensch braucht, plus ein hohes Maß an wissenschaftlicher Freiheit. Dieses Paket halten wir für außerordentlich attraktiv – und in dem Sinne glauben wir auch, dass sich noch mehr talentierte Studenten als in der Vergangenheit bei uns bewerben.

duz: Schön, wenn man als Nachwuchswissenschaftler solch finanzielle Sicherheit und zugleich Karriereperspektiven bekommt – aber was muss der junge Forscher dafür tun? Was erwartet die Max-Planck-Gesellschaft für die rund 50 Millionen Euro?

Stratmann: Wir erwarten Höchstleistung in der Wissenschaft. Wir erwarten ein Höchstmaß an Motivation. Wir erwarten, dass jemand zu uns kommt, weil er sich für Wissenschaft begeistert, weil er sein Hobby vielleicht zum Beruf machen will. Wir erwarten, dass er oder sie für Wissenschaft brennt und sich wirklich auf Wissenschaft konzentriert und kreativ mit ihr umgeht.

duz: Wie werden Sie bewerten, ob die Erwartungen erfüllt werden, ob das neue System die gewünschten Effekte erzielt?

Stratmann: Wir werden sehr schnell sehen, wer zu uns kommt, aus welchen Ländern die Doktorandinnen und Doktoranden kommen, ob sie auch aus Ländern kommen, die über sehr gute Wissenschaftssysteme verfügen, wie die Schweiz, Skandinavien oder Nord-Amerika. Das sind Länder, die wir im Zielfokus haben – und für junge Wissenschaftler aus diesen Ländern bieten wir jetzt ein wirklich kompetitives Paket.

duz: Der Kampf um die besten Plätze wird also noch verschärft, wieviel weniger Plätze wird es durch die Umstellung geben?

Stratmann: Wir haben so viel Geld investiert, um die Plätze halbwegs konstant zu halten. Wir rechnen damit, dass sich die Zahl von derzeit 3400 Doktoranden um vielleicht zehn Prozent am Ende reduziert.

duz: Und woher nehmen Sie die rund 50 Millionen Euro?

Stratmann: Das Geld ist ein Teil des Paktaufwuchses, den wir erhalten haben. Und wir haben Neugründungen von Max-Planck-Instituten zurückgestellt.

duz: Ist das ein Ziel Ihrer Präsidentschaft? Sie sind erst ein Jahr in diesem Amt – was wollen Sie in den kommenden Jahren erreichen und umsetzen?

Stratmann: Das Motto, welches ich mir für meine Amtszeit ausgesucht habe, lautet: Mehr Harnack wagen. Das klingt für Nicht-Eingeweihte etwas abstrus. Aber das Harnack-Prinzip ist das Kernprinzip der Max-Planck-Gesellschaft, das vor über 100 Jahren etabliert wurde. Das Harnack-Prinzip ist ein Prinzip, sich vollständig auf die Exzellenz der Person zu konzentrieren, eine klare Auswahl an Exzellenz ins Zentrum des Interesses zu rücken und dann relativ große Freiräume einzuräumen. Also ein duales System, das auf der einen Seite ein sehr hohes Selektionsprinzip beinhaltet und auf der anderen Seite aber auch ein generöses Prinzip des Vertrauens.

duz: Was haben Sie konkret vor?

Stratmann: Wir müssen und sollen uns auf die Kernprinzipen der Max-Planck-Gesellschaft konzentrieren – nicht dass wir sie vernachlässigt hätten, aber wir wollen sie weiter ausbauen. Das heißt, sich wirklich auf die Qualität des Einzelnen zu konzentrieren. Das fängt an bei den Nachwuchswissenschaftlern, deshalb wollen wir wie beschrieben ein Programm haben, das verlässlich ist für die jungen Forscherinnen und Forscher. Das Zweite ist die Genderfrage. Wir wollen sicherstellen, dass wir von den 50 Prozent der Menschheit, die nun mal Frauen sind, genauso profitieren wie von den 50 Prozent Männern – das heißt, wir wollen sicherstellen, dass erstens Frauen in die Wissenschaft gehen, sich dafür interessieren, und zweitens: wenn sie gut sind, dann wollen wir sie auch haben. 

duz: Wie wollen Sie die jungen Wissenschaftlerinnen bekommen?

Stratmann: Wir müssen erst einmal sicherstellen, dass sich Frauen für Wissenschaft interessieren – dazu haben wir Umfragen gemacht und ein Gutachten in Auftrag gegeben, das derzeit diskutiert wird. Wenn die jungen Frauen bei uns sind, müssen wir entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Beispielsweise, wenn sie schwanger werden, dafür sorgen, dass sie sich nicht für Familie oder Wissenschaft entscheiden müssen. Es gibt Mutterschutzregeln, die sie schützen, aber auch verhindern, dass sie gegebenenfalls im Labor arbeiten dürfen. Doch wenn sie ein, zwei Jahre quasi ´Berufsverbot´ haben, können sie nicht erwarten, dass sie anschließend noch konkurrenzfähig in der Wissenschaft sind. Nun ist die Max-Planck-Gesellschaft aber sehr laborintensiv. Also müssen wir in Zukunft Labore so ausstatten, dass auch Schwangere weiter arbeiten können, zum Beispiel durch Unterstützung eines Technikers, der in dieser Zeit mit Chemikalien hantiert, mit denen eine Schwangere nicht hantieren darf, aber die sie für die Wissenschaft braucht – um nur eine Idee zu nennen.

Die Fragen stellten Tina Bauer und Gudrun Sonnenberg

 

Martin Stratmann
Der Chemiker Prof. Dr. Martin Stratmann:, Jahrgang 1954, ist seit Juni 2014 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Stratmann: studierte Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, gefördert mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Anschließend promovierte er am Max-Planck-Institut (MPI) für Eisenforschung in Düsseldorf. 1982 ging er für zwei Jahre als Postdoc an die University Cleveland in den USA. Zurück in Deutschland übernahm Stratmann: zunächst eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Leiter der Arbeitsgruppe Korrosionsforschung am MPI für Eisenforschung.

Internet: www.mpg.de

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